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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Constanza

Läuterungsarbeit vorher stammt, das können vielleicht erst sehr späte Beurteiler
erkennen. Nicht der Zufall allein, daß dieser sechzigste Geburtstag in eine
Zeit füllt, in welcher der Blick sich immer wieder von allem Persönlichen
hinweg ins Allgemeine lenkt, tiefere wesentliche Gründe vor allem führen vom
Individuellen dieser Gelegenheit immer wieder hinweg zu unser aller Schicksal.
So viel von persönlichsten, aus Künstlergaben quellenden Wirken, hat sich hier
in dreißig Jahreen entpersönlicht, ist zum objektiven Besitztum der Generation
vor dem Kriege geworden. Die Verantwortung gerade dieser Generation vor
der Geschichte ist nicht gering: von dem Erbteil, das sie der Zeit nachher ge¬
schaffen und bewahrt hat, wird unser weiteres Dasein als Volk nicht viel
weniger abhängen, wie von den ernsten Entscheidungen dieser Tage selbst.
Die Frage: Was ist echt an euch gewesen? wird dann über ihre ästhetische
Bedeutung hinaus erst in ihrem Schicksalswert erkannt werden. Der jetzt
sechzigjährige stellte und stellt sie immer und immer wieder. Möge sie nie
unter uns verstummen.




(Lonstanza
von Professor Dr. ZV. Lapelle

er Name Constanza weckt mancherlei Erinnerungen bei dem, der
sich in vergangene Zeiten zu vertiefen, Menschen- und Völker¬
schicksale zu überdenken gewohnt ist.

Der kühne Unternehmungsgeist griechischer Kaufleute aus
I Milet hat im Laufe des achten und siebenten Jahrhunderts v. Chr.
die unwirtlichen Küsten des Pontus mit einem Kranz rasch aufblühender Städte
besiedelt, die dem gefürchteten Meere den Namen des "Gastlichen" (Euxinus)
einbrachten. Auch im Süden des Jstros, an der Küste der Dobrudscha, faßte
der milesische Kaufmann bald Fuß; eine seiner Gründungen erhiel den Namen
Tönens (Tomi). Es ist das heutige Constanza (Küstendsche). Aus der
älteren Geschichte der Stadt wissen wir wenig; im dritten Jahrhundert ge¬
wann sie, die ein Zankapfel zwischen Byzanz und Kallatis gewesen war,
ihre Unabhängigkeit wieder, eine jener griechischen Handelskolonien fern im
Barbarenlande, deren Selbständigkeit vielfach durch Prägung eigener Münzen
bezeugt wird. Durch den Zug des Lucullus im Jahre 72 v. Chr. kommt
sie unter römische Herrschaft. Seit den Zügen des jüngeren Crassus, 29 v. Chr.,
finden wir sie als Haupt des griechischen Fünfstädtebundes in der späteren
Provinz Niedermösien, dem sich unter Kaiser Trajan als sechste Stadt Marcianopolis
hinzugesellt. Welch gefährdeter Außenposten dies Tomi war, mag die Tatsache
zeigen, daß sie zurzeit von Cäsars Diktatur (44 v. Chr.) und ebenso während
des großen pannonisch-dalmatischen Aufstandes (6--9 n. Chr.) von den um¬
wohnenden Goten überrannt und schwer heimgesucht wurde. Zu größerer
Blüte kam sie erst wieder im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr., als be-


Constanza

Läuterungsarbeit vorher stammt, das können vielleicht erst sehr späte Beurteiler
erkennen. Nicht der Zufall allein, daß dieser sechzigste Geburtstag in eine
Zeit füllt, in welcher der Blick sich immer wieder von allem Persönlichen
hinweg ins Allgemeine lenkt, tiefere wesentliche Gründe vor allem führen vom
Individuellen dieser Gelegenheit immer wieder hinweg zu unser aller Schicksal.
So viel von persönlichsten, aus Künstlergaben quellenden Wirken, hat sich hier
in dreißig Jahreen entpersönlicht, ist zum objektiven Besitztum der Generation
vor dem Kriege geworden. Die Verantwortung gerade dieser Generation vor
der Geschichte ist nicht gering: von dem Erbteil, das sie der Zeit nachher ge¬
schaffen und bewahrt hat, wird unser weiteres Dasein als Volk nicht viel
weniger abhängen, wie von den ernsten Entscheidungen dieser Tage selbst.
Die Frage: Was ist echt an euch gewesen? wird dann über ihre ästhetische
Bedeutung hinaus erst in ihrem Schicksalswert erkannt werden. Der jetzt
sechzigjährige stellte und stellt sie immer und immer wieder. Möge sie nie
unter uns verstummen.




(Lonstanza
von Professor Dr. ZV. Lapelle

er Name Constanza weckt mancherlei Erinnerungen bei dem, der
sich in vergangene Zeiten zu vertiefen, Menschen- und Völker¬
schicksale zu überdenken gewohnt ist.

Der kühne Unternehmungsgeist griechischer Kaufleute aus
I Milet hat im Laufe des achten und siebenten Jahrhunderts v. Chr.
die unwirtlichen Küsten des Pontus mit einem Kranz rasch aufblühender Städte
besiedelt, die dem gefürchteten Meere den Namen des „Gastlichen" (Euxinus)
einbrachten. Auch im Süden des Jstros, an der Küste der Dobrudscha, faßte
der milesische Kaufmann bald Fuß; eine seiner Gründungen erhiel den Namen
Tönens (Tomi). Es ist das heutige Constanza (Küstendsche). Aus der
älteren Geschichte der Stadt wissen wir wenig; im dritten Jahrhundert ge¬
wann sie, die ein Zankapfel zwischen Byzanz und Kallatis gewesen war,
ihre Unabhängigkeit wieder, eine jener griechischen Handelskolonien fern im
Barbarenlande, deren Selbständigkeit vielfach durch Prägung eigener Münzen
bezeugt wird. Durch den Zug des Lucullus im Jahre 72 v. Chr. kommt
sie unter römische Herrschaft. Seit den Zügen des jüngeren Crassus, 29 v. Chr.,
finden wir sie als Haupt des griechischen Fünfstädtebundes in der späteren
Provinz Niedermösien, dem sich unter Kaiser Trajan als sechste Stadt Marcianopolis
hinzugesellt. Welch gefährdeter Außenposten dies Tomi war, mag die Tatsache
zeigen, daß sie zurzeit von Cäsars Diktatur (44 v. Chr.) und ebenso während
des großen pannonisch-dalmatischen Aufstandes (6—9 n. Chr.) von den um¬
wohnenden Goten überrannt und schwer heimgesucht wurde. Zu größerer
Blüte kam sie erst wieder im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr., als be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/392>, abgerufen am 28.04.2024.