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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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poincare, Frankreich und die Revanche
von Dr. Karl Friedrich Vogel

rophezeien ist immer eine heikle Sache, Prophezeien in politischen
Dingen gar führt meist zu recht unangenehmen Enttäuschungen.
Noch immer ist die Methode nicht gefunden, mit der sich die
Gesetze des historischen Geschehens ermitteln lassen, noch immer
sind uns so und soviele Triebkräfte des geschichtlichen Lebens
"reine Imponderabilien", unwägbar, unberechenbar. Und doch -- gewisse
Voraussetzungen, gewisse Grundlagen, gewisse Richtlinien in Geschichte und
Politik, unleugbar und auch dem oberflächlichen Auge bemerklich, laden immer
wieder dazu ein, den unbestimmt abgegrenzten Zukunftspfad zu suchen.

Gibt es für die Franzosen eine Umkehr von jener Politik, die sie in diesen
Krieg geführt hat? Werden sie je aufhören, Deutschland als den Feind zu
betrachten? Es gibt Stimmen genug, die mit Ja antworten möchten, die uns
mit historischen Belegen überzeugen wollen, viele Stimmen, die meinen, dieser
ganze Krieg sei nur ein Kunstprodukt ebenso geschickter wie gewissenloser Politiker.
Manches mag ihnen zweifellos Recht geben. Die Basler Zusammenkünfte
konnten selbst schärfer Blickende zeitweilig täuschen, genau wie die deutsch¬
englischen Friedensschmäuse nicht wenigen den gesunden Geschmackssinn ver¬
darben und ihnen die Wirklichkeit süß statt bitter erscheinen ließen. Zwingend
fast scheint der Gedanke, daß das Unglück dieses furchtbaren Krieges das
französische Volk aufwecken müsse, daß es, blind und bewußtlos in diesen Krieg
gezerrt, sich ausbäumen werde, sehend geworden durch das viele nutzlos ver¬
gossene Blut seiner Söhne. Leider nur stimmt die Voraussetzung nicht. Das
französische Volk war weder blind, noch war es getäuscht, als es diesen Krieg
begann. Es sah ihn kommen, es hat ihn gewollt und es hat ihn vorbereitet.
Vor allem seine führenden Männer, ein Briand, ein Millerand, ein Clemenceau
-- sie alle von der Linken -- ebenso wie ein Barthou, ein Poincarö und


Grenzboten IV 1916 6


poincare, Frankreich und die Revanche
von Dr. Karl Friedrich Vogel

rophezeien ist immer eine heikle Sache, Prophezeien in politischen
Dingen gar führt meist zu recht unangenehmen Enttäuschungen.
Noch immer ist die Methode nicht gefunden, mit der sich die
Gesetze des historischen Geschehens ermitteln lassen, noch immer
sind uns so und soviele Triebkräfte des geschichtlichen Lebens
„reine Imponderabilien", unwägbar, unberechenbar. Und doch — gewisse
Voraussetzungen, gewisse Grundlagen, gewisse Richtlinien in Geschichte und
Politik, unleugbar und auch dem oberflächlichen Auge bemerklich, laden immer
wieder dazu ein, den unbestimmt abgegrenzten Zukunftspfad zu suchen.

Gibt es für die Franzosen eine Umkehr von jener Politik, die sie in diesen
Krieg geführt hat? Werden sie je aufhören, Deutschland als den Feind zu
betrachten? Es gibt Stimmen genug, die mit Ja antworten möchten, die uns
mit historischen Belegen überzeugen wollen, viele Stimmen, die meinen, dieser
ganze Krieg sei nur ein Kunstprodukt ebenso geschickter wie gewissenloser Politiker.
Manches mag ihnen zweifellos Recht geben. Die Basler Zusammenkünfte
konnten selbst schärfer Blickende zeitweilig täuschen, genau wie die deutsch¬
englischen Friedensschmäuse nicht wenigen den gesunden Geschmackssinn ver¬
darben und ihnen die Wirklichkeit süß statt bitter erscheinen ließen. Zwingend
fast scheint der Gedanke, daß das Unglück dieses furchtbaren Krieges das
französische Volk aufwecken müsse, daß es, blind und bewußtlos in diesen Krieg
gezerrt, sich ausbäumen werde, sehend geworden durch das viele nutzlos ver¬
gossene Blut seiner Söhne. Leider nur stimmt die Voraussetzung nicht. Das
französische Volk war weder blind, noch war es getäuscht, als es diesen Krieg
begann. Es sah ihn kommen, es hat ihn gewollt und es hat ihn vorbereitet.
Vor allem seine führenden Männer, ein Briand, ein Millerand, ein Clemenceau
— sie alle von der Linken — ebenso wie ein Barthou, ein Poincarö und


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[0077] [Abbildung] poincare, Frankreich und die Revanche von Dr. Karl Friedrich Vogel rophezeien ist immer eine heikle Sache, Prophezeien in politischen Dingen gar führt meist zu recht unangenehmen Enttäuschungen. Noch immer ist die Methode nicht gefunden, mit der sich die Gesetze des historischen Geschehens ermitteln lassen, noch immer sind uns so und soviele Triebkräfte des geschichtlichen Lebens „reine Imponderabilien", unwägbar, unberechenbar. Und doch — gewisse Voraussetzungen, gewisse Grundlagen, gewisse Richtlinien in Geschichte und Politik, unleugbar und auch dem oberflächlichen Auge bemerklich, laden immer wieder dazu ein, den unbestimmt abgegrenzten Zukunftspfad zu suchen. Gibt es für die Franzosen eine Umkehr von jener Politik, die sie in diesen Krieg geführt hat? Werden sie je aufhören, Deutschland als den Feind zu betrachten? Es gibt Stimmen genug, die mit Ja antworten möchten, die uns mit historischen Belegen überzeugen wollen, viele Stimmen, die meinen, dieser ganze Krieg sei nur ein Kunstprodukt ebenso geschickter wie gewissenloser Politiker. Manches mag ihnen zweifellos Recht geben. Die Basler Zusammenkünfte konnten selbst schärfer Blickende zeitweilig täuschen, genau wie die deutsch¬ englischen Friedensschmäuse nicht wenigen den gesunden Geschmackssinn ver¬ darben und ihnen die Wirklichkeit süß statt bitter erscheinen ließen. Zwingend fast scheint der Gedanke, daß das Unglück dieses furchtbaren Krieges das französische Volk aufwecken müsse, daß es, blind und bewußtlos in diesen Krieg gezerrt, sich ausbäumen werde, sehend geworden durch das viele nutzlos ver¬ gossene Blut seiner Söhne. Leider nur stimmt die Voraussetzung nicht. Das französische Volk war weder blind, noch war es getäuscht, als es diesen Krieg begann. Es sah ihn kommen, es hat ihn gewollt und es hat ihn vorbereitet. Vor allem seine führenden Männer, ein Briand, ein Millerand, ein Clemenceau — sie alle von der Linken — ebenso wie ein Barthou, ein Poincarö und Grenzboten IV 1916 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/77>, abgerufen am 27.04.2024.