Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Das Haus an der Grenze
1)5. Friedrich Freund von

"> s ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse Führer unserer Politik im
Quadrate der Entfernung vom Schützengraben größer werden, bis
sie sich unter dem schützenden Himmel der Reichshauptstadt zur
Ausfälligkeit auswachsen. Geht man den Weg zurück, nachdem man
sich durch den politischen Straßenstaub Schildas hindurchgeschlagen
^! hat, so fühlt man, je mehr man sich der Grenze und der Front
nähert, 'daß Sachlichkeit, Erkenntnis des notwendigen, Entschlossenheit zur Er¬
füllung der Tagesforderung wachsen bis zum Opfer des eigenen Blutes. Diesem
Spannungsunterschied zwischen Wort und Tat entsprechen die Ereignisse. Poli¬
tische Verwirrung und lärmendes Getümmel im Innern, aber eiserne Ruhe und
kraftvolle Leistung an den Grenzen. Es ist begreiflich, daß da ein gegenseitiges
Verstehen schwer ist. Die Tat unserer Verteidiger verflüchtigt sich im Innern zur
Politischen Doktrin. In höchster Not hilft nicht die Doktrin, sondern die befreiende
Tat. "Ich habe nie nach Grundsätzen gehandelt", sagte Bismarck von seiner Politik.
Wieviel weniger hat er Doktrinen geschätzt. In Schilds aber sucht man nach der
besten Theorie, nach der man den Weltcnbrand löschen könnte. In den Hirn¬
gespinsten seiner aufgestörten Politikaster ist auch nicht ein Feind hängen geblieben.
Kein Wunder, daß das Volk an der Grenze sich dahinter nicht sicher fühlt. Hier
braucht man Männer, hier verlangt man sichtbaren, handgreiflichen Schutz vor dem
Feind, den jetzt Mut und Blut unserer Besten vom deutschen Land fernhält. Ob
uns die Klugheit der Abdenten vor ihm bewahren könnte?

Man hat den Frieden im Osten einen Großagrarierfrieden genannt und
von "schwerindustriellen" Kriegszielen im Westen gesprochen. Streichen wir das
"groß" und "schwer", so entnehmen wir dem Schlagwort einen zwar nicht beab¬
sichtigten, doch wertvollen Sinn. Dann lautet der Satz: "Schutz für unsere Er¬
nährung im Osten, Sicherung unserer gewerblichen Arbeit im Westen." Der
Friedensschluß im Osten bedeutet tatsächlich eine Ausbreitung unserer Landwirt¬
schaft, eine Fürsorge für die Ernährung unseres Volkes. Der Friede im Osten
ist ein Brotfrieden. Wenn er auch auf dem Programm der sogenannten "Groß-
agrier gestanden hat, so werden seine Folgen für unsere Volkswirtschaft nicht
weniger günstig sein. Sollten die "schwerindustriellen" Kriegsziele im Westen
ebenso vorteilhaft für unser durch unerhörte Kriegsopfer geschwächtes Volk sein,
dann werden wir dem Schlagwörtler der Hetzpresse für seine Bemühungen dankbar
sein müssen.

Es hat einen tieferen Sinn, die Kriegsziele im Osten agrarische, die im
Westen industrielle zu nennen. Es prägt sich in dieser Fassung die ökonomische
Stellung Deutschlands zu Europa und zum Weltmarkt aus. Wir liegen in der
Mitte des überwiegend industriellen Westens und des agrarischen Osten Europas,


Grenzboten II 1918 17


Das Haus an der Grenze
1)5. Friedrich Freund von

«> s ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse Führer unserer Politik im
Quadrate der Entfernung vom Schützengraben größer werden, bis
sie sich unter dem schützenden Himmel der Reichshauptstadt zur
Ausfälligkeit auswachsen. Geht man den Weg zurück, nachdem man
sich durch den politischen Straßenstaub Schildas hindurchgeschlagen
^! hat, so fühlt man, je mehr man sich der Grenze und der Front
nähert, 'daß Sachlichkeit, Erkenntnis des notwendigen, Entschlossenheit zur Er¬
füllung der Tagesforderung wachsen bis zum Opfer des eigenen Blutes. Diesem
Spannungsunterschied zwischen Wort und Tat entsprechen die Ereignisse. Poli¬
tische Verwirrung und lärmendes Getümmel im Innern, aber eiserne Ruhe und
kraftvolle Leistung an den Grenzen. Es ist begreiflich, daß da ein gegenseitiges
Verstehen schwer ist. Die Tat unserer Verteidiger verflüchtigt sich im Innern zur
Politischen Doktrin. In höchster Not hilft nicht die Doktrin, sondern die befreiende
Tat. „Ich habe nie nach Grundsätzen gehandelt", sagte Bismarck von seiner Politik.
Wieviel weniger hat er Doktrinen geschätzt. In Schilds aber sucht man nach der
besten Theorie, nach der man den Weltcnbrand löschen könnte. In den Hirn¬
gespinsten seiner aufgestörten Politikaster ist auch nicht ein Feind hängen geblieben.
Kein Wunder, daß das Volk an der Grenze sich dahinter nicht sicher fühlt. Hier
braucht man Männer, hier verlangt man sichtbaren, handgreiflichen Schutz vor dem
Feind, den jetzt Mut und Blut unserer Besten vom deutschen Land fernhält. Ob
uns die Klugheit der Abdenten vor ihm bewahren könnte?

Man hat den Frieden im Osten einen Großagrarierfrieden genannt und
von „schwerindustriellen" Kriegszielen im Westen gesprochen. Streichen wir das
„groß" und „schwer", so entnehmen wir dem Schlagwort einen zwar nicht beab¬
sichtigten, doch wertvollen Sinn. Dann lautet der Satz: „Schutz für unsere Er¬
nährung im Osten, Sicherung unserer gewerblichen Arbeit im Westen." Der
Friedensschluß im Osten bedeutet tatsächlich eine Ausbreitung unserer Landwirt¬
schaft, eine Fürsorge für die Ernährung unseres Volkes. Der Friede im Osten
ist ein Brotfrieden. Wenn er auch auf dem Programm der sogenannten „Groß-
agrier gestanden hat, so werden seine Folgen für unsere Volkswirtschaft nicht
weniger günstig sein. Sollten die „schwerindustriellen" Kriegsziele im Westen
ebenso vorteilhaft für unser durch unerhörte Kriegsopfer geschwächtes Volk sein,
dann werden wir dem Schlagwörtler der Hetzpresse für seine Bemühungen dankbar
sein müssen.

Es hat einen tieferen Sinn, die Kriegsziele im Osten agrarische, die im
Westen industrielle zu nennen. Es prägt sich in dieser Fassung die ökonomische
Stellung Deutschlands zu Europa und zum Weltmarkt aus. Wir liegen in der
Mitte des überwiegend industriellen Westens und des agrarischen Osten Europas,


Grenzboten II 1918 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333712"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341907_333482/figures/grenzboten_341907_333482_333712_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Haus an der Grenze<lb/><note type="byline"> 1)5. Friedrich Freund</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_870"> «&gt; s ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse Führer unserer Politik im<lb/>
Quadrate der Entfernung vom Schützengraben größer werden, bis<lb/>
sie sich unter dem schützenden Himmel der Reichshauptstadt zur<lb/>
Ausfälligkeit auswachsen. Geht man den Weg zurück, nachdem man<lb/>
sich durch den politischen Straßenstaub Schildas hindurchgeschlagen<lb/>
^! hat, so fühlt man, je mehr man sich der Grenze und der Front<lb/>
nähert, 'daß Sachlichkeit, Erkenntnis des notwendigen, Entschlossenheit zur Er¬<lb/>
füllung der Tagesforderung wachsen bis zum Opfer des eigenen Blutes. Diesem<lb/>
Spannungsunterschied zwischen Wort und Tat entsprechen die Ereignisse. Poli¬<lb/>
tische Verwirrung und lärmendes Getümmel im Innern, aber eiserne Ruhe und<lb/>
kraftvolle Leistung an den Grenzen. Es ist begreiflich, daß da ein gegenseitiges<lb/>
Verstehen schwer ist. Die Tat unserer Verteidiger verflüchtigt sich im Innern zur<lb/>
Politischen Doktrin. In höchster Not hilft nicht die Doktrin, sondern die befreiende<lb/>
Tat. &#x201E;Ich habe nie nach Grundsätzen gehandelt", sagte Bismarck von seiner Politik.<lb/>
Wieviel weniger hat er Doktrinen geschätzt. In Schilds aber sucht man nach der<lb/>
besten Theorie, nach der man den Weltcnbrand löschen könnte. In den Hirn¬<lb/>
gespinsten seiner aufgestörten Politikaster ist auch nicht ein Feind hängen geblieben.<lb/>
Kein Wunder, daß das Volk an der Grenze sich dahinter nicht sicher fühlt. Hier<lb/>
braucht man Männer, hier verlangt man sichtbaren, handgreiflichen Schutz vor dem<lb/>
Feind, den jetzt Mut und Blut unserer Besten vom deutschen Land fernhält. Ob<lb/>
uns die Klugheit der Abdenten vor ihm bewahren könnte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_871"> Man hat den Frieden im Osten einen Großagrarierfrieden genannt und<lb/>
von &#x201E;schwerindustriellen" Kriegszielen im Westen gesprochen. Streichen wir das<lb/>
&#x201E;groß" und &#x201E;schwer", so entnehmen wir dem Schlagwort einen zwar nicht beab¬<lb/>
sichtigten, doch wertvollen Sinn. Dann lautet der Satz: &#x201E;Schutz für unsere Er¬<lb/>
nährung im Osten, Sicherung unserer gewerblichen Arbeit im Westen." Der<lb/>
Friedensschluß im Osten bedeutet tatsächlich eine Ausbreitung unserer Landwirt¬<lb/>
schaft, eine Fürsorge für die Ernährung unseres Volkes. Der Friede im Osten<lb/>
ist ein Brotfrieden. Wenn er auch auf dem Programm der sogenannten &#x201E;Groß-<lb/>
agrier gestanden hat, so werden seine Folgen für unsere Volkswirtschaft nicht<lb/>
weniger günstig sein. Sollten die &#x201E;schwerindustriellen" Kriegsziele im Westen<lb/>
ebenso vorteilhaft für unser durch unerhörte Kriegsopfer geschwächtes Volk sein,<lb/>
dann werden wir dem Schlagwörtler der Hetzpresse für seine Bemühungen dankbar<lb/>
sein müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_872" next="#ID_873"> Es hat einen tieferen Sinn, die Kriegsziele im Osten agrarische, die im<lb/>
Westen industrielle zu nennen. Es prägt sich in dieser Fassung die ökonomische<lb/>
Stellung Deutschlands zu Europa und zum Weltmarkt aus. Wir liegen in der<lb/>
Mitte des überwiegend industriellen Westens und des agrarischen Osten Europas,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1918 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] [Abbildung] Das Haus an der Grenze 1)5. Friedrich Freund von «> s ist eine bekannte Tatsache, daß gewisse Führer unserer Politik im Quadrate der Entfernung vom Schützengraben größer werden, bis sie sich unter dem schützenden Himmel der Reichshauptstadt zur Ausfälligkeit auswachsen. Geht man den Weg zurück, nachdem man sich durch den politischen Straßenstaub Schildas hindurchgeschlagen ^! hat, so fühlt man, je mehr man sich der Grenze und der Front nähert, 'daß Sachlichkeit, Erkenntnis des notwendigen, Entschlossenheit zur Er¬ füllung der Tagesforderung wachsen bis zum Opfer des eigenen Blutes. Diesem Spannungsunterschied zwischen Wort und Tat entsprechen die Ereignisse. Poli¬ tische Verwirrung und lärmendes Getümmel im Innern, aber eiserne Ruhe und kraftvolle Leistung an den Grenzen. Es ist begreiflich, daß da ein gegenseitiges Verstehen schwer ist. Die Tat unserer Verteidiger verflüchtigt sich im Innern zur Politischen Doktrin. In höchster Not hilft nicht die Doktrin, sondern die befreiende Tat. „Ich habe nie nach Grundsätzen gehandelt", sagte Bismarck von seiner Politik. Wieviel weniger hat er Doktrinen geschätzt. In Schilds aber sucht man nach der besten Theorie, nach der man den Weltcnbrand löschen könnte. In den Hirn¬ gespinsten seiner aufgestörten Politikaster ist auch nicht ein Feind hängen geblieben. Kein Wunder, daß das Volk an der Grenze sich dahinter nicht sicher fühlt. Hier braucht man Männer, hier verlangt man sichtbaren, handgreiflichen Schutz vor dem Feind, den jetzt Mut und Blut unserer Besten vom deutschen Land fernhält. Ob uns die Klugheit der Abdenten vor ihm bewahren könnte? Man hat den Frieden im Osten einen Großagrarierfrieden genannt und von „schwerindustriellen" Kriegszielen im Westen gesprochen. Streichen wir das „groß" und „schwer", so entnehmen wir dem Schlagwort einen zwar nicht beab¬ sichtigten, doch wertvollen Sinn. Dann lautet der Satz: „Schutz für unsere Er¬ nährung im Osten, Sicherung unserer gewerblichen Arbeit im Westen." Der Friedensschluß im Osten bedeutet tatsächlich eine Ausbreitung unserer Landwirt¬ schaft, eine Fürsorge für die Ernährung unseres Volkes. Der Friede im Osten ist ein Brotfrieden. Wenn er auch auf dem Programm der sogenannten „Groß- agrier gestanden hat, so werden seine Folgen für unsere Volkswirtschaft nicht weniger günstig sein. Sollten die „schwerindustriellen" Kriegsziele im Westen ebenso vorteilhaft für unser durch unerhörte Kriegsopfer geschwächtes Volk sein, dann werden wir dem Schlagwörtler der Hetzpresse für seine Bemühungen dankbar sein müssen. Es hat einen tieferen Sinn, die Kriegsziele im Osten agrarische, die im Westen industrielle zu nennen. Es prägt sich in dieser Fassung die ökonomische Stellung Deutschlands zu Europa und zum Weltmarkt aus. Wir liegen in der Mitte des überwiegend industriellen Westens und des agrarischen Osten Europas, Grenzboten II 1918 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/229>, abgerufen am 05.05.2024.