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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Natürliche Grenzen und Sprachgrenzen
Dr. rv. Mariens von

er Begriff der natürlichen Grenze hat eine reiche politische Ge¬
schichte hinter sich. Er empfiehlt sich als Waffe im Kampf um
den Erdenraum durch den Anschein einer über die Parteien sich
erhebenden Autorität. Sein Ansehen hat durch häufigen offen¬
baren Mißbrauch nicht gelitten. Verspricht er doch unanfechtbare
Gültigkeit der Ansprüche aufzuzeigen. Und so hat auch der gegenwärtige
Kampf der Völker ihn: neues Leben gegeben. Er hat seinen Anteil am
Weltkrieg.

Die natürlichste Grenze eines Staates ist offenbar die Küste. Mit ihr
endet die Grundlage aller Gemeinschaftsbildung, die Bewohnbarkeit der Erd¬
oberfläche. Die Küste schützt freilich nicht überall vor Angriffen. Aber diese
sind seltener und leichter abzuwehren als an gewöhnlichen Landgrenzen. Et¬
waige Eroberer aber vergessen ihre Heimat und verschmelzen mit den Ein¬
gesessenen zu einem festen Gemeinwesen. In der Geschichte der Inselstaaten
ist die Erkenntnis ihrer Grenzvorteile wesentlich.

Die gegenwärtigen Kriegszeiten haben nun freilich eine starke Abhängig¬
keit küstenreicher Länder von der vorherrschenden Seemacht aufgedeckt. Der
Schutzwert der Küsten hat merklich gelitten durch die Steigerung der See"
beherrschung. Und es ist nicht zu leugnen, daß sich überhaupt regelmäßig
auf Grund der besonderen Verkehrsvorzüge der trennenden Wasserflächen ein
Streben nach Beherrschung eines ganzen Seeverkehrsgebietes mit seinen Küsten
einstellt, eine Entwicklung, die der von uns betrachteten zuwiderläuft. Aber
wichtige Vorteile der Meeresgreuzen bleiben doch bestehen. Das Ufer begrenzt
einen geschlossenen Lebensraum, es erleichtert den Zusammenschluß der Be¬
wohner zu kräftiger nationaler Kultur. Grenzstreitigkeiten gibt es nicht. Denn
wenn auch mit überlegener Kraft eine feindliche Macht festen Fuß fassen sollte,
so hat doch diese selbst dabei das Bewußtsein, wenn nicht des Unrechts, so
doch der Unregelmäßigkeit. Der Anspruch der eigentlichen Bewohner des
Landes auf ihre Meeresgrenze ist selbstverständlich und gültig.

Immerhin haben wir festgestellt, daß der Schutzwert dieser natürlichen
Grenze niemals vollkommen und gerade in der Gegenwart erheblicher Beein¬
trächtigung ausgesetzt ist. Ähnliche Beobachtungen machen wir bei den viel¬
gestaltigen Naturgrenzen des festen Landes.




Natürliche Grenzen und Sprachgrenzen
Dr. rv. Mariens von

er Begriff der natürlichen Grenze hat eine reiche politische Ge¬
schichte hinter sich. Er empfiehlt sich als Waffe im Kampf um
den Erdenraum durch den Anschein einer über die Parteien sich
erhebenden Autorität. Sein Ansehen hat durch häufigen offen¬
baren Mißbrauch nicht gelitten. Verspricht er doch unanfechtbare
Gültigkeit der Ansprüche aufzuzeigen. Und so hat auch der gegenwärtige
Kampf der Völker ihn: neues Leben gegeben. Er hat seinen Anteil am
Weltkrieg.

Die natürlichste Grenze eines Staates ist offenbar die Küste. Mit ihr
endet die Grundlage aller Gemeinschaftsbildung, die Bewohnbarkeit der Erd¬
oberfläche. Die Küste schützt freilich nicht überall vor Angriffen. Aber diese
sind seltener und leichter abzuwehren als an gewöhnlichen Landgrenzen. Et¬
waige Eroberer aber vergessen ihre Heimat und verschmelzen mit den Ein¬
gesessenen zu einem festen Gemeinwesen. In der Geschichte der Inselstaaten
ist die Erkenntnis ihrer Grenzvorteile wesentlich.

Die gegenwärtigen Kriegszeiten haben nun freilich eine starke Abhängig¬
keit küstenreicher Länder von der vorherrschenden Seemacht aufgedeckt. Der
Schutzwert der Küsten hat merklich gelitten durch die Steigerung der See»
beherrschung. Und es ist nicht zu leugnen, daß sich überhaupt regelmäßig
auf Grund der besonderen Verkehrsvorzüge der trennenden Wasserflächen ein
Streben nach Beherrschung eines ganzen Seeverkehrsgebietes mit seinen Küsten
einstellt, eine Entwicklung, die der von uns betrachteten zuwiderläuft. Aber
wichtige Vorteile der Meeresgreuzen bleiben doch bestehen. Das Ufer begrenzt
einen geschlossenen Lebensraum, es erleichtert den Zusammenschluß der Be¬
wohner zu kräftiger nationaler Kultur. Grenzstreitigkeiten gibt es nicht. Denn
wenn auch mit überlegener Kraft eine feindliche Macht festen Fuß fassen sollte,
so hat doch diese selbst dabei das Bewußtsein, wenn nicht des Unrechts, so
doch der Unregelmäßigkeit. Der Anspruch der eigentlichen Bewohner des
Landes auf ihre Meeresgrenze ist selbstverständlich und gültig.

Immerhin haben wir festgestellt, daß der Schutzwert dieser natürlichen
Grenze niemals vollkommen und gerade in der Gegenwart erheblicher Beein¬
trächtigung ausgesetzt ist. Ähnliche Beobachtungen machen wir bei den viel¬
gestaltigen Naturgrenzen des festen Landes.


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[0211] [Abbildung] Natürliche Grenzen und Sprachgrenzen Dr. rv. Mariens von er Begriff der natürlichen Grenze hat eine reiche politische Ge¬ schichte hinter sich. Er empfiehlt sich als Waffe im Kampf um den Erdenraum durch den Anschein einer über die Parteien sich erhebenden Autorität. Sein Ansehen hat durch häufigen offen¬ baren Mißbrauch nicht gelitten. Verspricht er doch unanfechtbare Gültigkeit der Ansprüche aufzuzeigen. Und so hat auch der gegenwärtige Kampf der Völker ihn: neues Leben gegeben. Er hat seinen Anteil am Weltkrieg. Die natürlichste Grenze eines Staates ist offenbar die Küste. Mit ihr endet die Grundlage aller Gemeinschaftsbildung, die Bewohnbarkeit der Erd¬ oberfläche. Die Küste schützt freilich nicht überall vor Angriffen. Aber diese sind seltener und leichter abzuwehren als an gewöhnlichen Landgrenzen. Et¬ waige Eroberer aber vergessen ihre Heimat und verschmelzen mit den Ein¬ gesessenen zu einem festen Gemeinwesen. In der Geschichte der Inselstaaten ist die Erkenntnis ihrer Grenzvorteile wesentlich. Die gegenwärtigen Kriegszeiten haben nun freilich eine starke Abhängig¬ keit küstenreicher Länder von der vorherrschenden Seemacht aufgedeckt. Der Schutzwert der Küsten hat merklich gelitten durch die Steigerung der See» beherrschung. Und es ist nicht zu leugnen, daß sich überhaupt regelmäßig auf Grund der besonderen Verkehrsvorzüge der trennenden Wasserflächen ein Streben nach Beherrschung eines ganzen Seeverkehrsgebietes mit seinen Küsten einstellt, eine Entwicklung, die der von uns betrachteten zuwiderläuft. Aber wichtige Vorteile der Meeresgreuzen bleiben doch bestehen. Das Ufer begrenzt einen geschlossenen Lebensraum, es erleichtert den Zusammenschluß der Be¬ wohner zu kräftiger nationaler Kultur. Grenzstreitigkeiten gibt es nicht. Denn wenn auch mit überlegener Kraft eine feindliche Macht festen Fuß fassen sollte, so hat doch diese selbst dabei das Bewußtsein, wenn nicht des Unrechts, so doch der Unregelmäßigkeit. Der Anspruch der eigentlichen Bewohner des Landes auf ihre Meeresgrenze ist selbstverständlich und gültig. Immerhin haben wir festgestellt, daß der Schutzwert dieser natürlichen Grenze niemals vollkommen und gerade in der Gegenwart erheblicher Beein¬ trächtigung ausgesetzt ist. Ähnliche Beobachtungen machen wir bei den viel¬ gestaltigen Naturgrenzen des festen Landes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/211>, abgerufen am 03.05.2024.