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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Poinearö, Frankreich und die Revanche

andere Männer des Zentrums, von den politisch einflußloser Führern der
Rechten ganz zu schweigen.

Man gefällt sich bei uns in recht merkwürdigen Vorstellungen von diesen
Männern. Man spricht von ihnen als einer Clique gewissenloser Politiker,
eitler und ehrgeiziger Erfolgjüger. Man ist von ihrer politischen Grundsatz-
losigkeit überzeugt. Man glaubt mehr oder weniger fest, diesen Männern sei
der Revanchegedanke nur ein politisches Zugmittel gewesen, um gewisse Kreise
an sich zu ketten. Man meint, sie seien ohne innere Überzeugung und nur
unter dem Zwange äußerer Verhältnisse in diesen Krieg gezogen. Poincars,
der französische Präsident, galt schon früher breiteren Kreisen als echtester Typ
deutschfeindlicher Politiker. Man wußte und kannte seine Gesinnung. Doch
ganz ernst nahm man sie nie. Die Vorgänge bei seiner Wahl, die stark anti-
poincaristische Opposition der Radikalen mit Herrn Palus als Bannerträger,
unsere hergebrachten Anschauungen über französischen Volkscharakter und fran¬
zösisches Staatsleben, das alles mag dazu beigetragen haben. Es fielen ver¬
ächtliche Worte von ehrgeizigem Advokaten, volksschmeichlerischem Streber, ge¬
wissenlosen Kriegsschürer. Man bestritt ernstlich die Tatsächlichkeit eines breiteren
Anhanges im Volke und gefiel sich eine geschickte und skrupellose Regie für seine
innerpolitischen Erfolge verantwortlich zu machen.

Es ist an der Zeit, mit allem Nachdruck gegen dieses bald legendäre und
durchaus gefühlsmäßige Bild des französischen Staatsoberhauptes wie der
führenden französischen Politiker Stellung zu nehmen. Lange genug hat es
die breiteren Kreise unseres Volkes gehindert, in dem Gegensatze "Deutschland-
Frankreich" klar zu sehen, sich über Verständigungsmöglichkeiten mit unseren
Nachbarn ein reales Bild zu verschaffen, unbeeinflußt von Satire, Witz, be¬
greiflichen Wunsche und schwächlicher Hoffnung.

Die Wahl Poincarös war ein Nationalfest. So scharf, als hätte ich es
gestern erlebt, steigt jener Tag vor meinem Auge auf. Es war in Nancy,
dem Nancy des Nationalisten Driant, in der Hauptstadt der "Lorraine",
dem Schoßkinde des französischen Sentimentalpatriotismus, Führerin in
"e8pörance <Zt souvenir" und Geburtsland des Helden. Ein Lothringer-
Präsident, das war ein Programm! Nicht umsonst und aus Lokalpatriotismus
nur wehten die Fahnen, war alles festlich geschmückt und trunken vor Freude,
glänzten die Blicke dem Fremden vielsagend und siegesgewiß entgegen I Man
sprach es offen aus und die Studentenschaft der Universität, im Restaurations-
sale mir gegenüber vereint, gröhlte es in überschäumenden Jubel über die
nächtliche Gasse zu meinem stillen Fenster herauf: Es nahte der Tag der
venZsanee! Der rechte Mann war endlich da, der Mann der nationalen
Stimmung, der Mann des ganzen Landes, nicht nur der parlamentarischen
Clique. Man mochte reisen, wo man wollte, überall vor- und nachher konnte
man dieser Überzeugung Ausdruck geben hören. Die ganze in Frankreich ja
so viel frühzeitiger zu politischer Reife und politischer Handlung herangezogene


Poinearö, Frankreich und die Revanche

andere Männer des Zentrums, von den politisch einflußloser Führern der
Rechten ganz zu schweigen.

Man gefällt sich bei uns in recht merkwürdigen Vorstellungen von diesen
Männern. Man spricht von ihnen als einer Clique gewissenloser Politiker,
eitler und ehrgeiziger Erfolgjüger. Man ist von ihrer politischen Grundsatz-
losigkeit überzeugt. Man glaubt mehr oder weniger fest, diesen Männern sei
der Revanchegedanke nur ein politisches Zugmittel gewesen, um gewisse Kreise
an sich zu ketten. Man meint, sie seien ohne innere Überzeugung und nur
unter dem Zwange äußerer Verhältnisse in diesen Krieg gezogen. Poincars,
der französische Präsident, galt schon früher breiteren Kreisen als echtester Typ
deutschfeindlicher Politiker. Man wußte und kannte seine Gesinnung. Doch
ganz ernst nahm man sie nie. Die Vorgänge bei seiner Wahl, die stark anti-
poincaristische Opposition der Radikalen mit Herrn Palus als Bannerträger,
unsere hergebrachten Anschauungen über französischen Volkscharakter und fran¬
zösisches Staatsleben, das alles mag dazu beigetragen haben. Es fielen ver¬
ächtliche Worte von ehrgeizigem Advokaten, volksschmeichlerischem Streber, ge¬
wissenlosen Kriegsschürer. Man bestritt ernstlich die Tatsächlichkeit eines breiteren
Anhanges im Volke und gefiel sich eine geschickte und skrupellose Regie für seine
innerpolitischen Erfolge verantwortlich zu machen.

Es ist an der Zeit, mit allem Nachdruck gegen dieses bald legendäre und
durchaus gefühlsmäßige Bild des französischen Staatsoberhauptes wie der
führenden französischen Politiker Stellung zu nehmen. Lange genug hat es
die breiteren Kreise unseres Volkes gehindert, in dem Gegensatze „Deutschland-
Frankreich" klar zu sehen, sich über Verständigungsmöglichkeiten mit unseren
Nachbarn ein reales Bild zu verschaffen, unbeeinflußt von Satire, Witz, be¬
greiflichen Wunsche und schwächlicher Hoffnung.

Die Wahl Poincarös war ein Nationalfest. So scharf, als hätte ich es
gestern erlebt, steigt jener Tag vor meinem Auge auf. Es war in Nancy,
dem Nancy des Nationalisten Driant, in der Hauptstadt der „Lorraine",
dem Schoßkinde des französischen Sentimentalpatriotismus, Führerin in
„e8pörance <Zt souvenir" und Geburtsland des Helden. Ein Lothringer-
Präsident, das war ein Programm! Nicht umsonst und aus Lokalpatriotismus
nur wehten die Fahnen, war alles festlich geschmückt und trunken vor Freude,
glänzten die Blicke dem Fremden vielsagend und siegesgewiß entgegen I Man
sprach es offen aus und die Studentenschaft der Universität, im Restaurations-
sale mir gegenüber vereint, gröhlte es in überschäumenden Jubel über die
nächtliche Gasse zu meinem stillen Fenster herauf: Es nahte der Tag der
venZsanee! Der rechte Mann war endlich da, der Mann der nationalen
Stimmung, der Mann des ganzen Landes, nicht nur der parlamentarischen
Clique. Man mochte reisen, wo man wollte, überall vor- und nachher konnte
man dieser Überzeugung Ausdruck geben hören. Die ganze in Frankreich ja
so viel frühzeitiger zu politischer Reife und politischer Handlung herangezogene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/78>, abgerufen am 11.05.2024.