Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.Randglossen zum Tage Greisenalter der Völker." Dieses vortreffliche Wort Friedrich Naumanns sollte Randglossen zum Tage An den Herausgeber i Randglossen zum Tage Greisenalter der Völker." Dieses vortreffliche Wort Friedrich Naumanns sollte Randglossen zum Tage An den Herausgeber i <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333626"/> <fw type="header" place="top"> Randglossen zum Tage</fw><lb/> <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> Greisenalter der Völker." Dieses vortreffliche Wort Friedrich Naumanns sollte<lb/> denjenigen als Leitstern dienen, welche nach Friedensschluß über die Demobilisierung<lb/> der weiblichen industriellen Armee zu entscheiden haben. Nicht nur wirtschaftliche<lb/> (Freimachen der Arbeitsplätze für den heimkehrenden Mann), sondern vor allem<lb/> rassenhygienische Gründe sind es, welche zu einem umfangreichen Ausscheiden der<lb/> Frauen aus der im Kriege in höchst anerkennenswerter Weise übernommenen<lb/> gewerblichen Arbeit zwingen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Randglossen zum Tage</head><lb/> <note type="salute"> An den Herausgeber</note><lb/> <p xml:id="ID_511" next="#ID_512"> i<lb/> s wir noch Kinder waren, sehr geehrter Herr, und unsere Kenntnisse<lb/> nur aus den Märchenbüchern schöpften, da war die Sache ganz<lb/> einfach. Da gab es zwar gute und böse Könige, aber ob man sie<lb/> liebte oder fürchtete, sie waren unterschiedslos von der Mermensch-<lb/> lickkeits-Mystik des Königtums umwoben. Das kam daher, daß sie<lb/> stets die Krone auf dein Kopfe trugen, mochte es regnen oder die<lb/> Sonne scheinen, und daß es in den Märchen keine Parlamente und keine Zeitungen<lb/> gab und die Zwischenstufen fehlten, die heute vom Staatsbürger zum König über¬<lb/> leiten, also daß die ungeheure. Ehrfurcht einflößende Kluft nicht mehr da ist.<lb/> Während wir heranwuchsen und viel lernten, gingen in uns und um uns Dinge<lb/> vor, die die Sache mit den Königen sehr komplizierten. Wir lernten die philo¬<lb/> sophische Lupe handhaben und neben anderen Begriffen auch das Königtum unter<lb/> die Linse legen, wir guckten mit dem Operngucker der Presse in die Königspalaste<lb/> und sahen, daß die Monarchen die Krone auch hie und da ablegten und sich in<lb/> den Hemdsärmeln menschlicher Schwächen zeigten. Man stellte' uns auf dem<lb/> Politischen Spielplatz einen Mann hin, der Minister genannt wurde und nach<lb/> dem wir je nach der Witterung mit Schneebällen oder Steinen werfen durften,<lb/> wenn unsere unzufriedenen Gemüter wünschten, daß der König etwas tue oder<lb/> unterlasse. So wurden wir groß und ganz gescheit und - sehr respektlos und<lb/> glaubten nicht mehr an den Märchenkönig, der in seiner Güte oder Bosheit so<lb/> unerreichbar über allen Menschen stand. Und dann kam der Krieg und ein paar<lb/> Könige nahmen betrübt ihre Krone vom Kopf, zogen ihren Purpurmantel aus<lb/> und wurden ganz gewöhnliche Menschen, und darunter war der einzige noch<lb/> existierende, der mit wirklich märchenhafter Macht seine Untertanen in den<lb/> finstern Kerker zu werfen' pflegte und allem Menschlichen entrückt so -recht<lb/> das Dasein des bösen Königs 'im Märchen , führtet Die royalistische Mystik<lb/> verlor ihr größtes Revier.' Nun wackelt wieder eine Krone bedenklich,<lb/> obwohl hilfsbereite Hände den Träger bei dein Versuck. sie- festzuhalten,<lb/> unterstützt haben. Ferdinand, der Weinerliche, ist der Träger, ein König,<lb/> von dem man sagen kann daß sein Ehnratteroiio in der Geschichte<lb/> viel weniger schwankt, als er selbst, wenn er ein bißchen was getrunken hat.<lb/> Die Behauptung, daß er die berühmte Definition erfunden habe, „ein Mann ist<lb/> betrunken, wenn er nicht mehr auf dem Boon liegen kann, ohne sich festzuhalten",<lb/> ist vielleicht apokryph, aber daß er ans die Wem- und Lilörpreise Rumäniens<lb/> stark zu wirken pflegt, steht fest. Dem Mittelstand unter den Königen gereicht<lb/> er nicht zur Zierde und man kann es denjenigen seiner Untertanen, die den<lb/> Segen seines erleuchteten Waltens genossen haben und nickt durch englisches oder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Randglossen zum Tage
Greisenalter der Völker." Dieses vortreffliche Wort Friedrich Naumanns sollte
denjenigen als Leitstern dienen, welche nach Friedensschluß über die Demobilisierung
der weiblichen industriellen Armee zu entscheiden haben. Nicht nur wirtschaftliche
(Freimachen der Arbeitsplätze für den heimkehrenden Mann), sondern vor allem
rassenhygienische Gründe sind es, welche zu einem umfangreichen Ausscheiden der
Frauen aus der im Kriege in höchst anerkennenswerter Weise übernommenen
gewerblichen Arbeit zwingen.
Randglossen zum Tage
An den Herausgeber
i
s wir noch Kinder waren, sehr geehrter Herr, und unsere Kenntnisse
nur aus den Märchenbüchern schöpften, da war die Sache ganz
einfach. Da gab es zwar gute und böse Könige, aber ob man sie
liebte oder fürchtete, sie waren unterschiedslos von der Mermensch-
lickkeits-Mystik des Königtums umwoben. Das kam daher, daß sie
stets die Krone auf dein Kopfe trugen, mochte es regnen oder die
Sonne scheinen, und daß es in den Märchen keine Parlamente und keine Zeitungen
gab und die Zwischenstufen fehlten, die heute vom Staatsbürger zum König über¬
leiten, also daß die ungeheure. Ehrfurcht einflößende Kluft nicht mehr da ist.
Während wir heranwuchsen und viel lernten, gingen in uns und um uns Dinge
vor, die die Sache mit den Königen sehr komplizierten. Wir lernten die philo¬
sophische Lupe handhaben und neben anderen Begriffen auch das Königtum unter
die Linse legen, wir guckten mit dem Operngucker der Presse in die Königspalaste
und sahen, daß die Monarchen die Krone auch hie und da ablegten und sich in
den Hemdsärmeln menschlicher Schwächen zeigten. Man stellte' uns auf dem
Politischen Spielplatz einen Mann hin, der Minister genannt wurde und nach
dem wir je nach der Witterung mit Schneebällen oder Steinen werfen durften,
wenn unsere unzufriedenen Gemüter wünschten, daß der König etwas tue oder
unterlasse. So wurden wir groß und ganz gescheit und - sehr respektlos und
glaubten nicht mehr an den Märchenkönig, der in seiner Güte oder Bosheit so
unerreichbar über allen Menschen stand. Und dann kam der Krieg und ein paar
Könige nahmen betrübt ihre Krone vom Kopf, zogen ihren Purpurmantel aus
und wurden ganz gewöhnliche Menschen, und darunter war der einzige noch
existierende, der mit wirklich märchenhafter Macht seine Untertanen in den
finstern Kerker zu werfen' pflegte und allem Menschlichen entrückt so -recht
das Dasein des bösen Königs 'im Märchen , führtet Die royalistische Mystik
verlor ihr größtes Revier.' Nun wackelt wieder eine Krone bedenklich,
obwohl hilfsbereite Hände den Träger bei dein Versuck. sie- festzuhalten,
unterstützt haben. Ferdinand, der Weinerliche, ist der Träger, ein König,
von dem man sagen kann daß sein Ehnratteroiio in der Geschichte
viel weniger schwankt, als er selbst, wenn er ein bißchen was getrunken hat.
Die Behauptung, daß er die berühmte Definition erfunden habe, „ein Mann ist
betrunken, wenn er nicht mehr auf dem Boon liegen kann, ohne sich festzuhalten",
ist vielleicht apokryph, aber daß er ans die Wem- und Lilörpreise Rumäniens
stark zu wirken pflegt, steht fest. Dem Mittelstand unter den Königen gereicht
er nicht zur Zierde und man kann es denjenigen seiner Untertanen, die den
Segen seines erleuchteten Waltens genossen haben und nickt durch englisches oder
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