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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee

spielende Krankheit bewirkt häufig Beckenverengerung, die wiederum bei der Geburt
Mutter und Kind gefährdet. So wirkt die industrielle Tätigkeit der Frau, indem
sie diese an ausgiebigen Stillen hindert, nicht nur dezimierend auf deren unmittel¬
bare Nachkommenschaft, sondern sie kann noch ihren Enkeln zum Verhängnis
werden. Darum sollten nach dem Friedensschluß in.erster Linie die verheirateten
Jndustriearbeiterinnen in möglichst weitem Umfang demobilisiert werden. Da dies
zwangsweise nicht geschehen kann, so müssen im Gegensatz zu dem Diskussions¬
redner der Frankfurter Tagung für Kleinkinderfürsorge die Mütter so gestellt
werden, daß sie es nicht nötig haben, auf Arbeit zu gehen.

Aber auch die unverheiratete Frau, die zukünftige Mutter ist durch den Krieg
in Erwerbstätigkeiten hineingezogen worden, denen der weibliche Organismus nicht
gewachsen ist. Leider ist es nicht möglich, sich ein klares und vollständiges Bild
davon zu machen, wie diese neuen Berufe auf den weiblichen Körper einwirken.
Die Krankenkassenstatistik versagt hier fast vollständig. Einmal ist es unmöglich,
von einzelnen Kassen überhaupt Material zu bekommen, z, B. von der Berliner
Straßenbahngesellschaft, was ganz besonders wichtig wäre; ferner aber wird das
Zahlenbild durch Einflüsse wirtschaftlicher Natur vollkommen verzerrt.

Ich habe auf Ansuchen der Zentralstelle zur Förderung der Arbeiterinnen¬
interessen (Leiterin: Margarete Friedenthal) Krankenkassenstatistiken aus einer
größeren Anzahl deutscher Städte auf die betreffende Frage hin durchgesehen.
Überall begegnen wir der merkwürdigen Erscheinung, daß bereits 1914, vor allein
aber 1915 die Kurve der Erkrankungshäufigkeit stark sinkt. Da es vollkommen
ausgeschlossen ist, daß das weibliche Geschlecht in der Kriegszeit plötzlich wider¬
standsfähiger geworden ist, oder daß die neuen Beschäftigungen besonders gesund¬
heitsfördernd wirken, derart, daß die Frauen trotz aller körperlichen Entbehrungen
und der langen seelischen Spannung seltener erkranken als früher, so kann es sich
nur darum handeln, daß die Arbeiterinnen sich, da die Versicherung ihnen den
hohen Lohn in nur teilweise ersetzt, angesichts der allgemeinen Teuerung seltener
krank melden als früher, und daß vielleicht auch die Arzte in einer Zeit, in der
das Vaterland der äußersten Anspannung aller Hilfskräfte bedarf, weniger leicht
als früher geneigt sind, die Arbeitsunfähigkeit zu bestätigen. Diese Auffassung
wird in höchstem Grade wahrscheinlich gemacht durch die Tatsache, daß 1916 bei
allen Kassen die Erkrankungshäufigkeit der Frauen wieder zu steigen beginnt. Das
Unterdrücken krankhafter Zustände geht eben nur bis zu einem gewissen Grade.
Ist dieser überschritten, so tritt ein Rückschlag ein, und die Widerstandskraft des
Organismus versagt in verstärktem Maße. Für 1917 liegt das Material leider
noch nicht vor. Wir haben für dieses Jahr ein weiteres Ansteigen der Erkrankungs¬
ziffer zu erwarten.

Gibt uns somit die Krankenkassenstatistik keine deutliche Antwort auf die
Frage, welche neu hinzugetretenen Beschäftigungen dem weiblichen Organismus
besonders unzuträglich sind, so weisen doch einige Zahlen darauf hin, daß inner¬
halb der Berufsgruppe "Metallverarbeitung" die Frauen heute größeren Schädlich-
keiten preisgegeben sind als früher. Und was die einzelnen Krankheiten anbetrifft,
so hat sich un Kriege das Verhältnis des männlichen und weiblichen Anteiles an
den Krankheiten der Atmungswerkzeuge (ausschließlich Tuberkulose) vollkommen
verschoben. Früher erkrankten die Männer häufiger daran, jetzt die Frauen. Es
ist dies nur dadurch zu erklären, daß das weibliche Geschlecht wahrscheinlich
empfindlicher gegenüber den auf die Atmungsorgane wirkenden Schädlichkeiten ist,
aber früher diesen Schädlichkeiten viel weniger ausgesetzt war als die Männer.

Die erwähnte Zentralstelle für Arbeiterinneninteressen ist, da die Kranken¬
kassenstatistik allein nicht zum Ziele führt, in dankenswerter Weise bemüht, noch
auf anderen Wegen zu erforschen, aus welchen industriellen Beschäftigungen die
Frauen bereits in der Übergangszeit im Interesse des Volkswohles ausgeschaltet
werden müssen. Möge ihr dabei Erfolg beschieden seinl

"Wird in einem Volke die Mutterschaft schwach, so nützt alle übrige Kultur
nichts mehr. Das Sinken der Mütter ist der Niedergang an sich, der Sturz ins


Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee

spielende Krankheit bewirkt häufig Beckenverengerung, die wiederum bei der Geburt
Mutter und Kind gefährdet. So wirkt die industrielle Tätigkeit der Frau, indem
sie diese an ausgiebigen Stillen hindert, nicht nur dezimierend auf deren unmittel¬
bare Nachkommenschaft, sondern sie kann noch ihren Enkeln zum Verhängnis
werden. Darum sollten nach dem Friedensschluß in.erster Linie die verheirateten
Jndustriearbeiterinnen in möglichst weitem Umfang demobilisiert werden. Da dies
zwangsweise nicht geschehen kann, so müssen im Gegensatz zu dem Diskussions¬
redner der Frankfurter Tagung für Kleinkinderfürsorge die Mütter so gestellt
werden, daß sie es nicht nötig haben, auf Arbeit zu gehen.

Aber auch die unverheiratete Frau, die zukünftige Mutter ist durch den Krieg
in Erwerbstätigkeiten hineingezogen worden, denen der weibliche Organismus nicht
gewachsen ist. Leider ist es nicht möglich, sich ein klares und vollständiges Bild
davon zu machen, wie diese neuen Berufe auf den weiblichen Körper einwirken.
Die Krankenkassenstatistik versagt hier fast vollständig. Einmal ist es unmöglich,
von einzelnen Kassen überhaupt Material zu bekommen, z, B. von der Berliner
Straßenbahngesellschaft, was ganz besonders wichtig wäre; ferner aber wird das
Zahlenbild durch Einflüsse wirtschaftlicher Natur vollkommen verzerrt.

Ich habe auf Ansuchen der Zentralstelle zur Förderung der Arbeiterinnen¬
interessen (Leiterin: Margarete Friedenthal) Krankenkassenstatistiken aus einer
größeren Anzahl deutscher Städte auf die betreffende Frage hin durchgesehen.
Überall begegnen wir der merkwürdigen Erscheinung, daß bereits 1914, vor allein
aber 1915 die Kurve der Erkrankungshäufigkeit stark sinkt. Da es vollkommen
ausgeschlossen ist, daß das weibliche Geschlecht in der Kriegszeit plötzlich wider¬
standsfähiger geworden ist, oder daß die neuen Beschäftigungen besonders gesund¬
heitsfördernd wirken, derart, daß die Frauen trotz aller körperlichen Entbehrungen
und der langen seelischen Spannung seltener erkranken als früher, so kann es sich
nur darum handeln, daß die Arbeiterinnen sich, da die Versicherung ihnen den
hohen Lohn in nur teilweise ersetzt, angesichts der allgemeinen Teuerung seltener
krank melden als früher, und daß vielleicht auch die Arzte in einer Zeit, in der
das Vaterland der äußersten Anspannung aller Hilfskräfte bedarf, weniger leicht
als früher geneigt sind, die Arbeitsunfähigkeit zu bestätigen. Diese Auffassung
wird in höchstem Grade wahrscheinlich gemacht durch die Tatsache, daß 1916 bei
allen Kassen die Erkrankungshäufigkeit der Frauen wieder zu steigen beginnt. Das
Unterdrücken krankhafter Zustände geht eben nur bis zu einem gewissen Grade.
Ist dieser überschritten, so tritt ein Rückschlag ein, und die Widerstandskraft des
Organismus versagt in verstärktem Maße. Für 1917 liegt das Material leider
noch nicht vor. Wir haben für dieses Jahr ein weiteres Ansteigen der Erkrankungs¬
ziffer zu erwarten.

Gibt uns somit die Krankenkassenstatistik keine deutliche Antwort auf die
Frage, welche neu hinzugetretenen Beschäftigungen dem weiblichen Organismus
besonders unzuträglich sind, so weisen doch einige Zahlen darauf hin, daß inner¬
halb der Berufsgruppe „Metallverarbeitung" die Frauen heute größeren Schädlich-
keiten preisgegeben sind als früher. Und was die einzelnen Krankheiten anbetrifft,
so hat sich un Kriege das Verhältnis des männlichen und weiblichen Anteiles an
den Krankheiten der Atmungswerkzeuge (ausschließlich Tuberkulose) vollkommen
verschoben. Früher erkrankten die Männer häufiger daran, jetzt die Frauen. Es
ist dies nur dadurch zu erklären, daß das weibliche Geschlecht wahrscheinlich
empfindlicher gegenüber den auf die Atmungsorgane wirkenden Schädlichkeiten ist,
aber früher diesen Schädlichkeiten viel weniger ausgesetzt war als die Männer.

Die erwähnte Zentralstelle für Arbeiterinneninteressen ist, da die Kranken¬
kassenstatistik allein nicht zum Ziele führt, in dankenswerter Weise bemüht, noch
auf anderen Wegen zu erforschen, aus welchen industriellen Beschäftigungen die
Frauen bereits in der Übergangszeit im Interesse des Volkswohles ausgeschaltet
werden müssen. Möge ihr dabei Erfolg beschieden seinl

„Wird in einem Volke die Mutterschaft schwach, so nützt alle übrige Kultur
nichts mehr. Das Sinken der Mütter ist der Niedergang an sich, der Sturz ins


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[0142] Demobilisierung der weiblichen industriellen Armee spielende Krankheit bewirkt häufig Beckenverengerung, die wiederum bei der Geburt Mutter und Kind gefährdet. So wirkt die industrielle Tätigkeit der Frau, indem sie diese an ausgiebigen Stillen hindert, nicht nur dezimierend auf deren unmittel¬ bare Nachkommenschaft, sondern sie kann noch ihren Enkeln zum Verhängnis werden. Darum sollten nach dem Friedensschluß in.erster Linie die verheirateten Jndustriearbeiterinnen in möglichst weitem Umfang demobilisiert werden. Da dies zwangsweise nicht geschehen kann, so müssen im Gegensatz zu dem Diskussions¬ redner der Frankfurter Tagung für Kleinkinderfürsorge die Mütter so gestellt werden, daß sie es nicht nötig haben, auf Arbeit zu gehen. Aber auch die unverheiratete Frau, die zukünftige Mutter ist durch den Krieg in Erwerbstätigkeiten hineingezogen worden, denen der weibliche Organismus nicht gewachsen ist. Leider ist es nicht möglich, sich ein klares und vollständiges Bild davon zu machen, wie diese neuen Berufe auf den weiblichen Körper einwirken. Die Krankenkassenstatistik versagt hier fast vollständig. Einmal ist es unmöglich, von einzelnen Kassen überhaupt Material zu bekommen, z, B. von der Berliner Straßenbahngesellschaft, was ganz besonders wichtig wäre; ferner aber wird das Zahlenbild durch Einflüsse wirtschaftlicher Natur vollkommen verzerrt. Ich habe auf Ansuchen der Zentralstelle zur Förderung der Arbeiterinnen¬ interessen (Leiterin: Margarete Friedenthal) Krankenkassenstatistiken aus einer größeren Anzahl deutscher Städte auf die betreffende Frage hin durchgesehen. Überall begegnen wir der merkwürdigen Erscheinung, daß bereits 1914, vor allein aber 1915 die Kurve der Erkrankungshäufigkeit stark sinkt. Da es vollkommen ausgeschlossen ist, daß das weibliche Geschlecht in der Kriegszeit plötzlich wider¬ standsfähiger geworden ist, oder daß die neuen Beschäftigungen besonders gesund¬ heitsfördernd wirken, derart, daß die Frauen trotz aller körperlichen Entbehrungen und der langen seelischen Spannung seltener erkranken als früher, so kann es sich nur darum handeln, daß die Arbeiterinnen sich, da die Versicherung ihnen den hohen Lohn in nur teilweise ersetzt, angesichts der allgemeinen Teuerung seltener krank melden als früher, und daß vielleicht auch die Arzte in einer Zeit, in der das Vaterland der äußersten Anspannung aller Hilfskräfte bedarf, weniger leicht als früher geneigt sind, die Arbeitsunfähigkeit zu bestätigen. Diese Auffassung wird in höchstem Grade wahrscheinlich gemacht durch die Tatsache, daß 1916 bei allen Kassen die Erkrankungshäufigkeit der Frauen wieder zu steigen beginnt. Das Unterdrücken krankhafter Zustände geht eben nur bis zu einem gewissen Grade. Ist dieser überschritten, so tritt ein Rückschlag ein, und die Widerstandskraft des Organismus versagt in verstärktem Maße. Für 1917 liegt das Material leider noch nicht vor. Wir haben für dieses Jahr ein weiteres Ansteigen der Erkrankungs¬ ziffer zu erwarten. Gibt uns somit die Krankenkassenstatistik keine deutliche Antwort auf die Frage, welche neu hinzugetretenen Beschäftigungen dem weiblichen Organismus besonders unzuträglich sind, so weisen doch einige Zahlen darauf hin, daß inner¬ halb der Berufsgruppe „Metallverarbeitung" die Frauen heute größeren Schädlich- keiten preisgegeben sind als früher. Und was die einzelnen Krankheiten anbetrifft, so hat sich un Kriege das Verhältnis des männlichen und weiblichen Anteiles an den Krankheiten der Atmungswerkzeuge (ausschließlich Tuberkulose) vollkommen verschoben. Früher erkrankten die Männer häufiger daran, jetzt die Frauen. Es ist dies nur dadurch zu erklären, daß das weibliche Geschlecht wahrscheinlich empfindlicher gegenüber den auf die Atmungsorgane wirkenden Schädlichkeiten ist, aber früher diesen Schädlichkeiten viel weniger ausgesetzt war als die Männer. Die erwähnte Zentralstelle für Arbeiterinneninteressen ist, da die Kranken¬ kassenstatistik allein nicht zum Ziele führt, in dankenswerter Weise bemüht, noch auf anderen Wegen zu erforschen, aus welchen industriellen Beschäftigungen die Frauen bereits in der Übergangszeit im Interesse des Volkswohles ausgeschaltet werden müssen. Möge ihr dabei Erfolg beschieden seinl „Wird in einem Volke die Mutterschaft schwach, so nützt alle übrige Kultur nichts mehr. Das Sinken der Mütter ist der Niedergang an sich, der Sturz ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/142>, abgerufen am 26.05.2024.