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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufbau im Osten

9er Aufbau im Osten
Georg Lleinow von
Unser Verhältnis zu Rußland

er Kaiser hat den Ministerialdirektor Dr. Grafen von Keyserlingk
"zum Kommissar des Reichskanzlers für die Bearbeitung der An¬
gelegenheiten von Litauen, Kurland und der übrigen östlichen Ge¬
biete -- das sind Livland, Estland, Letgalen, Weißrußland ---, mit
Ausnahme von Polen", ernannt. Damit ist zögernd der Weg be¬
treten, der zur völligen politischen Zusammenfassung der um die Dura herum¬
liegenden Gebiete führen kann, wie sie im vorigen Heft vorgeschlagen wurde. Ob
man soweit gehen will, ist freilich eine andere Frage. Die Entscheidung darüber
wird sehr wesentlich davon abhängen, wie sich die betroffenen Gebiete selbst dazu
stellen. -- Inzwischen wird wohl die Regierung wieder zahlreiche Warnungen aus
den Kreisen, die vor dem .Kriege in irgendwelchen wirtschaftlichen oder ideellen
Beziehungen zu Rußland gestanden haben, zu hören bekommen, doch ja nicht zu
früh dauernde Verhältnisse im Osten zu schaffen, die einer späteren Verständigung
mit Rußland hindernd im Wege stehen könnten. Die heute noch so denken,
wurzeln mit ihren Anschauungen bewußt und unbewußt in den Gedankengängen,
die Bismarcks Politik leitete. Sie. können es sich nicht vorstellen, daß Nußland
nun einfach beiseite geschoben sein und nicht doch wieder einen Machtfaktor
darstellen sollte, nach dem Deutschlands Politik sich einzurichten haben werde. Bei
den wirtschaftlich interessierten, ebenso wie bei einer gewissen Richtung von Kon¬
tinentalpolitikern, spielen die alten Vorstellungen sogar eine so große Rolle, daß
man bei ihnen dem Wunsche begegnet, Rußland möchte sich so schnell als möglich
wieder unter einem Zaren sammeln, zu Kraft und Ansehen gelangen, damit es
uns, nun durch Schaden klug geworden, wieder wirtschaftlichen und politischen
Rückhalt in den Welt- und Kontinentalgeschästen gewähren könnte; um diesen Preis
wären sie sogar bereit, alle Rußland abgenommenen Gebiets wieder heraus¬
zugeben. Dabei ist ihr Blick starr auf Moskau und Petersburg gerichtet, wo
nach ihrer Meinung auch fernerhin Rußlands Macht liegen werde. Es sind zu ernste
Kreise, die solchen Auffassungen huldigen, als daß die Regierung über sie still¬
schweigend zur Tagesordnung übergehen dürfte. In der Sache selbst sind sie
durch die Taisacheu vorläufig ins Unrecht gesetzt. Das hindert jedoch nicht, daß
der stärkste Träger ihrer Gründe, der Glaube an die Zukunft Rußlands,
ein durchaus richtiges Gefühl ist.

Auch ich bekenne mich zu dem Glauben, daß Rußlands Geschick durch den
bisherigen Zusammenbruch nicht endgültig besiegelt ist. Die Völker Rußlands
werden sich, in irgendeiner Form wieder zu Macht und Ansehen zusammen¬
schließen und Rußlands angeblicher Zerfall wird sich uns, wenn es seine innere
Krise erst überstanden hat, als eine Befreiung starker, bisher gefesselter Kräfte ent¬
hüllen, die, auf ein gemeinsames Ziel geeint, Anspruch auf Beachtung und Berück¬
sichtigung in der Weltpolitik heischen werden. Wir selbst, unsre Kaufleute und
Ingenieure werden ihnen dabei helfen und unsere Truppen sind schon an der
Arbeit, die dem Wiederaufbau von ganz Rußland dient, indem sie die Ukraina von


Der Aufbau im Osten

9er Aufbau im Osten
Georg Lleinow von
Unser Verhältnis zu Rußland

er Kaiser hat den Ministerialdirektor Dr. Grafen von Keyserlingk
„zum Kommissar des Reichskanzlers für die Bearbeitung der An¬
gelegenheiten von Litauen, Kurland und der übrigen östlichen Ge¬
biete — das sind Livland, Estland, Letgalen, Weißrußland —-, mit
Ausnahme von Polen", ernannt. Damit ist zögernd der Weg be¬
treten, der zur völligen politischen Zusammenfassung der um die Dura herum¬
liegenden Gebiete führen kann, wie sie im vorigen Heft vorgeschlagen wurde. Ob
man soweit gehen will, ist freilich eine andere Frage. Die Entscheidung darüber
wird sehr wesentlich davon abhängen, wie sich die betroffenen Gebiete selbst dazu
stellen. — Inzwischen wird wohl die Regierung wieder zahlreiche Warnungen aus
den Kreisen, die vor dem .Kriege in irgendwelchen wirtschaftlichen oder ideellen
Beziehungen zu Rußland gestanden haben, zu hören bekommen, doch ja nicht zu
früh dauernde Verhältnisse im Osten zu schaffen, die einer späteren Verständigung
mit Rußland hindernd im Wege stehen könnten. Die heute noch so denken,
wurzeln mit ihren Anschauungen bewußt und unbewußt in den Gedankengängen,
die Bismarcks Politik leitete. Sie. können es sich nicht vorstellen, daß Nußland
nun einfach beiseite geschoben sein und nicht doch wieder einen Machtfaktor
darstellen sollte, nach dem Deutschlands Politik sich einzurichten haben werde. Bei
den wirtschaftlich interessierten, ebenso wie bei einer gewissen Richtung von Kon¬
tinentalpolitikern, spielen die alten Vorstellungen sogar eine so große Rolle, daß
man bei ihnen dem Wunsche begegnet, Rußland möchte sich so schnell als möglich
wieder unter einem Zaren sammeln, zu Kraft und Ansehen gelangen, damit es
uns, nun durch Schaden klug geworden, wieder wirtschaftlichen und politischen
Rückhalt in den Welt- und Kontinentalgeschästen gewähren könnte; um diesen Preis
wären sie sogar bereit, alle Rußland abgenommenen Gebiets wieder heraus¬
zugeben. Dabei ist ihr Blick starr auf Moskau und Petersburg gerichtet, wo
nach ihrer Meinung auch fernerhin Rußlands Macht liegen werde. Es sind zu ernste
Kreise, die solchen Auffassungen huldigen, als daß die Regierung über sie still¬
schweigend zur Tagesordnung übergehen dürfte. In der Sache selbst sind sie
durch die Taisacheu vorläufig ins Unrecht gesetzt. Das hindert jedoch nicht, daß
der stärkste Träger ihrer Gründe, der Glaube an die Zukunft Rußlands,
ein durchaus richtiges Gefühl ist.

Auch ich bekenne mich zu dem Glauben, daß Rußlands Geschick durch den
bisherigen Zusammenbruch nicht endgültig besiegelt ist. Die Völker Rußlands
werden sich, in irgendeiner Form wieder zu Macht und Ansehen zusammen¬
schließen und Rußlands angeblicher Zerfall wird sich uns, wenn es seine innere
Krise erst überstanden hat, als eine Befreiung starker, bisher gefesselter Kräfte ent¬
hüllen, die, auf ein gemeinsames Ziel geeint, Anspruch auf Beachtung und Berück¬
sichtigung in der Weltpolitik heischen werden. Wir selbst, unsre Kaufleute und
Ingenieure werden ihnen dabei helfen und unsere Truppen sind schon an der
Arbeit, die dem Wiederaufbau von ganz Rußland dient, indem sie die Ukraina von


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[0326] Der Aufbau im Osten 9er Aufbau im Osten Georg Lleinow von Unser Verhältnis zu Rußland er Kaiser hat den Ministerialdirektor Dr. Grafen von Keyserlingk „zum Kommissar des Reichskanzlers für die Bearbeitung der An¬ gelegenheiten von Litauen, Kurland und der übrigen östlichen Ge¬ biete — das sind Livland, Estland, Letgalen, Weißrußland —-, mit Ausnahme von Polen", ernannt. Damit ist zögernd der Weg be¬ treten, der zur völligen politischen Zusammenfassung der um die Dura herum¬ liegenden Gebiete führen kann, wie sie im vorigen Heft vorgeschlagen wurde. Ob man soweit gehen will, ist freilich eine andere Frage. Die Entscheidung darüber wird sehr wesentlich davon abhängen, wie sich die betroffenen Gebiete selbst dazu stellen. — Inzwischen wird wohl die Regierung wieder zahlreiche Warnungen aus den Kreisen, die vor dem .Kriege in irgendwelchen wirtschaftlichen oder ideellen Beziehungen zu Rußland gestanden haben, zu hören bekommen, doch ja nicht zu früh dauernde Verhältnisse im Osten zu schaffen, die einer späteren Verständigung mit Rußland hindernd im Wege stehen könnten. Die heute noch so denken, wurzeln mit ihren Anschauungen bewußt und unbewußt in den Gedankengängen, die Bismarcks Politik leitete. Sie. können es sich nicht vorstellen, daß Nußland nun einfach beiseite geschoben sein und nicht doch wieder einen Machtfaktor darstellen sollte, nach dem Deutschlands Politik sich einzurichten haben werde. Bei den wirtschaftlich interessierten, ebenso wie bei einer gewissen Richtung von Kon¬ tinentalpolitikern, spielen die alten Vorstellungen sogar eine so große Rolle, daß man bei ihnen dem Wunsche begegnet, Rußland möchte sich so schnell als möglich wieder unter einem Zaren sammeln, zu Kraft und Ansehen gelangen, damit es uns, nun durch Schaden klug geworden, wieder wirtschaftlichen und politischen Rückhalt in den Welt- und Kontinentalgeschästen gewähren könnte; um diesen Preis wären sie sogar bereit, alle Rußland abgenommenen Gebiets wieder heraus¬ zugeben. Dabei ist ihr Blick starr auf Moskau und Petersburg gerichtet, wo nach ihrer Meinung auch fernerhin Rußlands Macht liegen werde. Es sind zu ernste Kreise, die solchen Auffassungen huldigen, als daß die Regierung über sie still¬ schweigend zur Tagesordnung übergehen dürfte. In der Sache selbst sind sie durch die Taisacheu vorläufig ins Unrecht gesetzt. Das hindert jedoch nicht, daß der stärkste Träger ihrer Gründe, der Glaube an die Zukunft Rußlands, ein durchaus richtiges Gefühl ist. Auch ich bekenne mich zu dem Glauben, daß Rußlands Geschick durch den bisherigen Zusammenbruch nicht endgültig besiegelt ist. Die Völker Rußlands werden sich, in irgendeiner Form wieder zu Macht und Ansehen zusammen¬ schließen und Rußlands angeblicher Zerfall wird sich uns, wenn es seine innere Krise erst überstanden hat, als eine Befreiung starker, bisher gefesselter Kräfte ent¬ hüllen, die, auf ein gemeinsames Ziel geeint, Anspruch auf Beachtung und Berück¬ sichtigung in der Weltpolitik heischen werden. Wir selbst, unsre Kaufleute und Ingenieure werden ihnen dabei helfen und unsere Truppen sind schon an der Arbeit, die dem Wiederaufbau von ganz Rußland dient, indem sie die Ukraina von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/326>, abgerufen am 05.05.2024.