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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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lvird England katholisch werden?
Pastor A. Guthke von

eit den Zeiten Cromwells ist es allgemeine Überzeugung ge¬
worden, daß England das Hauptbollwerk des Protestantismus
ist. Deutsche und englische Protestanten haben schon wegen der
Glaubensoerwandtschast, die das englische Volk mit dem größten
Teil der Bewohner Deutschlands verbindet, einen deutsch-englischen
Krieg nicht sür möglich gehalten oder doch sür eine unter allen Umständen zu
vermeidende religiöse und sittliche Versündigung erklärt. Wohl haben an den
kirchlichen Verständigungsbestrebungen zwischen beiden Ländern auch Katholiken
teilgenommen; aber doch die vorausgesetzte Glaubensverwandtschaft spielte
bei der Entstehung dieser Bestrebungen eine nicht geringe Rolle. Dem deutschen
Protestanten war bei dem immer wachsenden Einfluß, den England durch seine
Kolonisationstätigkeit und seine Mission auf die Weltkultur ausübte, bei aller
Kritik an dem englischen Christentum doch oft das ein tröstlicher Gedanke, daß
dieser Einfluß von einer protestantischen Macht ausging und in protestantischen
Sinne wirkte. So muß es gewiß auffallen, daß eine solche Frage, wie die
Überschrift sie enthält, überhaupt aufgeworfen werden kann. Die nachfolgenden
Ausführungen aber sollen zeigen, daß sie in gewissem Sinne doch gestellt
werden darf.

Die Frage ist nicht so zu verstehen, als ob für Englands Protestantismus
die Zahl und die Zunahme der Katholiken eine Gefahr bedeute. Leider fehlen
für England die Grundlagen einer zuverlässigen kirchlichen Statistik, da bei
den Volkszählungen, um auch den Anschein einer Verletzung der religiösen
Freiheit zu vermeiden, keine Angaben über das Bekenntnis gemacht werden
dürfen. Man ist also auf Schätzungen angewiesen. Danach rechnet man im
eigentlichen England (mit Wales) jetzt mit noch nicht zwei Millionen Katholiken,
die aber zu etwa drei Vierteln aus eingewanderten Iren bestehen. In ganz
Großbritannien wohnen etwa sechs Millionen Katholiken, das find vierzehn
Prozent der Bevölkerung. 1841 waren es ungefähr sieben Millionen, sechsund¬
zwanzig Prozent der damaligen Bewohner*). Das Sinken ist die Folge der



*) Diese Zahlen und einige andere tatsächlichen Angaben verdanke ich dem sehr lehr¬
reichen Aufsatz von Professor v. H. Böhmer in Leipzig: "Die Kirche von England und der
Protestantismus- in der "Neuen Kirchlichen Zeitschrift" ISIS, Heft 8 und 9. Besonders
Theologen ist diese gründliche Arbeit zur Berichtigung vieler falschen Anschauungen sehr zu
empfehlen.


lvird England katholisch werden?
Pastor A. Guthke von

eit den Zeiten Cromwells ist es allgemeine Überzeugung ge¬
worden, daß England das Hauptbollwerk des Protestantismus
ist. Deutsche und englische Protestanten haben schon wegen der
Glaubensoerwandtschast, die das englische Volk mit dem größten
Teil der Bewohner Deutschlands verbindet, einen deutsch-englischen
Krieg nicht sür möglich gehalten oder doch sür eine unter allen Umständen zu
vermeidende religiöse und sittliche Versündigung erklärt. Wohl haben an den
kirchlichen Verständigungsbestrebungen zwischen beiden Ländern auch Katholiken
teilgenommen; aber doch die vorausgesetzte Glaubensverwandtschaft spielte
bei der Entstehung dieser Bestrebungen eine nicht geringe Rolle. Dem deutschen
Protestanten war bei dem immer wachsenden Einfluß, den England durch seine
Kolonisationstätigkeit und seine Mission auf die Weltkultur ausübte, bei aller
Kritik an dem englischen Christentum doch oft das ein tröstlicher Gedanke, daß
dieser Einfluß von einer protestantischen Macht ausging und in protestantischen
Sinne wirkte. So muß es gewiß auffallen, daß eine solche Frage, wie die
Überschrift sie enthält, überhaupt aufgeworfen werden kann. Die nachfolgenden
Ausführungen aber sollen zeigen, daß sie in gewissem Sinne doch gestellt
werden darf.

Die Frage ist nicht so zu verstehen, als ob für Englands Protestantismus
die Zahl und die Zunahme der Katholiken eine Gefahr bedeute. Leider fehlen
für England die Grundlagen einer zuverlässigen kirchlichen Statistik, da bei
den Volkszählungen, um auch den Anschein einer Verletzung der religiösen
Freiheit zu vermeiden, keine Angaben über das Bekenntnis gemacht werden
dürfen. Man ist also auf Schätzungen angewiesen. Danach rechnet man im
eigentlichen England (mit Wales) jetzt mit noch nicht zwei Millionen Katholiken,
die aber zu etwa drei Vierteln aus eingewanderten Iren bestehen. In ganz
Großbritannien wohnen etwa sechs Millionen Katholiken, das find vierzehn
Prozent der Bevölkerung. 1841 waren es ungefähr sieben Millionen, sechsund¬
zwanzig Prozent der damaligen Bewohner*). Das Sinken ist die Folge der



*) Diese Zahlen und einige andere tatsächlichen Angaben verdanke ich dem sehr lehr¬
reichen Aufsatz von Professor v. H. Böhmer in Leipzig: „Die Kirche von England und der
Protestantismus- in der „Neuen Kirchlichen Zeitschrift" ISIS, Heft 8 und 9. Besonders
Theologen ist diese gründliche Arbeit zur Berichtigung vieler falschen Anschauungen sehr zu
empfehlen.
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[0405] [Abbildung] lvird England katholisch werden? Pastor A. Guthke von eit den Zeiten Cromwells ist es allgemeine Überzeugung ge¬ worden, daß England das Hauptbollwerk des Protestantismus ist. Deutsche und englische Protestanten haben schon wegen der Glaubensoerwandtschast, die das englische Volk mit dem größten Teil der Bewohner Deutschlands verbindet, einen deutsch-englischen Krieg nicht sür möglich gehalten oder doch sür eine unter allen Umständen zu vermeidende religiöse und sittliche Versündigung erklärt. Wohl haben an den kirchlichen Verständigungsbestrebungen zwischen beiden Ländern auch Katholiken teilgenommen; aber doch die vorausgesetzte Glaubensverwandtschaft spielte bei der Entstehung dieser Bestrebungen eine nicht geringe Rolle. Dem deutschen Protestanten war bei dem immer wachsenden Einfluß, den England durch seine Kolonisationstätigkeit und seine Mission auf die Weltkultur ausübte, bei aller Kritik an dem englischen Christentum doch oft das ein tröstlicher Gedanke, daß dieser Einfluß von einer protestantischen Macht ausging und in protestantischen Sinne wirkte. So muß es gewiß auffallen, daß eine solche Frage, wie die Überschrift sie enthält, überhaupt aufgeworfen werden kann. Die nachfolgenden Ausführungen aber sollen zeigen, daß sie in gewissem Sinne doch gestellt werden darf. Die Frage ist nicht so zu verstehen, als ob für Englands Protestantismus die Zahl und die Zunahme der Katholiken eine Gefahr bedeute. Leider fehlen für England die Grundlagen einer zuverlässigen kirchlichen Statistik, da bei den Volkszählungen, um auch den Anschein einer Verletzung der religiösen Freiheit zu vermeiden, keine Angaben über das Bekenntnis gemacht werden dürfen. Man ist also auf Schätzungen angewiesen. Danach rechnet man im eigentlichen England (mit Wales) jetzt mit noch nicht zwei Millionen Katholiken, die aber zu etwa drei Vierteln aus eingewanderten Iren bestehen. In ganz Großbritannien wohnen etwa sechs Millionen Katholiken, das find vierzehn Prozent der Bevölkerung. 1841 waren es ungefähr sieben Millionen, sechsund¬ zwanzig Prozent der damaligen Bewohner*). Das Sinken ist die Folge der *) Diese Zahlen und einige andere tatsächlichen Angaben verdanke ich dem sehr lehr¬ reichen Aufsatz von Professor v. H. Böhmer in Leipzig: „Die Kirche von England und der Protestantismus- in der „Neuen Kirchlichen Zeitschrift" ISIS, Heft 8 und 9. Besonders Theologen ist diese gründliche Arbeit zur Berichtigung vieler falschen Anschauungen sehr zu empfehlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/405>, abgerufen am 03.05.2024.