Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Öls Partei"" unter sich
Die Parteien unter sich

cum in einem parlamentarisch regierten Lande die Bedeutung einer
Mittelpartei gering ist, wie kürzlich die "Berliner Börsenzeitung"
der nationalliberalen Landtagsfraktion warnend zurief, so ist sie
jedenfalls in unserem gegenwärtigen System eine sehr große. Mit
Recht sagt die "Internationale Korrespondenz", die bisher als das
amtliche Organ der Sozialdemokratie galt"), daß die Entscheidung über das Schick¬
sal der Regierungsvorlage in den Händen der Nationalliberalen liege.

Seit jener ersten Abstimmung im Verfassungsausschusse, wo vier von den
anwesenden sechs nationalliberalen Vertretern sich als Gegner des gleichen Wahl¬
rechtes bekannten, ist ein leidenschaftlicher Kampf um die Seele der Partei ent¬
brannt. Von vornherein glaubte, man an die Möglichkeit eines Sinneswechsels
in ihren Reihen. Um ihn herbeizuführen, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt.
Insbesondere sollte die Partei im Reiche die unbotmäßige Fraktion in Preußen
zur Vernunft bringen. Daß dort ein anderer Wind wehte, wurde bald betont,
zuerst wohl wiederum von der "Berliner Vörsenzeitung", die für alle Links¬
strömungen eine feine Witterung besitzt und an die Zukunft ihrer Partei nur dann
glaubt, wenn der Ton auf dem zweiten Bestandteil des Namens liegt.**)

Mit dem Wunsche als Vater des Gedankens verkündete das "Berliner Tage-
blatt" ante tsstum, daß die Wahlrechtsmehrheit im Abgeordnetenhause gesichert
sei, da sich der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei mit neun Zehntel der
Stimmen dafür erklärt habe. In der dann am 10. März abgehaltenen Sitzung
des Zentralvorstandes gestaltete sich das Verhältnis allerdings nur wie 104 : 24,
unter den preußischen Mitgliedern sogar nur wie 64:21, wobei noch ein volles
Drittel der Stimmen (nach dem "Deutschen Kurier") durch Enthaltung oder Fern¬
bleiben ausgefallen ist. Das Ergebnis bleibt trotzdem schwerwiegend, erscheint es
doch -- hinsichtlich der preußischen Nationalliberalen -- als die nahezu genaue
Uiickehrung jener ersten Kommissionsentscheidung.

Der "Deutsche Kurier" glaubt dennoch keine Änderung in der Haltung
der Landtagsfraktion annehmen zu müssen, und die "Kreuzzeitung", obwohl weit
weniger optimistisch, hält den Zuzug von 21 nationalliberalen Stimmen und
damit die Ablehnung der Regierungsvorlage, vorausgesetzt, daß die Freikonser¬
vativen geschlossen dagegen sind, immer noch für möglich.

Man kann in der Tat noch nicht sagen, wie das ein Teil der Presse tut,
daß eine Mehrheit für das Wahlrecht bereits endgültig gesichert sei, wenn auch
wohl die Hoffnung berechtigt ist, daß eine schließliche Einigung auf dem Boden
der Vorlage zustande kommt. Der Beschluß des nationalliberalen Zentralvorstandes
fällt in einen recht ungünstigen Zeitpunkt, da seine praktisch" Wirkung zurzeit nicht
recht zur Geltung gelaugt und daher teilweise verpuffen muß. Seine Entstehung




Was allerdings jetzt der Abg. Scheidemann laut Berliner Tageblatt in Abrede
gestellt hat.
"*) Die Stellungnahme dieses Blattes zur letzten großen Rede Erzbergers hält sich der
"Nationalliberalen Korrespondenz" zufolge "völlig außerhalb der nationalliberalen An¬
schauungen".
Öls Partei«» unter sich
Die Parteien unter sich

cum in einem parlamentarisch regierten Lande die Bedeutung einer
Mittelpartei gering ist, wie kürzlich die „Berliner Börsenzeitung"
der nationalliberalen Landtagsfraktion warnend zurief, so ist sie
jedenfalls in unserem gegenwärtigen System eine sehr große. Mit
Recht sagt die „Internationale Korrespondenz", die bisher als das
amtliche Organ der Sozialdemokratie galt"), daß die Entscheidung über das Schick¬
sal der Regierungsvorlage in den Händen der Nationalliberalen liege.

Seit jener ersten Abstimmung im Verfassungsausschusse, wo vier von den
anwesenden sechs nationalliberalen Vertretern sich als Gegner des gleichen Wahl¬
rechtes bekannten, ist ein leidenschaftlicher Kampf um die Seele der Partei ent¬
brannt. Von vornherein glaubte, man an die Möglichkeit eines Sinneswechsels
in ihren Reihen. Um ihn herbeizuführen, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt.
Insbesondere sollte die Partei im Reiche die unbotmäßige Fraktion in Preußen
zur Vernunft bringen. Daß dort ein anderer Wind wehte, wurde bald betont,
zuerst wohl wiederum von der „Berliner Vörsenzeitung", die für alle Links¬
strömungen eine feine Witterung besitzt und an die Zukunft ihrer Partei nur dann
glaubt, wenn der Ton auf dem zweiten Bestandteil des Namens liegt.**)

Mit dem Wunsche als Vater des Gedankens verkündete das „Berliner Tage-
blatt" ante tsstum, daß die Wahlrechtsmehrheit im Abgeordnetenhause gesichert
sei, da sich der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei mit neun Zehntel der
Stimmen dafür erklärt habe. In der dann am 10. März abgehaltenen Sitzung
des Zentralvorstandes gestaltete sich das Verhältnis allerdings nur wie 104 : 24,
unter den preußischen Mitgliedern sogar nur wie 64:21, wobei noch ein volles
Drittel der Stimmen (nach dem „Deutschen Kurier") durch Enthaltung oder Fern¬
bleiben ausgefallen ist. Das Ergebnis bleibt trotzdem schwerwiegend, erscheint es
doch — hinsichtlich der preußischen Nationalliberalen — als die nahezu genaue
Uiickehrung jener ersten Kommissionsentscheidung.

Der „Deutsche Kurier" glaubt dennoch keine Änderung in der Haltung
der Landtagsfraktion annehmen zu müssen, und die „Kreuzzeitung", obwohl weit
weniger optimistisch, hält den Zuzug von 21 nationalliberalen Stimmen und
damit die Ablehnung der Regierungsvorlage, vorausgesetzt, daß die Freikonser¬
vativen geschlossen dagegen sind, immer noch für möglich.

Man kann in der Tat noch nicht sagen, wie das ein Teil der Presse tut,
daß eine Mehrheit für das Wahlrecht bereits endgültig gesichert sei, wenn auch
wohl die Hoffnung berechtigt ist, daß eine schließliche Einigung auf dem Boden
der Vorlage zustande kommt. Der Beschluß des nationalliberalen Zentralvorstandes
fällt in einen recht ungünstigen Zeitpunkt, da seine praktisch« Wirkung zurzeit nicht
recht zur Geltung gelaugt und daher teilweise verpuffen muß. Seine Entstehung




Was allerdings jetzt der Abg. Scheidemann laut Berliner Tageblatt in Abrede
gestellt hat.
"*) Die Stellungnahme dieses Blattes zur letzten großen Rede Erzbergers hält sich der
„Nationalliberalen Korrespondenz" zufolge „völlig außerhalb der nationalliberalen An¬
schauungen".
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333445"/>
        <fw type="header" place="top"> Öls Partei«» unter sich</fw><lb/>
        <div n="1">
          <head> Die Parteien unter sich</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1287"> cum in einem parlamentarisch regierten Lande die Bedeutung einer<lb/>
Mittelpartei gering ist, wie kürzlich die &#x201E;Berliner Börsenzeitung"<lb/>
der nationalliberalen Landtagsfraktion warnend zurief, so ist sie<lb/>
jedenfalls in unserem gegenwärtigen System eine sehr große. Mit<lb/>
Recht sagt die &#x201E;Internationale Korrespondenz", die bisher als das<lb/>
amtliche Organ der Sozialdemokratie galt"), daß die Entscheidung über das Schick¬<lb/>
sal der Regierungsvorlage in den Händen der Nationalliberalen liege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1288"> Seit jener ersten Abstimmung im Verfassungsausschusse, wo vier von den<lb/>
anwesenden sechs nationalliberalen Vertretern sich als Gegner des gleichen Wahl¬<lb/>
rechtes bekannten, ist ein leidenschaftlicher Kampf um die Seele der Partei ent¬<lb/>
brannt. Von vornherein glaubte, man an die Möglichkeit eines Sinneswechsels<lb/>
in ihren Reihen. Um ihn herbeizuführen, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt.<lb/>
Insbesondere sollte die Partei im Reiche die unbotmäßige Fraktion in Preußen<lb/>
zur Vernunft bringen. Daß dort ein anderer Wind wehte, wurde bald betont,<lb/>
zuerst wohl wiederum von der &#x201E;Berliner Vörsenzeitung", die für alle Links¬<lb/>
strömungen eine feine Witterung besitzt und an die Zukunft ihrer Partei nur dann<lb/>
glaubt, wenn der Ton auf dem zweiten Bestandteil des Namens liegt.**)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1289"> Mit dem Wunsche als Vater des Gedankens verkündete das &#x201E;Berliner Tage-<lb/>
blatt" ante tsstum, daß die Wahlrechtsmehrheit im Abgeordnetenhause gesichert<lb/>
sei, da sich der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei mit neun Zehntel der<lb/>
Stimmen dafür erklärt habe. In der dann am 10. März abgehaltenen Sitzung<lb/>
des Zentralvorstandes gestaltete sich das Verhältnis allerdings nur wie 104 : 24,<lb/>
unter den preußischen Mitgliedern sogar nur wie 64:21, wobei noch ein volles<lb/>
Drittel der Stimmen (nach dem &#x201E;Deutschen Kurier") durch Enthaltung oder Fern¬<lb/>
bleiben ausgefallen ist. Das Ergebnis bleibt trotzdem schwerwiegend, erscheint es<lb/>
doch &#x2014; hinsichtlich der preußischen Nationalliberalen &#x2014; als die nahezu genaue<lb/>
Uiickehrung jener ersten Kommissionsentscheidung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1290"> Der &#x201E;Deutsche Kurier" glaubt dennoch keine Änderung in der Haltung<lb/>
der Landtagsfraktion annehmen zu müssen, und die &#x201E;Kreuzzeitung", obwohl weit<lb/>
weniger optimistisch, hält den Zuzug von 21 nationalliberalen Stimmen und<lb/>
damit die Ablehnung der Regierungsvorlage, vorausgesetzt, daß die Freikonser¬<lb/>
vativen geschlossen dagegen sind, immer noch für möglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1291" next="#ID_1292"> Man kann in der Tat noch nicht sagen, wie das ein Teil der Presse tut,<lb/>
daß eine Mehrheit für das Wahlrecht bereits endgültig gesichert sei, wenn auch<lb/>
wohl die Hoffnung berechtigt ist, daß eine schließliche Einigung auf dem Boden<lb/>
der Vorlage zustande kommt. Der Beschluß des nationalliberalen Zentralvorstandes<lb/>
fällt in einen recht ungünstigen Zeitpunkt, da seine praktisch« Wirkung zurzeit nicht<lb/>
recht zur Geltung gelaugt und daher teilweise verpuffen muß. Seine Entstehung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_133" place="foot"> Was allerdings jetzt der Abg. Scheidemann laut Berliner Tageblatt in Abrede<lb/>
gestellt hat.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_134" place="foot"> "*) Die Stellungnahme dieses Blattes zur letzten großen Rede Erzbergers hält sich der<lb/>
&#x201E;Nationalliberalen Korrespondenz" zufolge &#x201E;völlig außerhalb der nationalliberalen An¬<lb/>
schauungen".</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] Öls Partei«» unter sich Die Parteien unter sich cum in einem parlamentarisch regierten Lande die Bedeutung einer Mittelpartei gering ist, wie kürzlich die „Berliner Börsenzeitung" der nationalliberalen Landtagsfraktion warnend zurief, so ist sie jedenfalls in unserem gegenwärtigen System eine sehr große. Mit Recht sagt die „Internationale Korrespondenz", die bisher als das amtliche Organ der Sozialdemokratie galt"), daß die Entscheidung über das Schick¬ sal der Regierungsvorlage in den Händen der Nationalliberalen liege. Seit jener ersten Abstimmung im Verfassungsausschusse, wo vier von den anwesenden sechs nationalliberalen Vertretern sich als Gegner des gleichen Wahl¬ rechtes bekannten, ist ein leidenschaftlicher Kampf um die Seele der Partei ent¬ brannt. Von vornherein glaubte, man an die Möglichkeit eines Sinneswechsels in ihren Reihen. Um ihn herbeizuführen, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Insbesondere sollte die Partei im Reiche die unbotmäßige Fraktion in Preußen zur Vernunft bringen. Daß dort ein anderer Wind wehte, wurde bald betont, zuerst wohl wiederum von der „Berliner Vörsenzeitung", die für alle Links¬ strömungen eine feine Witterung besitzt und an die Zukunft ihrer Partei nur dann glaubt, wenn der Ton auf dem zweiten Bestandteil des Namens liegt.**) Mit dem Wunsche als Vater des Gedankens verkündete das „Berliner Tage- blatt" ante tsstum, daß die Wahlrechtsmehrheit im Abgeordnetenhause gesichert sei, da sich der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei mit neun Zehntel der Stimmen dafür erklärt habe. In der dann am 10. März abgehaltenen Sitzung des Zentralvorstandes gestaltete sich das Verhältnis allerdings nur wie 104 : 24, unter den preußischen Mitgliedern sogar nur wie 64:21, wobei noch ein volles Drittel der Stimmen (nach dem „Deutschen Kurier") durch Enthaltung oder Fern¬ bleiben ausgefallen ist. Das Ergebnis bleibt trotzdem schwerwiegend, erscheint es doch — hinsichtlich der preußischen Nationalliberalen — als die nahezu genaue Uiickehrung jener ersten Kommissionsentscheidung. Der „Deutsche Kurier" glaubt dennoch keine Änderung in der Haltung der Landtagsfraktion annehmen zu müssen, und die „Kreuzzeitung", obwohl weit weniger optimistisch, hält den Zuzug von 21 nationalliberalen Stimmen und damit die Ablehnung der Regierungsvorlage, vorausgesetzt, daß die Freikonser¬ vativen geschlossen dagegen sind, immer noch für möglich. Man kann in der Tat noch nicht sagen, wie das ein Teil der Presse tut, daß eine Mehrheit für das Wahlrecht bereits endgültig gesichert sei, wenn auch wohl die Hoffnung berechtigt ist, daß eine schließliche Einigung auf dem Boden der Vorlage zustande kommt. Der Beschluß des nationalliberalen Zentralvorstandes fällt in einen recht ungünstigen Zeitpunkt, da seine praktisch« Wirkung zurzeit nicht recht zur Geltung gelaugt und daher teilweise verpuffen muß. Seine Entstehung Was allerdings jetzt der Abg. Scheidemann laut Berliner Tageblatt in Abrede gestellt hat. "*) Die Stellungnahme dieses Blattes zur letzten großen Rede Erzbergers hält sich der „Nationalliberalen Korrespondenz" zufolge „völlig außerhalb der nationalliberalen An¬ schauungen".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/348>, abgerufen am 05.05.2024.