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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

erhoben haben -- beinahe vom ersten Tage der Beratungen an "Petroleum ins
Feuer" der aufgeregten Volksstimmung gössen, so brachen von dieser Seite
und auf der gesamten Linken die Versuche nicht ab, den ruhigen Gang der
Verhandlungen durch fortgesetzte Anrempeleien über Verschleppungsmanöver
usw. zu stören. Eigentlich sollte man von jenen Parteien etwas mehr Respekt
vor dem loyalen Gange parlamentarischer Verhandlungen erwarten; allerdings
belehrt ihr sonstiges Verhalten eines Besseren, wird doch von ihnen mit
einer naiven Selbstverständlichkeit der Negierung Verfassungsbruch in Form der
Oktroyierung nahegelegt. Der traditionelle Kultus der "Konstitution" scheint
Ausnahmen zu kennen, wenn es um die eigenen Interessen geht. Auch hier
darf der König absolut sein, "wenn er unsern Willen tut".

Alle die mit und ohne Hintergedanken angestellten Erwägungen, was die
Regierung zu tun gedenke, kommen recht verfrüht, denn erst spricht noch einmal
die Kommission und dann gibt es noch zwei Machtproben im Plenum, bevor die
Regierung "handeln" muß. Was man bisher sagen kann, ist nur --- um mit
einer Ketzerei zu schließen -- daß die einschneidende legislatorische Maßnahme
das Z 3 der Regierungsvorlage, die wichtigste seit es überhaupt konstitutionelle
Gesetze gibt, in verhältnismäßig rascher Zeit in erster Instanz erledigt wurde.
Aber unsere "Demokratie" will heutzutage nicht zugeben, daß alles mit rechten
W Dingen zugeht.




Maßgebliches und Unmaßgebliche--

[Beginn Spaltensatz]

Um die Aufregung
der Polen über die im ersten Frieden von
Litauisch - Brest gefundenen Grenzen gegen die
Mraina in den österreichischen Parlamenten
zu beschwichtigen, ist zwischen den beteiligten
Mächten und den Polen ein Zusatzabkommen
zum Frieden mit der Mraina abgeschlossen
worden, daß die Einsetzung einer auch von
den Polen zu beschickenden Kommission zur
endgültigen Festlegung der Grenze vorsieht.
Die Polen behaupten, ihnen sei durch die
Grenzfestsetzung vom 9. Februar furchtbares
Unrecht zugefügt z die Ukrainer vertreten dem¬
gegenüber den auch von den Mittemächten
anerkannten Standpunkt, daß sie nur das
bekommen hätten, was ihnen ethnographisch
zukäme.

Die Cholmer Frage. [Spaltenumbruch]

Wie liegen nun die Dinge tatsächlich?

Erinnern wir uns zunächst, daß das
Cholmer Land zu jenem großen Zwischen--
gebiet gehört, das zwischen dem orthodoxen
Moskaner und dem katholischen Staate der
Polen gelegen, seit fast zweihundert Jahren
Tummelplatz des Kampfes um die Seelen
der Bevölkerung zwischen Rom und Moskau
gewesen ist. Dies Zwischengebiet umfaßte im
wesentlichen die Gouvernements des alten
russischen Nordwest- und Südwestgebietes
(Litauen, Weißrußland, Mraina, Südru߬
land). Der Kampf wird in den Geschichts¬
büchern beschrieben unter dem Titel "Unions¬
bestrebungen". Damit wird der staats-
Politische Kern des Kampfes verschleiert, aber
der Kampf selbst ungeheuer verschärft, weil

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

erhoben haben — beinahe vom ersten Tage der Beratungen an „Petroleum ins
Feuer" der aufgeregten Volksstimmung gössen, so brachen von dieser Seite
und auf der gesamten Linken die Versuche nicht ab, den ruhigen Gang der
Verhandlungen durch fortgesetzte Anrempeleien über Verschleppungsmanöver
usw. zu stören. Eigentlich sollte man von jenen Parteien etwas mehr Respekt
vor dem loyalen Gange parlamentarischer Verhandlungen erwarten; allerdings
belehrt ihr sonstiges Verhalten eines Besseren, wird doch von ihnen mit
einer naiven Selbstverständlichkeit der Negierung Verfassungsbruch in Form der
Oktroyierung nahegelegt. Der traditionelle Kultus der „Konstitution" scheint
Ausnahmen zu kennen, wenn es um die eigenen Interessen geht. Auch hier
darf der König absolut sein, „wenn er unsern Willen tut".

Alle die mit und ohne Hintergedanken angestellten Erwägungen, was die
Regierung zu tun gedenke, kommen recht verfrüht, denn erst spricht noch einmal
die Kommission und dann gibt es noch zwei Machtproben im Plenum, bevor die
Regierung „handeln" muß. Was man bisher sagen kann, ist nur —- um mit
einer Ketzerei zu schließen — daß die einschneidende legislatorische Maßnahme
das Z 3 der Regierungsvorlage, die wichtigste seit es überhaupt konstitutionelle
Gesetze gibt, in verhältnismäßig rascher Zeit in erster Instanz erledigt wurde.
Aber unsere „Demokratie" will heutzutage nicht zugeben, daß alles mit rechten
W Dingen zugeht.




Maßgebliches und Unmaßgebliche--

[Beginn Spaltensatz]

Um die Aufregung
der Polen über die im ersten Frieden von
Litauisch - Brest gefundenen Grenzen gegen die
Mraina in den österreichischen Parlamenten
zu beschwichtigen, ist zwischen den beteiligten
Mächten und den Polen ein Zusatzabkommen
zum Frieden mit der Mraina abgeschlossen
worden, daß die Einsetzung einer auch von
den Polen zu beschickenden Kommission zur
endgültigen Festlegung der Grenze vorsieht.
Die Polen behaupten, ihnen sei durch die
Grenzfestsetzung vom 9. Februar furchtbares
Unrecht zugefügt z die Ukrainer vertreten dem¬
gegenüber den auch von den Mittemächten
anerkannten Standpunkt, daß sie nur das
bekommen hätten, was ihnen ethnographisch
zukäme.

Die Cholmer Frage. [Spaltenumbruch]

Wie liegen nun die Dinge tatsächlich?

Erinnern wir uns zunächst, daß das
Cholmer Land zu jenem großen Zwischen--
gebiet gehört, das zwischen dem orthodoxen
Moskaner und dem katholischen Staate der
Polen gelegen, seit fast zweihundert Jahren
Tummelplatz des Kampfes um die Seelen
der Bevölkerung zwischen Rom und Moskau
gewesen ist. Dies Zwischengebiet umfaßte im
wesentlichen die Gouvernements des alten
russischen Nordwest- und Südwestgebietes
(Litauen, Weißrußland, Mraina, Südru߬
land). Der Kampf wird in den Geschichts¬
büchern beschrieben unter dem Titel „Unions¬
bestrebungen". Damit wird der staats-
Politische Kern des Kampfes verschleiert, aber
der Kampf selbst ungeheuer verschärft, weil

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/270>, abgerufen am 05.05.2024.