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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Bemerkungen zum Tage
Polnische Irrungen.

Die Politik des 8. November 1916 ist zusammengebrochen.
Nach Meldungen aus Warschau "hat der provisorische Staatsrat beschlossen, sein
Mandat niederzulegen. Ferner hat er die Bildung eines Ausschusses beschlossen,
dem sämtliche Verwaltungs- und Haushaltsangelegenheiten, für die der Staatsrat
zuständig ist, insbesondere diejenigen betreffend Übernahme des Gerichts- und
Schulwesens, übertragen werden sollen". In der von Wolfs verbreiteten offiziösen
Meldung heißt es dann zum Schluß: "Der bisherige Zustand wird durch diese
Beschlüsse sachlich nicht verändert', da die Bildung des Ausschusses die Fortführung
der Staatsratsgeschüfte sichert."

Das "Berliner Tageblatt" bemerkt hierzu: ". .. es liegt im slawischen Volks¬
charakter, daß er sich nur langsam und widerstrebend zu einer festen und ge¬
schlossenen Taktik organisieren läßt. Aber mit solchen Schwierigkeiten hat man
naturgemäß bereits rechnen müssen, als die polnische Autonomie in die Wege ge-
leitet wurde."

Hier ist zutreffend der innerste Grund angedeutet, weshalb die Politik des
Herrn von Bethmann Hollweg in Polen Schiffbruch leiden mußte. Es fehlte ihr
die ruhige, Vertrauen erzwingende Kraft, die ihrer ganzen großen Verantwortung
bewußt, die Geschichte Polens fest in die Hand nahm. Statt eines zielsicheren Auf¬
baues begann bald nach der Einnahme von Warschau ein zögerndes, schwankendes
Geben von Einzelgaben, die man sich durch Bettel und Intrige und grobe Schmeichelei
ablisten ließ. Unsicher auf unbekanntem Terrain tastend, glaubte man das Heil
darin erkennen zu müssen, daß man sich von der Verantwortung lossagte und sie
auf die schwachen Schultern des polnischen Staatsrates legte. Gewiß, die Polen
haben es gewollt! Sie drängten danach, wie der ideale Jüngling nach Betätigung
in den höchsten Wirkungskreisen sich dränget Sie drängten danach, ohne einen Begriff
von der Größe der zu leistenden ernsten, sauern, zermürbenden Tagesarbeit zu
haben, die ihnen bevorstand, und in der Hoffnung ein Volk hinter sich zu haben,
reifer wie jenes, das dem Marquis Wjelopolski im Jahre 1863 den Aufbau eines
polnischen Staates durch sein kindisches Drängen unmöglich machte. Sie drängten
sich gewiß mit gutem Willen: die Radziwil, Ronikier, Druckt-Lubecki, die Pro¬
fessoren Kowalski, Brudzinski und wie sie alle hießen, stellten sich seinerzeit durch-
aus ohne Falsch und im guten Glauben an ihr Können dem Generalgouvemeur
zur Verfügung. Und nicht sie trifft der Vorwurf, wenn heute das Gebäude zu¬
sammenbricht, sondern jene, die übersahen, daß sie es nicht mit hart geschmiedeten
politischen Kämpfern zu tun hatten; mit gefestigten Politikern, die es wagen
würden auch gegen den Strom zu schwimmen. Es wurde von unserer Seite-




Bemerkungen zum Tage
Polnische Irrungen.

Die Politik des 8. November 1916 ist zusammengebrochen.
Nach Meldungen aus Warschau „hat der provisorische Staatsrat beschlossen, sein
Mandat niederzulegen. Ferner hat er die Bildung eines Ausschusses beschlossen,
dem sämtliche Verwaltungs- und Haushaltsangelegenheiten, für die der Staatsrat
zuständig ist, insbesondere diejenigen betreffend Übernahme des Gerichts- und
Schulwesens, übertragen werden sollen". In der von Wolfs verbreiteten offiziösen
Meldung heißt es dann zum Schluß: „Der bisherige Zustand wird durch diese
Beschlüsse sachlich nicht verändert', da die Bildung des Ausschusses die Fortführung
der Staatsratsgeschüfte sichert."

Das „Berliner Tageblatt" bemerkt hierzu: „. .. es liegt im slawischen Volks¬
charakter, daß er sich nur langsam und widerstrebend zu einer festen und ge¬
schlossenen Taktik organisieren läßt. Aber mit solchen Schwierigkeiten hat man
naturgemäß bereits rechnen müssen, als die polnische Autonomie in die Wege ge-
leitet wurde."

Hier ist zutreffend der innerste Grund angedeutet, weshalb die Politik des
Herrn von Bethmann Hollweg in Polen Schiffbruch leiden mußte. Es fehlte ihr
die ruhige, Vertrauen erzwingende Kraft, die ihrer ganzen großen Verantwortung
bewußt, die Geschichte Polens fest in die Hand nahm. Statt eines zielsicheren Auf¬
baues begann bald nach der Einnahme von Warschau ein zögerndes, schwankendes
Geben von Einzelgaben, die man sich durch Bettel und Intrige und grobe Schmeichelei
ablisten ließ. Unsicher auf unbekanntem Terrain tastend, glaubte man das Heil
darin erkennen zu müssen, daß man sich von der Verantwortung lossagte und sie
auf die schwachen Schultern des polnischen Staatsrates legte. Gewiß, die Polen
haben es gewollt! Sie drängten danach, wie der ideale Jüngling nach Betätigung
in den höchsten Wirkungskreisen sich dränget Sie drängten danach, ohne einen Begriff
von der Größe der zu leistenden ernsten, sauern, zermürbenden Tagesarbeit zu
haben, die ihnen bevorstand, und in der Hoffnung ein Volk hinter sich zu haben,
reifer wie jenes, das dem Marquis Wjelopolski im Jahre 1863 den Aufbau eines
polnischen Staates durch sein kindisches Drängen unmöglich machte. Sie drängten
sich gewiß mit gutem Willen: die Radziwil, Ronikier, Druckt-Lubecki, die Pro¬
fessoren Kowalski, Brudzinski und wie sie alle hießen, stellten sich seinerzeit durch-
aus ohne Falsch und im guten Glauben an ihr Können dem Generalgouvemeur
zur Verfügung. Und nicht sie trifft der Vorwurf, wenn heute das Gebäude zu¬
sammenbricht, sondern jene, die übersahen, daß sie es nicht mit hart geschmiedeten
politischen Kämpfern zu tun hatten; mit gefestigten Politikern, die es wagen
würden auch gegen den Strom zu schwimmen. Es wurde von unserer Seite-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/358>, abgerufen am 04.05.2024.