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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher
Herman" Bahr: Himmelfahrt. Verlag von S. Fischer. Berlin 1916.

Der junge Graf Franz Flayn ist von seiner großen Ausfahrt aufs hohe
Meer des Lebens enttäuscht und ratlos heimgekehrt. Er hat Städte und Länder
gesehen, Menschen kennen gelernt, ernstliche Mühe auf Malen und Experimental-
Vsychologie verwandt, aber seine Mühen und Leistungen find in Fachkreisen nicht
ernst genommen worden, weil er's als vermögender Graf nicht nötig hat. Er
weiß nun nicht mehr, wofür und wozu er weiter leben soll, und fragt den Onkel
Domherrn. Der weltkluge Prälat spottet über die Modeschrullen der heutigen
jungen Herren. "Weit ist es mit euch gekommen. Und spürt ihr denn nicht,
daß ihr damit abbaute? Ein Flayn, der das Gefühl hat, sich durch irgendeine
Tat, durch irgendein Werk erst so zusagen rechtfertigen zu müssen, ist kein Flayn
mehr, denn wodurch unterscheidet er sich dann noch von einem Herrn Meier
oder Müller? Selbst ist der Herr Meier nichts, er ist nur die Person seiner
Leistung ...... Die Meier und Müller müßten sich, sobald es ihnen nur erst
einmal bewußt wird, doch aufhängen. Daher die tiefe Sehnsucht aller Völker in
allen Zeiten nach Menschen, die nicht bloß Mittel, sondern um ihrer selbst willen
da sind, nach Menschen, die nicht das Rad zu drehen haben, sondern für die
das Rad gedreht wird......Der größte Narr aber ist ein zweckloser Mensch,
der sich zum bloßen Mittel degradiert; die größte Dummheit des Adels ist es,
wenn er auf einmal ein schlechtes Gewissen hat. Habt ihr die Kraft nicht mehr,
das den Völkern unentbehrliche Bild des reinen, zwecklosen, schönen Seins zu
geben, dann packt nur ein und werdet Meier und Müller." Das römische
Glaubensgericht würde, wenn Zingerl denunziert würde, seine These vom zweck¬
losen Adel kaum zum Dogma erheben, aber er kann sich auf eine Autorität be¬
rufen, die bei den Weltlenker mehr gilt als das unfehlbare Lehramt. Wilhelm
Meister definiert in dem Briefe an Werner (3. Kapitel des 6. Buches der Lehr¬
jahre) den Unterschied zwischen dem adligen und dem bürgerlichen Dasein un¬
gefähr ebenso. Gewöhnliche Leser werden sagen, Hermann Bahr lasse in seinem
neuesten Romane zu wenig geschehen und zu viel raisonnieren und reflektieren; er
hätte an mehreren Stellen, wie Bulwer an einer Stelle des Disowned, dem
Mr. Reader raten sollen, ein paar Seiten zu überschlagen. Abgesehen jedoch
davon, daß Bahr mit besserem Geschmack als Bulwer nicht als Autor philo¬
sophiert, sondern seine Personen philosophieren läßt, ist ihm der Leser, der aus
Romanen gerne auch etwas lernt, für diese Abhandlungen dankbar, denn sie ent¬
halten nicht allgemeine Psychologie wie die des großen Briten, sondern enthüllen
(vorausgesetzt, daß Franz Flayn nicht ein Einzelfall, sondern ein Typus sein soll)
eine Krise des österreichischen Adels. Dieser war im vorigen Jahrhundert leicht-




Neue Bücher
Herman» Bahr: Himmelfahrt. Verlag von S. Fischer. Berlin 1916.

Der junge Graf Franz Flayn ist von seiner großen Ausfahrt aufs hohe
Meer des Lebens enttäuscht und ratlos heimgekehrt. Er hat Städte und Länder
gesehen, Menschen kennen gelernt, ernstliche Mühe auf Malen und Experimental-
Vsychologie verwandt, aber seine Mühen und Leistungen find in Fachkreisen nicht
ernst genommen worden, weil er's als vermögender Graf nicht nötig hat. Er
weiß nun nicht mehr, wofür und wozu er weiter leben soll, und fragt den Onkel
Domherrn. Der weltkluge Prälat spottet über die Modeschrullen der heutigen
jungen Herren. „Weit ist es mit euch gekommen. Und spürt ihr denn nicht,
daß ihr damit abbaute? Ein Flayn, der das Gefühl hat, sich durch irgendeine
Tat, durch irgendein Werk erst so zusagen rechtfertigen zu müssen, ist kein Flayn
mehr, denn wodurch unterscheidet er sich dann noch von einem Herrn Meier
oder Müller? Selbst ist der Herr Meier nichts, er ist nur die Person seiner
Leistung ...... Die Meier und Müller müßten sich, sobald es ihnen nur erst
einmal bewußt wird, doch aufhängen. Daher die tiefe Sehnsucht aller Völker in
allen Zeiten nach Menschen, die nicht bloß Mittel, sondern um ihrer selbst willen
da sind, nach Menschen, die nicht das Rad zu drehen haben, sondern für die
das Rad gedreht wird......Der größte Narr aber ist ein zweckloser Mensch,
der sich zum bloßen Mittel degradiert; die größte Dummheit des Adels ist es,
wenn er auf einmal ein schlechtes Gewissen hat. Habt ihr die Kraft nicht mehr,
das den Völkern unentbehrliche Bild des reinen, zwecklosen, schönen Seins zu
geben, dann packt nur ein und werdet Meier und Müller." Das römische
Glaubensgericht würde, wenn Zingerl denunziert würde, seine These vom zweck¬
losen Adel kaum zum Dogma erheben, aber er kann sich auf eine Autorität be¬
rufen, die bei den Weltlenker mehr gilt als das unfehlbare Lehramt. Wilhelm
Meister definiert in dem Briefe an Werner (3. Kapitel des 6. Buches der Lehr¬
jahre) den Unterschied zwischen dem adligen und dem bürgerlichen Dasein un¬
gefähr ebenso. Gewöhnliche Leser werden sagen, Hermann Bahr lasse in seinem
neuesten Romane zu wenig geschehen und zu viel raisonnieren und reflektieren; er
hätte an mehreren Stellen, wie Bulwer an einer Stelle des Disowned, dem
Mr. Reader raten sollen, ein paar Seiten zu überschlagen. Abgesehen jedoch
davon, daß Bahr mit besserem Geschmack als Bulwer nicht als Autor philo¬
sophiert, sondern seine Personen philosophieren läßt, ist ihm der Leser, der aus
Romanen gerne auch etwas lernt, für diese Abhandlungen dankbar, denn sie ent¬
halten nicht allgemeine Psychologie wie die des großen Briten, sondern enthüllen
(vorausgesetzt, daß Franz Flayn nicht ein Einzelfall, sondern ein Typus sein soll)
eine Krise des österreichischen Adels. Dieser war im vorigen Jahrhundert leicht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/329>, abgerufen am 28.04.2024.