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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

er sich der religiösen Leidenschaften der Be¬
völkerung ebenso bedient, wie ihrer Habsucht.
Im achtzehnten Jahrhundert wurden die
Unionsbestrebungen, das sind die Versuche,
die Bevölkerung des Zwischengebietes mit der
orthodoxen Kirche zu vereinigen (unieren),
>in Südwestgebiet mit Erfolg durch Katharina
die Große betrieben. Im Nordwestgebiet be¬
sorgte der Uniatenbischof Sjemaschko unter
Nikolaus dem Ersten die entsprechende Arbeit,
während Murawjew das Werk der Union
politisch vollendete.

Im Cholmer Lande war es dem Bischof
Martell Popiel am 23. März 187ö vorbe-
halten "mit seiner Diozöse" den Anschluß an
oieorthodoxe Kirche zu gewinnen. Damit waren
die ethnographisch von: Rusfentum für sich in
Anspruch genommenen Gebiete, die seit dem
siebzehnten Jahrhundert vom polnisch-litau¬
ischen Staate in Besitz genommen waren,
wieder mit der russischen Kirche vereinigt
>,reuniert". Diese Wiedervereinigungen er-
folgten immer in einem Moment, wo bereits
der polnisch-katholische Einfluß so stark ge¬
worden war, daß die eingeborene nichtpol¬
nische Bevölkerung durch Vermittlung der
katholischen Geistlichkeit und die polnische
Herrenschicht schon im Begriff stand, dem
Polentum zu verfallen und seine ursprüngliche
Eigenart zu vergessen. Infolgedessen folgte
dem formellen Übertritt einer Diözöse ge¬
wöhnlich erst ein erbarmungsloser Kampf der
Verwaltungsbehörden, um die Bevölkerung
"und zur Nachfolge zu zwingen. Im Cholmer
Land, das die östlichen Kreise der Gouverne¬
ments Ludim und Sjedlec umfaßt, haben die
Oberprokurore deS Heiligston spröd Tolstoi
und Pobjedonostzew durch den Publizisten
Katkow, den Generalgouvemeur Gurko und
Zuletzt durch den Bischof Eulogius im Sinne
dieser Aufgabe gewirkt, mit unmenschlicher
Grausamkeit, wie hinzugefügt werden kann,
die aber doch übertroffen wurde von den
Grausamkeiten, die sich die polnischen Agita-
ioren zuschulden kommen ließen, als
am 17. April 190ö ein zarischer Mas die
Glaubensfreiheit verkündete. Damals traten
etwa 260000 "Kleinrussen" zur katholischen
Kirche über.

Wurde scheinbar um den Glauben der
Arkaden Chvlms gekämpst, so ging es tat¬

[Spaltenumbruch]

sächlich in allen den Jahren um die Gewin¬
nung der Ukrainer für den großrussischen
Volksstamm oder für die Polen. Die Be¬
zeichnung "katholisch-' oder "orthodox" als
Synonyma für "polnisch" und "ukrainisch"
ist daher willkürlich. In den Kampfjahien
besonders nach 1904 hat sich zwar das ka¬
tholische Bekenntnis ausbreiten können; da¬
neben aber ist allmählich ein "ruthenisches"
ukrainisches Bewußtsein, nicht etwa ein Pol¬
nisches aufgewachsen. Die Kämpfe bei den
Dumawahlen wurden schon auf völkischer
Grundlage, vor allen Dingen gegen die
Polen geführt und die ukrainische Bevölkerung
ging trotz ihrer Zugehörigkeit zum Katho¬
lizismus hinter den Losungen des sogenannten
"schwarzen Hunderts" des Bischofs Eulogius,
nachdem sich dieses gegenüber dem Polnischen
Grundbesitz das Agrarprogramm der süd-
russischenSozialrevolutionäre angeeignethatle.
-- Die Ukrainer können somit rin einiger
Ruhe den Kommissionsentscheidungen ent¬
gegensehen: für sie haben Polen und Mos¬
kowiter und die Zeit gearbeitet. (Näheres
vergl. Cleinow, "Die Zukunft Polens", Ver¬
lag Friedr. Wilh. Grunow, Leipzig Band II
Seite 170 bis 198.)

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G. Cleinow
Zurück zum alten Bodenrecht!

Di
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derungen nach einer Wohnungsfürsorge, als
der wichtigsten Aufgabe des Staates (Reich,
Bundesstaaten und kommunale Körperschaften)
in der Übergangswirtschaft, müssen immer'
dringender erhoben werden, da Grund zu
den schwersten Besorgnissen vorliegt. Denn
wenn man bedenkt, daß in vergangener
Friedenswirtschaft alljährlich rund 198000
Kleinwohnungen und in jetziger Kriegszeit
fast gar keine gebaut worden sind, so wird
man der Tragweite einer Hintenansetzung
der Kleinwohnungspolitik voll und ganz be¬
wußt.

Schauen wir rückwärts: Was brachte uns
der Friede von 1871 ? Neben der Aufrichtung
des deutschen Kaisertums, das im Volke die
höchste Potenz nationaler Gefühle, nationaler
Zusammengehörigkeit hervorrief und aller¬
seits Jubel und Hoffnungen auf eine bessere
soziale Zukunft auflöste, die Wohnungsnot
in des Wortes vollster und schärfster Be¬
deutung, den Umschlag der optimistischen Ge¬
fühlsregungen zu Zweifel und Verzweiflung.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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er sich der religiösen Leidenschaften der Be¬
völkerung ebenso bedient, wie ihrer Habsucht.
Im achtzehnten Jahrhundert wurden die
Unionsbestrebungen, das sind die Versuche,
die Bevölkerung des Zwischengebietes mit der
orthodoxen Kirche zu vereinigen (unieren),
>in Südwestgebiet mit Erfolg durch Katharina
die Große betrieben. Im Nordwestgebiet be¬
sorgte der Uniatenbischof Sjemaschko unter
Nikolaus dem Ersten die entsprechende Arbeit,
während Murawjew das Werk der Union
politisch vollendete.

Im Cholmer Lande war es dem Bischof
Martell Popiel am 23. März 187ö vorbe-
halten „mit seiner Diozöse" den Anschluß an
oieorthodoxe Kirche zu gewinnen. Damit waren
die ethnographisch von: Rusfentum für sich in
Anspruch genommenen Gebiete, die seit dem
siebzehnten Jahrhundert vom polnisch-litau¬
ischen Staate in Besitz genommen waren,
wieder mit der russischen Kirche vereinigt
>,reuniert". Diese Wiedervereinigungen er-
folgten immer in einem Moment, wo bereits
der polnisch-katholische Einfluß so stark ge¬
worden war, daß die eingeborene nichtpol¬
nische Bevölkerung durch Vermittlung der
katholischen Geistlichkeit und die polnische
Herrenschicht schon im Begriff stand, dem
Polentum zu verfallen und seine ursprüngliche
Eigenart zu vergessen. Infolgedessen folgte
dem formellen Übertritt einer Diözöse ge¬
wöhnlich erst ein erbarmungsloser Kampf der
Verwaltungsbehörden, um die Bevölkerung
"und zur Nachfolge zu zwingen. Im Cholmer
Land, das die östlichen Kreise der Gouverne¬
ments Ludim und Sjedlec umfaßt, haben die
Oberprokurore deS Heiligston spröd Tolstoi
und Pobjedonostzew durch den Publizisten
Katkow, den Generalgouvemeur Gurko und
Zuletzt durch den Bischof Eulogius im Sinne
dieser Aufgabe gewirkt, mit unmenschlicher
Grausamkeit, wie hinzugefügt werden kann,
die aber doch übertroffen wurde von den
Grausamkeiten, die sich die polnischen Agita-
ioren zuschulden kommen ließen, als
am 17. April 190ö ein zarischer Mas die
Glaubensfreiheit verkündete. Damals traten
etwa 260000 „Kleinrussen" zur katholischen
Kirche über.

Wurde scheinbar um den Glauben der
Arkaden Chvlms gekämpst, so ging es tat¬

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sächlich in allen den Jahren um die Gewin¬
nung der Ukrainer für den großrussischen
Volksstamm oder für die Polen. Die Be¬
zeichnung „katholisch-' oder „orthodox" als
Synonyma für „polnisch" und „ukrainisch"
ist daher willkürlich. In den Kampfjahien
besonders nach 1904 hat sich zwar das ka¬
tholische Bekenntnis ausbreiten können; da¬
neben aber ist allmählich ein „ruthenisches"
ukrainisches Bewußtsein, nicht etwa ein Pol¬
nisches aufgewachsen. Die Kämpfe bei den
Dumawahlen wurden schon auf völkischer
Grundlage, vor allen Dingen gegen die
Polen geführt und die ukrainische Bevölkerung
ging trotz ihrer Zugehörigkeit zum Katho¬
lizismus hinter den Losungen des sogenannten
„schwarzen Hunderts" des Bischofs Eulogius,
nachdem sich dieses gegenüber dem Polnischen
Grundbesitz das Agrarprogramm der süd-
russischenSozialrevolutionäre angeeignethatle.
— Die Ukrainer können somit rin einiger
Ruhe den Kommissionsentscheidungen ent¬
gegensehen: für sie haben Polen und Mos¬
kowiter und die Zeit gearbeitet. (Näheres
vergl. Cleinow, „Die Zukunft Polens", Ver¬
lag Friedr. Wilh. Grunow, Leipzig Band II
Seite 170 bis 198.)

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G. Cleinow
Zurück zum alten Bodenrecht!

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derungen nach einer Wohnungsfürsorge, als
der wichtigsten Aufgabe des Staates (Reich,
Bundesstaaten und kommunale Körperschaften)
in der Übergangswirtschaft, müssen immer'
dringender erhoben werden, da Grund zu
den schwersten Besorgnissen vorliegt. Denn
wenn man bedenkt, daß in vergangener
Friedenswirtschaft alljährlich rund 198000
Kleinwohnungen und in jetziger Kriegszeit
fast gar keine gebaut worden sind, so wird
man der Tragweite einer Hintenansetzung
der Kleinwohnungspolitik voll und ganz be¬
wußt.

Schauen wir rückwärts: Was brachte uns
der Friede von 1871 ? Neben der Aufrichtung
des deutschen Kaisertums, das im Volke die
höchste Potenz nationaler Gefühle, nationaler
Zusammengehörigkeit hervorrief und aller¬
seits Jubel und Hoffnungen auf eine bessere
soziale Zukunft auflöste, die Wohnungsnot
in des Wortes vollster und schärfster Be¬
deutung, den Umschlag der optimistischen Ge¬
fühlsregungen zu Zweifel und Verzweiflung.

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[0271] Maßgebliches und Unmaßgebliches er sich der religiösen Leidenschaften der Be¬ völkerung ebenso bedient, wie ihrer Habsucht. Im achtzehnten Jahrhundert wurden die Unionsbestrebungen, das sind die Versuche, die Bevölkerung des Zwischengebietes mit der orthodoxen Kirche zu vereinigen (unieren), >in Südwestgebiet mit Erfolg durch Katharina die Große betrieben. Im Nordwestgebiet be¬ sorgte der Uniatenbischof Sjemaschko unter Nikolaus dem Ersten die entsprechende Arbeit, während Murawjew das Werk der Union politisch vollendete. Im Cholmer Lande war es dem Bischof Martell Popiel am 23. März 187ö vorbe- halten „mit seiner Diozöse" den Anschluß an oieorthodoxe Kirche zu gewinnen. Damit waren die ethnographisch von: Rusfentum für sich in Anspruch genommenen Gebiete, die seit dem siebzehnten Jahrhundert vom polnisch-litau¬ ischen Staate in Besitz genommen waren, wieder mit der russischen Kirche vereinigt >,reuniert". Diese Wiedervereinigungen er- folgten immer in einem Moment, wo bereits der polnisch-katholische Einfluß so stark ge¬ worden war, daß die eingeborene nichtpol¬ nische Bevölkerung durch Vermittlung der katholischen Geistlichkeit und die polnische Herrenschicht schon im Begriff stand, dem Polentum zu verfallen und seine ursprüngliche Eigenart zu vergessen. Infolgedessen folgte dem formellen Übertritt einer Diözöse ge¬ wöhnlich erst ein erbarmungsloser Kampf der Verwaltungsbehörden, um die Bevölkerung "und zur Nachfolge zu zwingen. Im Cholmer Land, das die östlichen Kreise der Gouverne¬ ments Ludim und Sjedlec umfaßt, haben die Oberprokurore deS Heiligston spröd Tolstoi und Pobjedonostzew durch den Publizisten Katkow, den Generalgouvemeur Gurko und Zuletzt durch den Bischof Eulogius im Sinne dieser Aufgabe gewirkt, mit unmenschlicher Grausamkeit, wie hinzugefügt werden kann, die aber doch übertroffen wurde von den Grausamkeiten, die sich die polnischen Agita- ioren zuschulden kommen ließen, als am 17. April 190ö ein zarischer Mas die Glaubensfreiheit verkündete. Damals traten etwa 260000 „Kleinrussen" zur katholischen Kirche über. Wurde scheinbar um den Glauben der Arkaden Chvlms gekämpst, so ging es tat¬ sächlich in allen den Jahren um die Gewin¬ nung der Ukrainer für den großrussischen Volksstamm oder für die Polen. Die Be¬ zeichnung „katholisch-' oder „orthodox" als Synonyma für „polnisch" und „ukrainisch" ist daher willkürlich. In den Kampfjahien besonders nach 1904 hat sich zwar das ka¬ tholische Bekenntnis ausbreiten können; da¬ neben aber ist allmählich ein „ruthenisches" ukrainisches Bewußtsein, nicht etwa ein Pol¬ nisches aufgewachsen. Die Kämpfe bei den Dumawahlen wurden schon auf völkischer Grundlage, vor allen Dingen gegen die Polen geführt und die ukrainische Bevölkerung ging trotz ihrer Zugehörigkeit zum Katho¬ lizismus hinter den Losungen des sogenannten „schwarzen Hunderts" des Bischofs Eulogius, nachdem sich dieses gegenüber dem Polnischen Grundbesitz das Agrarprogramm der süd- russischenSozialrevolutionäre angeeignethatle. — Die Ukrainer können somit rin einiger Ruhe den Kommissionsentscheidungen ent¬ gegensehen: für sie haben Polen und Mos¬ kowiter und die Zeit gearbeitet. (Näheres vergl. Cleinow, „Die Zukunft Polens", Ver¬ lag Friedr. Wilh. Grunow, Leipzig Band II Seite 170 bis 198.) ,, G. Cleinow Zurück zum alten Bodenrecht! Di e For¬ derungen nach einer Wohnungsfürsorge, als der wichtigsten Aufgabe des Staates (Reich, Bundesstaaten und kommunale Körperschaften) in der Übergangswirtschaft, müssen immer' dringender erhoben werden, da Grund zu den schwersten Besorgnissen vorliegt. Denn wenn man bedenkt, daß in vergangener Friedenswirtschaft alljährlich rund 198000 Kleinwohnungen und in jetziger Kriegszeit fast gar keine gebaut worden sind, so wird man der Tragweite einer Hintenansetzung der Kleinwohnungspolitik voll und ganz be¬ wußt. Schauen wir rückwärts: Was brachte uns der Friede von 1871 ? Neben der Aufrichtung des deutschen Kaisertums, das im Volke die höchste Potenz nationaler Gefühle, nationaler Zusammengehörigkeit hervorrief und aller¬ seits Jubel und Hoffnungen auf eine bessere soziale Zukunft auflöste, die Wohnungsnot in des Wortes vollster und schärfster Be¬ deutung, den Umschlag der optimistischen Ge¬ fühlsregungen zu Zweifel und Verzweiflung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/271>, abgerufen am 18.05.2024.