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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zeit der schwindenden Illusionen

Stürmers einzige festen und folgerichtigen Maßnahmen auf dem Gebiete
der äußeren Politik waren das Ultimatum an Rumänien und die Entlastung
Sasonows. Durch das Ultimatum an Rumänien sollte der letzte Anstoß an
Bratianu gegeben werden, der im Grunde nur auf diesen Druck auf den Knopf
wartete, um die lange vorbereitete Maschinerie spielen zu lassen. Rumäniens
Kriegserklärung kam und Stürmer konnte den Erfolg als ein Plus hundelt.

Über die Entlassung Sasonows ist viel gesprochen, sie ist auch in diesen
Heften erörtert worden. Ungewiß ist, ob die Haltung Sasanows beim Abschluß
des russisch-japanischen Vertrages, ob sein Entschluß, in der polnischen Frage die
Initiative zu ergreifen, oder endlich ob Stürmers Überzeugung bei der Entlastung
Sasonows maßgebend war. daß dieser in seiner Politik allzu sehr mit ge¬
wissen Überlieferungen belastet war, von denen er sich nicht frei machen konnte.

Sei dem wie ihm sei. Sasonows Entlassung wurde von England als eine
unfreundliche Handlung empfunden und Stürmer hatte sich durch diesen Akt eine
tödliche Gegnerschaft zugezogen. Schon seine ersten Erklärungen, trotzdem sieSchimpf-
worte auf die deutsche Kultur enthielten ("Deutschland hat den Krieg veranlaßt
und führt ihn mit renommistischer Verachtung aller Kultur"), wurden von der
liberalen russischen Presse schlecht aufgenommen. Stürmer hatte in seiner ersten
Proklamation, vielleicht auf Anraten des ihm befreundeten Pitirim, Töne ange¬
schlagen, von denen er eine gewisse Einwirkung auf dasjenige Rußland hoffte,
das in den Überlieferungen des orthox - gläubigen Kirchentums erzogen war.

"In der diplomatischen Welt bin ich ein Neuling -- die Fragen der
äußeren Politik haben mir aber stets sehr nahe gestanden, und während ich
mich mit ihnen beschäftigte, habe ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf all
das konzentiert, was das Herz eines guten Russen höher schlagen läßt.

In den Dokumenten des siebzehnten Jahrhunderts befindet sich ein Brief von
A. L. Ordin-Naschtschokin. des Leiter des damaligen Auswärtigen Amts. In
diesem Briefe heißt es: Das Auswärtige Amt ist das Auge des ganzen großen
Rußlands und sorgt für die Ehre undGesundheit des Reichs in der Furcht Gottes."

Dieser Ausspruch ist auch in unseren Tagen nicht veraltet.

Ich schließe mit dem Hinweis auf eine eigenhändige Anmerkung des
Zaren Alexis Michailowitsch zu den Berichten eines Gesandten, der die Interessen
des Zaren und der Heimat nicht sorgsam genug gewahrt hatte.

"Wer den Ruhm und die Ehre Rußlands nicht wahrt, hat abzutreten
und erntet an Stelle des Ruhmes Vorwürfe."

Stürmer, der den Kreisen der hohen Bürokratie nahestand, durfte sich
keinen Illusionen darüber hingeben, daß in diesen Worten, so sehr sie den
gläubigen und vaterlandsergebenen Russen nach dem Herzen gesprochen scheinen,
nichts lag, was ihn in den Kreisen der liberalen Intelligenz, deren Führer
Miljukow dein verabschiedeten Sasonow besonders befreundet war, populär
machen konnte. Auch seine mehrfachen Erklärungen, daß er dem Verbündeten
Rußlands Treue halten werde, wurden angezweifelt.


Die Zeit der schwindenden Illusionen

Stürmers einzige festen und folgerichtigen Maßnahmen auf dem Gebiete
der äußeren Politik waren das Ultimatum an Rumänien und die Entlastung
Sasonows. Durch das Ultimatum an Rumänien sollte der letzte Anstoß an
Bratianu gegeben werden, der im Grunde nur auf diesen Druck auf den Knopf
wartete, um die lange vorbereitete Maschinerie spielen zu lassen. Rumäniens
Kriegserklärung kam und Stürmer konnte den Erfolg als ein Plus hundelt.

Über die Entlassung Sasonows ist viel gesprochen, sie ist auch in diesen
Heften erörtert worden. Ungewiß ist, ob die Haltung Sasanows beim Abschluß
des russisch-japanischen Vertrages, ob sein Entschluß, in der polnischen Frage die
Initiative zu ergreifen, oder endlich ob Stürmers Überzeugung bei der Entlastung
Sasonows maßgebend war. daß dieser in seiner Politik allzu sehr mit ge¬
wissen Überlieferungen belastet war, von denen er sich nicht frei machen konnte.

Sei dem wie ihm sei. Sasonows Entlassung wurde von England als eine
unfreundliche Handlung empfunden und Stürmer hatte sich durch diesen Akt eine
tödliche Gegnerschaft zugezogen. Schon seine ersten Erklärungen, trotzdem sieSchimpf-
worte auf die deutsche Kultur enthielten („Deutschland hat den Krieg veranlaßt
und führt ihn mit renommistischer Verachtung aller Kultur"), wurden von der
liberalen russischen Presse schlecht aufgenommen. Stürmer hatte in seiner ersten
Proklamation, vielleicht auf Anraten des ihm befreundeten Pitirim, Töne ange¬
schlagen, von denen er eine gewisse Einwirkung auf dasjenige Rußland hoffte,
das in den Überlieferungen des orthox - gläubigen Kirchentums erzogen war.

„In der diplomatischen Welt bin ich ein Neuling — die Fragen der
äußeren Politik haben mir aber stets sehr nahe gestanden, und während ich
mich mit ihnen beschäftigte, habe ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf all
das konzentiert, was das Herz eines guten Russen höher schlagen läßt.

In den Dokumenten des siebzehnten Jahrhunderts befindet sich ein Brief von
A. L. Ordin-Naschtschokin. des Leiter des damaligen Auswärtigen Amts. In
diesem Briefe heißt es: Das Auswärtige Amt ist das Auge des ganzen großen
Rußlands und sorgt für die Ehre undGesundheit des Reichs in der Furcht Gottes."

Dieser Ausspruch ist auch in unseren Tagen nicht veraltet.

Ich schließe mit dem Hinweis auf eine eigenhändige Anmerkung des
Zaren Alexis Michailowitsch zu den Berichten eines Gesandten, der die Interessen
des Zaren und der Heimat nicht sorgsam genug gewahrt hatte.

„Wer den Ruhm und die Ehre Rußlands nicht wahrt, hat abzutreten
und erntet an Stelle des Ruhmes Vorwürfe."

Stürmer, der den Kreisen der hohen Bürokratie nahestand, durfte sich
keinen Illusionen darüber hingeben, daß in diesen Worten, so sehr sie den
gläubigen und vaterlandsergebenen Russen nach dem Herzen gesprochen scheinen,
nichts lag, was ihn in den Kreisen der liberalen Intelligenz, deren Führer
Miljukow dein verabschiedeten Sasonow besonders befreundet war, populär
machen konnte. Auch seine mehrfachen Erklärungen, daß er dem Verbündeten
Rußlands Treue halten werde, wurden angezweifelt.


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[0302] Die Zeit der schwindenden Illusionen Stürmers einzige festen und folgerichtigen Maßnahmen auf dem Gebiete der äußeren Politik waren das Ultimatum an Rumänien und die Entlastung Sasonows. Durch das Ultimatum an Rumänien sollte der letzte Anstoß an Bratianu gegeben werden, der im Grunde nur auf diesen Druck auf den Knopf wartete, um die lange vorbereitete Maschinerie spielen zu lassen. Rumäniens Kriegserklärung kam und Stürmer konnte den Erfolg als ein Plus hundelt. Über die Entlassung Sasonows ist viel gesprochen, sie ist auch in diesen Heften erörtert worden. Ungewiß ist, ob die Haltung Sasanows beim Abschluß des russisch-japanischen Vertrages, ob sein Entschluß, in der polnischen Frage die Initiative zu ergreifen, oder endlich ob Stürmers Überzeugung bei der Entlastung Sasonows maßgebend war. daß dieser in seiner Politik allzu sehr mit ge¬ wissen Überlieferungen belastet war, von denen er sich nicht frei machen konnte. Sei dem wie ihm sei. Sasonows Entlassung wurde von England als eine unfreundliche Handlung empfunden und Stürmer hatte sich durch diesen Akt eine tödliche Gegnerschaft zugezogen. Schon seine ersten Erklärungen, trotzdem sieSchimpf- worte auf die deutsche Kultur enthielten („Deutschland hat den Krieg veranlaßt und führt ihn mit renommistischer Verachtung aller Kultur"), wurden von der liberalen russischen Presse schlecht aufgenommen. Stürmer hatte in seiner ersten Proklamation, vielleicht auf Anraten des ihm befreundeten Pitirim, Töne ange¬ schlagen, von denen er eine gewisse Einwirkung auf dasjenige Rußland hoffte, das in den Überlieferungen des orthox - gläubigen Kirchentums erzogen war. „In der diplomatischen Welt bin ich ein Neuling — die Fragen der äußeren Politik haben mir aber stets sehr nahe gestanden, und während ich mich mit ihnen beschäftigte, habe ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf all das konzentiert, was das Herz eines guten Russen höher schlagen läßt. In den Dokumenten des siebzehnten Jahrhunderts befindet sich ein Brief von A. L. Ordin-Naschtschokin. des Leiter des damaligen Auswärtigen Amts. In diesem Briefe heißt es: Das Auswärtige Amt ist das Auge des ganzen großen Rußlands und sorgt für die Ehre undGesundheit des Reichs in der Furcht Gottes." Dieser Ausspruch ist auch in unseren Tagen nicht veraltet. Ich schließe mit dem Hinweis auf eine eigenhändige Anmerkung des Zaren Alexis Michailowitsch zu den Berichten eines Gesandten, der die Interessen des Zaren und der Heimat nicht sorgsam genug gewahrt hatte. „Wer den Ruhm und die Ehre Rußlands nicht wahrt, hat abzutreten und erntet an Stelle des Ruhmes Vorwürfe." Stürmer, der den Kreisen der hohen Bürokratie nahestand, durfte sich keinen Illusionen darüber hingeben, daß in diesen Worten, so sehr sie den gläubigen und vaterlandsergebenen Russen nach dem Herzen gesprochen scheinen, nichts lag, was ihn in den Kreisen der liberalen Intelligenz, deren Führer Miljukow dein verabschiedeten Sasonow besonders befreundet war, populär machen konnte. Auch seine mehrfachen Erklärungen, daß er dem Verbündeten Rußlands Treue halten werde, wurden angezweifelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/302>, abgerufen am 11.05.2024.