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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

der Bedeutung des sexuellen Problems im
öffentlichen Leben der Gegenwart kann keine
seiner Seiten einer ernsten, taktvollen Be¬
sprechung in den Zeitungen entzogen sein.
Die wörtliche Auslegung der Entwürfe würde
unter anderem dahin führen, daß bestimmte
Heilverfahren, z. B. die Salvarscm-Behand-
lung, in den Zeitungen zwar angegriffen
werden dürsten, ihre Verteidigung aber mit
Strafgefahr verbunden wäre, weil darin ein
"Anpreisen" gefunden werden könnte. Die
fachmännische Kritik muß bemüht sein, diese
und andere Mängel der Entwürfe zu ver¬
bessern.

Es war unvermeidlich, daß das Neue den
bestehenden Einrichtungen, dem zum Teil ver¬
alteten System des Strafgesetzbuches ange¬
paßt wurde; die Vorwegnahme allgemein an¬
zustrebender Reformen auf den Gebieten der
Strafen und sichernden Maßnahmen in Einzel¬
bestimmungen müßte unser Recht mit Wider¬
spruch belasten. Aber die Entwürfe zeigen
doch allzugroße Zurückhaltung den geltenden
Strafgesetzen gegenüber. So ist die Ver¬
bringung Prostituierter ins Arbeitshaus --
wegen Übertretung der Kontrollvorschriften --
beibehalten worden, obwohl Besserung durch
diese Behandlung sicher nicht erzielt wird,
auch harte Arbeit von diesen meist körperlich
gebrochenen Existenzen nicht geleistet werden
kann. Sehr auffällig ist ferner, daß bei der
unumgänglichen Ergänzung der Vorschriften
gegen die Abtreibung nicht die Gelegenheit
benutzt wurde, anerkannte Gebrechen des be¬
stehenden Rechtes in dieser Hinsicht abzustellen.
Die AbtreibungStatbestände des Strafgesetz¬
buches sind sehr schlecht gefaßt. Während die
gewinnsüchtige und die Abtreibung ohne den
Willen der Schwangeren der gebührenden
scharfen Strafe unterworfen werden muß,
zeigen in anderer Beziehung die Strafsätze
übertriebene Härte. An der Zulässigkeit der
Fruchttötung durch den approbierten Arzt aus
medizinischen Gründen -- um die Gefahr des
Todes oder eines erheblichen Gesundheits¬
schadens von der Schwangeren abzuwenden,
besteht an sich kein Zweifel. Aber das Gesetz
schweigt darüber und es wäre aller Anlaß
gegeben, durch klare gesetzliche Bestimmung
der Voraussetzungen dieses Eingriffes zugleich

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eine Käutel zu schaffen gegen mißbräuchliche
Fruchttötung -- einzelne unlautere Elemente
gibt es ja in jedem Berufe, und gerade sie
werden für solche Zwecke gesucht sein -- und
den Arzt, der aus triftigen Grunde dazu
geschritten ist, gegen ungerechtfertigte Straf¬
verfolgung zu sichern.

Sehr wertvoll sind die in der Begründung
der Entwürfe beigebrachten statistischen Mate¬
rialien und die fachmännischer Erörterungen
über die einschlägigen Krankheiten, über Mittel
zur Empfängnisverhütung, zum Abbrüche
der Schwangerschaft und deren verbreiteten
Mißbrauch.

Die Vorkämpfer für "Eugenik" werden
von den Entwürfen weit mehr erwartet haben.
Aber indem die Entwürfe den Beitrag des
Strafrechtes an der Bewältigung dieser sozialen
Aufgaben zu geben bemüht sind, streben sie
ein in sich geschlossenes Ganzes an und werden
nach Hinzunahme der angedeuteten Ergän¬
zungen ein solches in der Tat enthalten.
Was vom Staate -- auf den Gebieten der
sozialen Gesetzgebung, der Verwaltung --
verständigerweise noch weiter verlangt werden
kann, bleibe weiterer Erwägung vorbehalten.
Den alsbald erreichbaren Strafrechtsschutz
zurückzustellen bis zur Spruchreife auch der
sonstigen Fragen, wäre nicht verständig. So
ist zu hoffen, daß die vorgeschlagenen Straf-
bestimmun.gen mit den gebotenen Berichti¬
gungen und den , wünschenswerten Ergän¬
zungen Aufnahme in unsere Gesetzgebung
Geh. hofrat Prof. Dr. Getker finden.

Zur Wahlrechtsreform in Preußen.

Ein
uns zugehendes Flugblatt macht in letzter
Stunde auf den Vermittlungsvorschlag eines
kontingentierten gleichen Verhältniswahlrechtes
aufmerksam, den Postrat Otto Meyer in seiner
Schrift "Das preußische Wahlrechtsproblem"
(Verlag Viktor von Zabern, Mainz) aus¬
gearbeitet und begründet hat. Der Grund¬
gedanke des Vorschlages ist der, daß gewählt
sein soll, wer in mehreren, höchstens sechs
Wahlkreisen zusammen eine gewisse Stimmen¬
zahl (ein Fünfhundertstel der Gesamtstimmen-
zcihl des Landes) auf sich vereinigt, mit der
Bedingung jedoch, daß die Stimmen allen
Schichten der Bevölkerung gleichmäßig ent¬
nommen sein müssen. Um dies zu kontrol-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

der Bedeutung des sexuellen Problems im
öffentlichen Leben der Gegenwart kann keine
seiner Seiten einer ernsten, taktvollen Be¬
sprechung in den Zeitungen entzogen sein.
Die wörtliche Auslegung der Entwürfe würde
unter anderem dahin führen, daß bestimmte
Heilverfahren, z. B. die Salvarscm-Behand-
lung, in den Zeitungen zwar angegriffen
werden dürsten, ihre Verteidigung aber mit
Strafgefahr verbunden wäre, weil darin ein
„Anpreisen" gefunden werden könnte. Die
fachmännische Kritik muß bemüht sein, diese
und andere Mängel der Entwürfe zu ver¬
bessern.

Es war unvermeidlich, daß das Neue den
bestehenden Einrichtungen, dem zum Teil ver¬
alteten System des Strafgesetzbuches ange¬
paßt wurde; die Vorwegnahme allgemein an¬
zustrebender Reformen auf den Gebieten der
Strafen und sichernden Maßnahmen in Einzel¬
bestimmungen müßte unser Recht mit Wider¬
spruch belasten. Aber die Entwürfe zeigen
doch allzugroße Zurückhaltung den geltenden
Strafgesetzen gegenüber. So ist die Ver¬
bringung Prostituierter ins Arbeitshaus —
wegen Übertretung der Kontrollvorschriften —
beibehalten worden, obwohl Besserung durch
diese Behandlung sicher nicht erzielt wird,
auch harte Arbeit von diesen meist körperlich
gebrochenen Existenzen nicht geleistet werden
kann. Sehr auffällig ist ferner, daß bei der
unumgänglichen Ergänzung der Vorschriften
gegen die Abtreibung nicht die Gelegenheit
benutzt wurde, anerkannte Gebrechen des be¬
stehenden Rechtes in dieser Hinsicht abzustellen.
Die AbtreibungStatbestände des Strafgesetz¬
buches sind sehr schlecht gefaßt. Während die
gewinnsüchtige und die Abtreibung ohne den
Willen der Schwangeren der gebührenden
scharfen Strafe unterworfen werden muß,
zeigen in anderer Beziehung die Strafsätze
übertriebene Härte. An der Zulässigkeit der
Fruchttötung durch den approbierten Arzt aus
medizinischen Gründen — um die Gefahr des
Todes oder eines erheblichen Gesundheits¬
schadens von der Schwangeren abzuwenden,
besteht an sich kein Zweifel. Aber das Gesetz
schweigt darüber und es wäre aller Anlaß
gegeben, durch klare gesetzliche Bestimmung
der Voraussetzungen dieses Eingriffes zugleich

[Spaltenumbruch]

eine Käutel zu schaffen gegen mißbräuchliche
Fruchttötung — einzelne unlautere Elemente
gibt es ja in jedem Berufe, und gerade sie
werden für solche Zwecke gesucht sein — und
den Arzt, der aus triftigen Grunde dazu
geschritten ist, gegen ungerechtfertigte Straf¬
verfolgung zu sichern.

Sehr wertvoll sind die in der Begründung
der Entwürfe beigebrachten statistischen Mate¬
rialien und die fachmännischer Erörterungen
über die einschlägigen Krankheiten, über Mittel
zur Empfängnisverhütung, zum Abbrüche
der Schwangerschaft und deren verbreiteten
Mißbrauch.

Die Vorkämpfer für „Eugenik" werden
von den Entwürfen weit mehr erwartet haben.
Aber indem die Entwürfe den Beitrag des
Strafrechtes an der Bewältigung dieser sozialen
Aufgaben zu geben bemüht sind, streben sie
ein in sich geschlossenes Ganzes an und werden
nach Hinzunahme der angedeuteten Ergän¬
zungen ein solches in der Tat enthalten.
Was vom Staate — auf den Gebieten der
sozialen Gesetzgebung, der Verwaltung —
verständigerweise noch weiter verlangt werden
kann, bleibe weiterer Erwägung vorbehalten.
Den alsbald erreichbaren Strafrechtsschutz
zurückzustellen bis zur Spruchreife auch der
sonstigen Fragen, wäre nicht verständig. So
ist zu hoffen, daß die vorgeschlagenen Straf-
bestimmun.gen mit den gebotenen Berichti¬
gungen und den , wünschenswerten Ergän¬
zungen Aufnahme in unsere Gesetzgebung
Geh. hofrat Prof. Dr. Getker finden.

Zur Wahlrechtsreform in Preußen.

Ein
uns zugehendes Flugblatt macht in letzter
Stunde auf den Vermittlungsvorschlag eines
kontingentierten gleichen Verhältniswahlrechtes
aufmerksam, den Postrat Otto Meyer in seiner
Schrift „Das preußische Wahlrechtsproblem"
(Verlag Viktor von Zabern, Mainz) aus¬
gearbeitet und begründet hat. Der Grund¬
gedanke des Vorschlages ist der, daß gewählt
sein soll, wer in mehreren, höchstens sechs
Wahlkreisen zusammen eine gewisse Stimmen¬
zahl (ein Fünfhundertstel der Gesamtstimmen-
zcihl des Landes) auf sich vereinigt, mit der
Bedingung jedoch, daß die Stimmen allen
Schichten der Bevölkerung gleichmäßig ent¬
nommen sein müssen. Um dies zu kontrol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/202>, abgerufen am 05.05.2024.