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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Lstnische Sagen

Die Festsprache

Auf der Erde, die Altvater erschaffen hatte, wandelten Menschen und Tiere.
Beide hatten ihre Sprache. Aber diese Sprache war nur für den Alltag bestimmt,
um sich in den Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens zu verständigen. Doch nun
sollten die Geschöpfe eine Festsprache erlernen, damit sie sich nach Mühe und Arbeit
erfreuen konnten und die Götter preisen.

So wurde denn alles, was Leben und Odem hatte, aufgefordert, nach dem
Domberg bei Dorpat zu kommen, auf dem ein heiliger Hain stand. Und alles
kam. Andächtig, erwartungsvoll stand die Menge.

Da brauste es gar wunderbar in den Lüften. Bei diesem Brausen erzitterten
die Herzen und die Seelen wurden weit. Und stehe, aus der Höhe ließ sich
Wannemune, der Gott des Gesanges, zur Erde nieder. Er glättete sein lockiges
Haar, auf dem die Sonne lag, schüttelte seine Gewänder, strich mit der Hand
über den welligen Bart, räusperte seine Stimme, und prüfend fuhr seine Hand
über die goldene Zither.

Das Vorspiel erklang, -- dann der Hymnus. Alles lauschte, jeder war er¬
griffen. Tiefe Stille, ringsum kein Laut. Der Einband hemmte seinen Lauf, der
Wind vergaß seinen Haß. Der Wald bewegte sich nicht mehr; regungslos saßen
die Vögel auf den Zweigen. Voller Staunen blickte das neckende Echo durch die
stumm gewordenen Bäume.

So war jeder versunken in Aufmerksamkeit. Aber nicht jeder begriff das,
was er hörte. Wohl hatten sich die Bäume des Haines das Brausen gemerkt,
das so wunderbar die Lüfte erfüllte, als Wannemune vom Himmel niederstieg.
Sie ahmten es nach, und ihr feierliches Säuseln erinnert noch heute an die Nähe
der Gottheit. Der Einband vergaß nicht das Rauschen von Wannemunens Ge¬
wände: wenn er im Frühling sich seiner neuen Jugend freut, so rauscht er, wie
er es in jener großen Stunde im heiligen Haine gehört hat. Dem Winde gefielen
die grellsten Töne im Saitenspiele des Gottes: er bemüht sich, sie wiederzugeben,
wenn er durch das Land fährt und die weiße Straße zum Tanze zwingt. Die
Tiere behielten das, was den größten Eindruck auf sie gemacht hatte. So kam
es, daß einige ihrer Stimme einen knarrenden Ton gaben, denn sie wollten gehört
haben, daß es in Wannemunens Zither so klang. Andere wieder zwangen ihre
Stimme zu ganz hellen Lauten: sie meinten, die Saiten hätten so getönt. Die
Singvögel waren besonders eifrig im Hören: gleich versuchte die Nachtigall, die
Lerche das Vorspiel. Auch die Fische wollten von dem Gotte lernen, doch es er¬
ging ihnen schlimm. Denn da sie wohl die Augen aus dem Wasser gehoben
hatten, aber nicht die Ohren, so erblickten sie die Bewegung des Mundes von
Wannemune, hörten aber nicht seinen Sang, sein Spiel. Voller Eifer ahmten
sie nur das nach, was sie sahen: blieben also stumm.

Schweigend stand der Mensch da. Er hörte nicht nur die Töne, sondern
fühlte auch die Harmonie, die die Töne miteinander verband. Wunderbar klang
in ihm das Lied des Gottes wieder, er machte es sich ganz zu eigen. Und in
dem sich mit Verstand Angeeigneten schuf er weiter. So verschmolz er Altes und
Neues, legte seine Seele in den Sang. Was nun von seinen Lippen tönte, das
war die Festsprache, mit der die Gottheit ihr Geschöpf beglücken wollte. Und der
Mensch war beglückt in dieser heiligen Gabe. Dankbar stieg sein Lied empor zu
dem, der es ihn- gelehrt hatte, der ihn fähig gemacht, es zu begreifen.

Wannemune sang und sang. Er sang von der Größe des Himmels, von
der Pracht der Erde, vom Glück und Unglück des Menschengeschlechts. Und er
weinte. So heiß weinte er, daß die Tränen durch seine sechs Röcke drangen und
durch seine sieben Hemden.

Nun hatte er geendet. In wunderbarem Brausen flog er wieder hinaus,
um Altvater zu singen, zu danken, daß er den Menschen geschaffen hatte nach
seinem Bilde und ihm die Seele gegeben, die das Große versteht, das Göttliche.
Und Altvater neigte das Haupt; gnädig lauschte er dem Gesänge, der gleich einem
Opfer zu ihm emporstieg.


Lstnische Sagen

Die Festsprache

Auf der Erde, die Altvater erschaffen hatte, wandelten Menschen und Tiere.
Beide hatten ihre Sprache. Aber diese Sprache war nur für den Alltag bestimmt,
um sich in den Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens zu verständigen. Doch nun
sollten die Geschöpfe eine Festsprache erlernen, damit sie sich nach Mühe und Arbeit
erfreuen konnten und die Götter preisen.

So wurde denn alles, was Leben und Odem hatte, aufgefordert, nach dem
Domberg bei Dorpat zu kommen, auf dem ein heiliger Hain stand. Und alles
kam. Andächtig, erwartungsvoll stand die Menge.

Da brauste es gar wunderbar in den Lüften. Bei diesem Brausen erzitterten
die Herzen und die Seelen wurden weit. Und stehe, aus der Höhe ließ sich
Wannemune, der Gott des Gesanges, zur Erde nieder. Er glättete sein lockiges
Haar, auf dem die Sonne lag, schüttelte seine Gewänder, strich mit der Hand
über den welligen Bart, räusperte seine Stimme, und prüfend fuhr seine Hand
über die goldene Zither.

Das Vorspiel erklang, — dann der Hymnus. Alles lauschte, jeder war er¬
griffen. Tiefe Stille, ringsum kein Laut. Der Einband hemmte seinen Lauf, der
Wind vergaß seinen Haß. Der Wald bewegte sich nicht mehr; regungslos saßen
die Vögel auf den Zweigen. Voller Staunen blickte das neckende Echo durch die
stumm gewordenen Bäume.

So war jeder versunken in Aufmerksamkeit. Aber nicht jeder begriff das,
was er hörte. Wohl hatten sich die Bäume des Haines das Brausen gemerkt,
das so wunderbar die Lüfte erfüllte, als Wannemune vom Himmel niederstieg.
Sie ahmten es nach, und ihr feierliches Säuseln erinnert noch heute an die Nähe
der Gottheit. Der Einband vergaß nicht das Rauschen von Wannemunens Ge¬
wände: wenn er im Frühling sich seiner neuen Jugend freut, so rauscht er, wie
er es in jener großen Stunde im heiligen Haine gehört hat. Dem Winde gefielen
die grellsten Töne im Saitenspiele des Gottes: er bemüht sich, sie wiederzugeben,
wenn er durch das Land fährt und die weiße Straße zum Tanze zwingt. Die
Tiere behielten das, was den größten Eindruck auf sie gemacht hatte. So kam
es, daß einige ihrer Stimme einen knarrenden Ton gaben, denn sie wollten gehört
haben, daß es in Wannemunens Zither so klang. Andere wieder zwangen ihre
Stimme zu ganz hellen Lauten: sie meinten, die Saiten hätten so getönt. Die
Singvögel waren besonders eifrig im Hören: gleich versuchte die Nachtigall, die
Lerche das Vorspiel. Auch die Fische wollten von dem Gotte lernen, doch es er¬
ging ihnen schlimm. Denn da sie wohl die Augen aus dem Wasser gehoben
hatten, aber nicht die Ohren, so erblickten sie die Bewegung des Mundes von
Wannemune, hörten aber nicht seinen Sang, sein Spiel. Voller Eifer ahmten
sie nur das nach, was sie sahen: blieben also stumm.

Schweigend stand der Mensch da. Er hörte nicht nur die Töne, sondern
fühlte auch die Harmonie, die die Töne miteinander verband. Wunderbar klang
in ihm das Lied des Gottes wieder, er machte es sich ganz zu eigen. Und in
dem sich mit Verstand Angeeigneten schuf er weiter. So verschmolz er Altes und
Neues, legte seine Seele in den Sang. Was nun von seinen Lippen tönte, das
war die Festsprache, mit der die Gottheit ihr Geschöpf beglücken wollte. Und der
Mensch war beglückt in dieser heiligen Gabe. Dankbar stieg sein Lied empor zu
dem, der es ihn- gelehrt hatte, der ihn fähig gemacht, es zu begreifen.

Wannemune sang und sang. Er sang von der Größe des Himmels, von
der Pracht der Erde, vom Glück und Unglück des Menschengeschlechts. Und er
weinte. So heiß weinte er, daß die Tränen durch seine sechs Röcke drangen und
durch seine sieben Hemden.

Nun hatte er geendet. In wunderbarem Brausen flog er wieder hinaus,
um Altvater zu singen, zu danken, daß er den Menschen geschaffen hatte nach
seinem Bilde und ihm die Seele gegeben, die das Große versteht, das Göttliche.
Und Altvater neigte das Haupt; gnädig lauschte er dem Gesänge, der gleich einem
Opfer zu ihm emporstieg.


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[0196] Lstnische Sagen Die Festsprache Auf der Erde, die Altvater erschaffen hatte, wandelten Menschen und Tiere. Beide hatten ihre Sprache. Aber diese Sprache war nur für den Alltag bestimmt, um sich in den Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens zu verständigen. Doch nun sollten die Geschöpfe eine Festsprache erlernen, damit sie sich nach Mühe und Arbeit erfreuen konnten und die Götter preisen. So wurde denn alles, was Leben und Odem hatte, aufgefordert, nach dem Domberg bei Dorpat zu kommen, auf dem ein heiliger Hain stand. Und alles kam. Andächtig, erwartungsvoll stand die Menge. Da brauste es gar wunderbar in den Lüften. Bei diesem Brausen erzitterten die Herzen und die Seelen wurden weit. Und stehe, aus der Höhe ließ sich Wannemune, der Gott des Gesanges, zur Erde nieder. Er glättete sein lockiges Haar, auf dem die Sonne lag, schüttelte seine Gewänder, strich mit der Hand über den welligen Bart, räusperte seine Stimme, und prüfend fuhr seine Hand über die goldene Zither. Das Vorspiel erklang, — dann der Hymnus. Alles lauschte, jeder war er¬ griffen. Tiefe Stille, ringsum kein Laut. Der Einband hemmte seinen Lauf, der Wind vergaß seinen Haß. Der Wald bewegte sich nicht mehr; regungslos saßen die Vögel auf den Zweigen. Voller Staunen blickte das neckende Echo durch die stumm gewordenen Bäume. So war jeder versunken in Aufmerksamkeit. Aber nicht jeder begriff das, was er hörte. Wohl hatten sich die Bäume des Haines das Brausen gemerkt, das so wunderbar die Lüfte erfüllte, als Wannemune vom Himmel niederstieg. Sie ahmten es nach, und ihr feierliches Säuseln erinnert noch heute an die Nähe der Gottheit. Der Einband vergaß nicht das Rauschen von Wannemunens Ge¬ wände: wenn er im Frühling sich seiner neuen Jugend freut, so rauscht er, wie er es in jener großen Stunde im heiligen Haine gehört hat. Dem Winde gefielen die grellsten Töne im Saitenspiele des Gottes: er bemüht sich, sie wiederzugeben, wenn er durch das Land fährt und die weiße Straße zum Tanze zwingt. Die Tiere behielten das, was den größten Eindruck auf sie gemacht hatte. So kam es, daß einige ihrer Stimme einen knarrenden Ton gaben, denn sie wollten gehört haben, daß es in Wannemunens Zither so klang. Andere wieder zwangen ihre Stimme zu ganz hellen Lauten: sie meinten, die Saiten hätten so getönt. Die Singvögel waren besonders eifrig im Hören: gleich versuchte die Nachtigall, die Lerche das Vorspiel. Auch die Fische wollten von dem Gotte lernen, doch es er¬ ging ihnen schlimm. Denn da sie wohl die Augen aus dem Wasser gehoben hatten, aber nicht die Ohren, so erblickten sie die Bewegung des Mundes von Wannemune, hörten aber nicht seinen Sang, sein Spiel. Voller Eifer ahmten sie nur das nach, was sie sahen: blieben also stumm. Schweigend stand der Mensch da. Er hörte nicht nur die Töne, sondern fühlte auch die Harmonie, die die Töne miteinander verband. Wunderbar klang in ihm das Lied des Gottes wieder, er machte es sich ganz zu eigen. Und in dem sich mit Verstand Angeeigneten schuf er weiter. So verschmolz er Altes und Neues, legte seine Seele in den Sang. Was nun von seinen Lippen tönte, das war die Festsprache, mit der die Gottheit ihr Geschöpf beglücken wollte. Und der Mensch war beglückt in dieser heiligen Gabe. Dankbar stieg sein Lied empor zu dem, der es ihn- gelehrt hatte, der ihn fähig gemacht, es zu begreifen. Wannemune sang und sang. Er sang von der Größe des Himmels, von der Pracht der Erde, vom Glück und Unglück des Menschengeschlechts. Und er weinte. So heiß weinte er, daß die Tränen durch seine sechs Röcke drangen und durch seine sieben Hemden. Nun hatte er geendet. In wunderbarem Brausen flog er wieder hinaus, um Altvater zu singen, zu danken, daß er den Menschen geschaffen hatte nach seinem Bilde und ihm die Seele gegeben, die das Große versteht, das Göttliche. Und Altvater neigte das Haupt; gnädig lauschte er dem Gesänge, der gleich einem Opfer zu ihm emporstieg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/196>, abgerufen am 05.05.2024.