Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wenn ein Briefträger
die Post bestellen soll, und er geht zunächst in
das zweite Haus, dann in das erste, hierauf in
das vierte und danach in das dritte, so wird
er viel Zeit unnötig verlieren. Und welche
Unzuträglichkeiten würden entstehen, wenn am
Schalter oder beim Schlangestehen zunächst
die zweite, dann die erste Person abgefertigt
würde I Die natürliche Reihenfolge ist so
selbstverständlich, daß man eine Abweichung
nicht für möglich halten sollte. Aber dennoch

Bessere Zahlwörter.

wie spricht man die Fernsprechnummer
2846? Nach Anordnung der Postbehörde
dreiundzwanzig, fünfundvierzig; Wie liest man
die Zahl 123 456? Einhundert drei undzwanzig
tausend vierhundert sechs und fünfzig, also
zunächst die erste, dann die dritte und zweite,
hierauf die vierte, sechste und fünfte, an keiner
Stelle werden zwei aufeinander folgende
Zahlen in der richtigen Reihenfolge gesprochen.
Und selbst bei zweistelligen Zahlen lesen wir
13 dreizehn, 24 -- vierundzwanzig usw. bis
neunundneunzig, alles verkehrt I Jeder Bater
und jede Mutter weiß, wieviel Mühe und
Tränen die Schreibung der Zahlwörter in
den ersten Schuljahren kostet. Wir lesen alles
von links nach rechts; alles, was wir hören,
schreiben wir von links nach rechts, nur bei
Zahlen wird diese selbstverständliche Regel
dauernd verletzt.

Ist diese inkonsequente, hin- und hersprin¬
gende Bezeichnung im Wesen der Sache be¬
gründet? Der Franzose zählt von ciix-sept.
der Engländer von twenty-one an regel¬
mäßig. Bei Zahlen unter 100 findet man
die verkehrte Stellung (wenn wir elf und
zwölf nicht berücksichtigen), schwedisch, eng¬
lisch, litauisch, russisch, Polnisch siebenmal,
französisch und italienisch viermal, spanisch
. und portugiesisch dreimal, griechisch und
lateinisch kann man überall die regelmäßige
Stellung anwenden -- im Deutschen dagegen
haben wir die Umstellung 79 mal, unsere
Stellung ist also wesentlich unzweckmäßiger
als bei allen anderen Völkern. DaS ist ein
Punkt, in dem wir wirklich rückständig sind!
Aber man gewöhnt sich an alles. Zu Goethes
Zeiten galten zwei Talglichter für eine glän¬
zende Beleuchtung, und so glauben die meisten,

[Spaltenumbruch]

nachdem sie die Mühen des Rechenunterrichts
überwunden haben, daß eine Vereinfachung
unmöglich ist. Sie vergessen, daß bei jedem
Gebrauch eines Zahlwortes, bei jedem Über¬
gang vom Wort zur Ziffer ein Zeitverlust
und eine Denkarbeit entsteht, die zwar in
jedem einzelnen Falle gering ist, die aber bei
der großen Masse der zu bewältigenden Zahlen
die Leistungsfähigkeit stark herabsetzt und
dauernd Anlaß zu Fehlern gibt. Die kleinen
Reibungen bei einer schlecht geölten Maschine
verursachen großen Kraftverlust. Beim Taylor-
System, das von Amerika aus in die In¬
dustrie eindringt, untersucht man jede Bewe¬
gung eines Arbeiters, um festzustellen, auf
welche Art die gewünschte Leistung mit der
geringsten Kraftanstrengung hervorgebracht
werden kann. Beim Gehen ist es ziemlich
gleichgültig, ob man einen einzelnen Schritt
auf gutem oder schlechtem Wege macht, aber
bei der ungeheuren Menge von Schritten, die
in einer Großstadt zu tun sind, wäre auf,
schlechten Straßen die Verschwendung an Zeit
und Arbeitskraft so groß, daß der Staat und
die städtischen Verwaltungen lieber alljährlich
viele Millionen Mark aufwenden, um durch
Trittsteine, Asphalt, Straßen- und Eisenbahnen
den Verkehr zu erleichtern. Sollte man nicht
ebensoviel Geld und Mühe aufwenden, um
eine bessere Ausnutzung der Geisteskraft zu
ermöglichen. Sollen wir immer weiter in
den Eierschalen unserer Entwicklung stecken
bleiben, und sollen wir aus krankhafter Über¬
schätzung des geschichtlich Gewordenen einen
notwendigen Fortschritt hindern?

Da die Ziffern die vollkommenste Dar¬
stellung des Zahlbegriffes geben, so kann eine
Besserung nur erfolgen, indem man die Zahl¬
wörter den Ziffern möglichst anpaßt. Man
zähle: zehndrei, zehnvier... zehnneun, zwanzig¬
ein ... neunzigneun. Dadurch wird die Stel¬
lung auch bei allen folgenden Zahlen regel¬
mäßig. Das Nähere ist in Fachzeitschriften
ausgeführt, z. B. im "Deutschen Philo¬
logenblatt" 1916 Ur. 30 und 1913 Ur. 27.

Dieser Gedanke liegt so nahe, daß er schon
mehrfach ausgesprochen ist, z. B. von Förster,
Höfler u, Ostwald. Vereinzelt ist diese Be¬
zeichnung auch schon im Gebrauch, wenn bei

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wenn ein Briefträger
die Post bestellen soll, und er geht zunächst in
das zweite Haus, dann in das erste, hierauf in
das vierte und danach in das dritte, so wird
er viel Zeit unnötig verlieren. Und welche
Unzuträglichkeiten würden entstehen, wenn am
Schalter oder beim Schlangestehen zunächst
die zweite, dann die erste Person abgefertigt
würde I Die natürliche Reihenfolge ist so
selbstverständlich, daß man eine Abweichung
nicht für möglich halten sollte. Aber dennoch

Bessere Zahlwörter.

wie spricht man die Fernsprechnummer
2846? Nach Anordnung der Postbehörde
dreiundzwanzig, fünfundvierzig; Wie liest man
die Zahl 123 456? Einhundert drei undzwanzig
tausend vierhundert sechs und fünfzig, also
zunächst die erste, dann die dritte und zweite,
hierauf die vierte, sechste und fünfte, an keiner
Stelle werden zwei aufeinander folgende
Zahlen in der richtigen Reihenfolge gesprochen.
Und selbst bei zweistelligen Zahlen lesen wir
13 dreizehn, 24 — vierundzwanzig usw. bis
neunundneunzig, alles verkehrt I Jeder Bater
und jede Mutter weiß, wieviel Mühe und
Tränen die Schreibung der Zahlwörter in
den ersten Schuljahren kostet. Wir lesen alles
von links nach rechts; alles, was wir hören,
schreiben wir von links nach rechts, nur bei
Zahlen wird diese selbstverständliche Regel
dauernd verletzt.

Ist diese inkonsequente, hin- und hersprin¬
gende Bezeichnung im Wesen der Sache be¬
gründet? Der Franzose zählt von ciix-sept.
der Engländer von twenty-one an regel¬
mäßig. Bei Zahlen unter 100 findet man
die verkehrte Stellung (wenn wir elf und
zwölf nicht berücksichtigen), schwedisch, eng¬
lisch, litauisch, russisch, Polnisch siebenmal,
französisch und italienisch viermal, spanisch
. und portugiesisch dreimal, griechisch und
lateinisch kann man überall die regelmäßige
Stellung anwenden — im Deutschen dagegen
haben wir die Umstellung 79 mal, unsere
Stellung ist also wesentlich unzweckmäßiger
als bei allen anderen Völkern. DaS ist ein
Punkt, in dem wir wirklich rückständig sind!
Aber man gewöhnt sich an alles. Zu Goethes
Zeiten galten zwei Talglichter für eine glän¬
zende Beleuchtung, und so glauben die meisten,

[Spaltenumbruch]

nachdem sie die Mühen des Rechenunterrichts
überwunden haben, daß eine Vereinfachung
unmöglich ist. Sie vergessen, daß bei jedem
Gebrauch eines Zahlwortes, bei jedem Über¬
gang vom Wort zur Ziffer ein Zeitverlust
und eine Denkarbeit entsteht, die zwar in
jedem einzelnen Falle gering ist, die aber bei
der großen Masse der zu bewältigenden Zahlen
die Leistungsfähigkeit stark herabsetzt und
dauernd Anlaß zu Fehlern gibt. Die kleinen
Reibungen bei einer schlecht geölten Maschine
verursachen großen Kraftverlust. Beim Taylor-
System, das von Amerika aus in die In¬
dustrie eindringt, untersucht man jede Bewe¬
gung eines Arbeiters, um festzustellen, auf
welche Art die gewünschte Leistung mit der
geringsten Kraftanstrengung hervorgebracht
werden kann. Beim Gehen ist es ziemlich
gleichgültig, ob man einen einzelnen Schritt
auf gutem oder schlechtem Wege macht, aber
bei der ungeheuren Menge von Schritten, die
in einer Großstadt zu tun sind, wäre auf,
schlechten Straßen die Verschwendung an Zeit
und Arbeitskraft so groß, daß der Staat und
die städtischen Verwaltungen lieber alljährlich
viele Millionen Mark aufwenden, um durch
Trittsteine, Asphalt, Straßen- und Eisenbahnen
den Verkehr zu erleichtern. Sollte man nicht
ebensoviel Geld und Mühe aufwenden, um
eine bessere Ausnutzung der Geisteskraft zu
ermöglichen. Sollen wir immer weiter in
den Eierschalen unserer Entwicklung stecken
bleiben, und sollen wir aus krankhafter Über¬
schätzung des geschichtlich Gewordenen einen
notwendigen Fortschritt hindern?

Da die Ziffern die vollkommenste Dar¬
stellung des Zahlbegriffes geben, so kann eine
Besserung nur erfolgen, indem man die Zahl¬
wörter den Ziffern möglichst anpaßt. Man
zähle: zehndrei, zehnvier... zehnneun, zwanzig¬
ein ... neunzigneun. Dadurch wird die Stel¬
lung auch bei allen folgenden Zahlen regel¬
mäßig. Das Nähere ist in Fachzeitschriften
ausgeführt, z. B. im „Deutschen Philo¬
logenblatt" 1916 Ur. 30 und 1913 Ur. 27.

Dieser Gedanke liegt so nahe, daß er schon
mehrfach ausgesprochen ist, z. B. von Förster,
Höfler u, Ostwald. Vereinzelt ist diese Be¬
zeichnung auch schon im Gebrauch, wenn bei

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334112"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <cb type="start"/>
          <p xml:id="ID_1086"> Wenn ein Briefträger<lb/>
die Post bestellen soll, und er geht zunächst in<lb/>
das zweite Haus, dann in das erste, hierauf in<lb/>
das vierte und danach in das dritte, so wird<lb/>
er viel Zeit unnötig verlieren. Und welche<lb/>
Unzuträglichkeiten würden entstehen, wenn am<lb/>
Schalter oder beim Schlangestehen zunächst<lb/>
die zweite, dann die erste Person abgefertigt<lb/>
würde I Die natürliche Reihenfolge ist so<lb/>
selbstverständlich, daß man eine Abweichung<lb/>
nicht für möglich halten sollte. Aber dennoch</p>
          <div n="2">
            <head> Bessere Zahlwörter.</head>
            <p xml:id="ID_1087"> wie spricht man die Fernsprechnummer<lb/>
2846? Nach Anordnung der Postbehörde<lb/>
dreiundzwanzig, fünfundvierzig; Wie liest man<lb/>
die Zahl 123 456? Einhundert drei undzwanzig<lb/>
tausend vierhundert sechs und fünfzig, also<lb/>
zunächst die erste, dann die dritte und zweite,<lb/>
hierauf die vierte, sechste und fünfte, an keiner<lb/>
Stelle werden zwei aufeinander folgende<lb/>
Zahlen in der richtigen Reihenfolge gesprochen.<lb/>
Und selbst bei zweistelligen Zahlen lesen wir<lb/>
13 dreizehn, 24 &#x2014; vierundzwanzig usw. bis<lb/>
neunundneunzig, alles verkehrt I Jeder Bater<lb/>
und jede Mutter weiß, wieviel Mühe und<lb/>
Tränen die Schreibung der Zahlwörter in<lb/>
den ersten Schuljahren kostet. Wir lesen alles<lb/>
von links nach rechts; alles, was wir hören,<lb/>
schreiben wir von links nach rechts, nur bei<lb/>
Zahlen wird diese selbstverständliche Regel<lb/>
dauernd verletzt.</p>
            <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Ist diese inkonsequente, hin- und hersprin¬<lb/>
gende Bezeichnung im Wesen der Sache be¬<lb/>
gründet? Der Franzose zählt von ciix-sept.<lb/>
der Engländer von twenty-one an regel¬<lb/>
mäßig. Bei Zahlen unter 100 findet man<lb/>
die verkehrte Stellung (wenn wir elf und<lb/>
zwölf nicht berücksichtigen), schwedisch, eng¬<lb/>
lisch, litauisch, russisch, Polnisch siebenmal,<lb/>
französisch und italienisch viermal, spanisch<lb/>
. und portugiesisch dreimal, griechisch und<lb/>
lateinisch kann man überall die regelmäßige<lb/>
Stellung anwenden &#x2014; im Deutschen dagegen<lb/>
haben wir die Umstellung 79 mal, unsere<lb/>
Stellung ist also wesentlich unzweckmäßiger<lb/>
als bei allen anderen Völkern. DaS ist ein<lb/>
Punkt, in dem wir wirklich rückständig sind!<lb/>
Aber man gewöhnt sich an alles. Zu Goethes<lb/>
Zeiten galten zwei Talglichter für eine glän¬<lb/>
zende Beleuchtung, und so glauben die meisten,</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> nachdem sie die Mühen des Rechenunterrichts<lb/>
überwunden haben, daß eine Vereinfachung<lb/>
unmöglich ist. Sie vergessen, daß bei jedem<lb/>
Gebrauch eines Zahlwortes, bei jedem Über¬<lb/>
gang vom Wort zur Ziffer ein Zeitverlust<lb/>
und eine Denkarbeit entsteht, die zwar in<lb/>
jedem einzelnen Falle gering ist, die aber bei<lb/>
der großen Masse der zu bewältigenden Zahlen<lb/>
die Leistungsfähigkeit stark herabsetzt und<lb/>
dauernd Anlaß zu Fehlern gibt. Die kleinen<lb/>
Reibungen bei einer schlecht geölten Maschine<lb/>
verursachen großen Kraftverlust. Beim Taylor-<lb/>
System, das von Amerika aus in die In¬<lb/>
dustrie eindringt, untersucht man jede Bewe¬<lb/>
gung eines Arbeiters, um festzustellen, auf<lb/>
welche Art die gewünschte Leistung mit der<lb/>
geringsten Kraftanstrengung hervorgebracht<lb/>
werden kann. Beim Gehen ist es ziemlich<lb/>
gleichgültig, ob man einen einzelnen Schritt<lb/>
auf gutem oder schlechtem Wege macht, aber<lb/>
bei der ungeheuren Menge von Schritten, die<lb/>
in einer Großstadt zu tun sind, wäre auf,<lb/>
schlechten Straßen die Verschwendung an Zeit<lb/>
und Arbeitskraft so groß, daß der Staat und<lb/>
die städtischen Verwaltungen lieber alljährlich<lb/>
viele Millionen Mark aufwenden, um durch<lb/>
Trittsteine, Asphalt, Straßen- und Eisenbahnen<lb/>
den Verkehr zu erleichtern. Sollte man nicht<lb/>
ebensoviel Geld und Mühe aufwenden, um<lb/>
eine bessere Ausnutzung der Geisteskraft zu<lb/>
ermöglichen. Sollen wir immer weiter in<lb/>
den Eierschalen unserer Entwicklung stecken<lb/>
bleiben, und sollen wir aus krankhafter Über¬<lb/>
schätzung des geschichtlich Gewordenen einen<lb/>
notwendigen Fortschritt hindern?</p>
            <p xml:id="ID_1090"> Da die Ziffern die vollkommenste Dar¬<lb/>
stellung des Zahlbegriffes geben, so kann eine<lb/>
Besserung nur erfolgen, indem man die Zahl¬<lb/>
wörter den Ziffern möglichst anpaßt. Man<lb/>
zähle: zehndrei, zehnvier... zehnneun, zwanzig¬<lb/>
ein ... neunzigneun. Dadurch wird die Stel¬<lb/>
lung auch bei allen folgenden Zahlen regel¬<lb/>
mäßig. Das Nähere ist in Fachzeitschriften<lb/>
ausgeführt, z. B. im &#x201E;Deutschen Philo¬<lb/>
logenblatt" 1916 Ur. 30 und 1913 Ur. 27.</p>
            <p xml:id="ID_1091" next="#ID_1092"> Dieser Gedanke liegt so nahe, daß er schon<lb/>
mehrfach ausgesprochen ist, z. B. von Förster,<lb/>
Höfler u, Ostwald. Vereinzelt ist diese Be¬<lb/>
zeichnung auch schon im Gebrauch, wenn bei</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Wenn ein Briefträger die Post bestellen soll, und er geht zunächst in das zweite Haus, dann in das erste, hierauf in das vierte und danach in das dritte, so wird er viel Zeit unnötig verlieren. Und welche Unzuträglichkeiten würden entstehen, wenn am Schalter oder beim Schlangestehen zunächst die zweite, dann die erste Person abgefertigt würde I Die natürliche Reihenfolge ist so selbstverständlich, daß man eine Abweichung nicht für möglich halten sollte. Aber dennoch Bessere Zahlwörter. wie spricht man die Fernsprechnummer 2846? Nach Anordnung der Postbehörde dreiundzwanzig, fünfundvierzig; Wie liest man die Zahl 123 456? Einhundert drei undzwanzig tausend vierhundert sechs und fünfzig, also zunächst die erste, dann die dritte und zweite, hierauf die vierte, sechste und fünfte, an keiner Stelle werden zwei aufeinander folgende Zahlen in der richtigen Reihenfolge gesprochen. Und selbst bei zweistelligen Zahlen lesen wir 13 dreizehn, 24 — vierundzwanzig usw. bis neunundneunzig, alles verkehrt I Jeder Bater und jede Mutter weiß, wieviel Mühe und Tränen die Schreibung der Zahlwörter in den ersten Schuljahren kostet. Wir lesen alles von links nach rechts; alles, was wir hören, schreiben wir von links nach rechts, nur bei Zahlen wird diese selbstverständliche Regel dauernd verletzt. Ist diese inkonsequente, hin- und hersprin¬ gende Bezeichnung im Wesen der Sache be¬ gründet? Der Franzose zählt von ciix-sept. der Engländer von twenty-one an regel¬ mäßig. Bei Zahlen unter 100 findet man die verkehrte Stellung (wenn wir elf und zwölf nicht berücksichtigen), schwedisch, eng¬ lisch, litauisch, russisch, Polnisch siebenmal, französisch und italienisch viermal, spanisch . und portugiesisch dreimal, griechisch und lateinisch kann man überall die regelmäßige Stellung anwenden — im Deutschen dagegen haben wir die Umstellung 79 mal, unsere Stellung ist also wesentlich unzweckmäßiger als bei allen anderen Völkern. DaS ist ein Punkt, in dem wir wirklich rückständig sind! Aber man gewöhnt sich an alles. Zu Goethes Zeiten galten zwei Talglichter für eine glän¬ zende Beleuchtung, und so glauben die meisten, nachdem sie die Mühen des Rechenunterrichts überwunden haben, daß eine Vereinfachung unmöglich ist. Sie vergessen, daß bei jedem Gebrauch eines Zahlwortes, bei jedem Über¬ gang vom Wort zur Ziffer ein Zeitverlust und eine Denkarbeit entsteht, die zwar in jedem einzelnen Falle gering ist, die aber bei der großen Masse der zu bewältigenden Zahlen die Leistungsfähigkeit stark herabsetzt und dauernd Anlaß zu Fehlern gibt. Die kleinen Reibungen bei einer schlecht geölten Maschine verursachen großen Kraftverlust. Beim Taylor- System, das von Amerika aus in die In¬ dustrie eindringt, untersucht man jede Bewe¬ gung eines Arbeiters, um festzustellen, auf welche Art die gewünschte Leistung mit der geringsten Kraftanstrengung hervorgebracht werden kann. Beim Gehen ist es ziemlich gleichgültig, ob man einen einzelnen Schritt auf gutem oder schlechtem Wege macht, aber bei der ungeheuren Menge von Schritten, die in einer Großstadt zu tun sind, wäre auf, schlechten Straßen die Verschwendung an Zeit und Arbeitskraft so groß, daß der Staat und die städtischen Verwaltungen lieber alljährlich viele Millionen Mark aufwenden, um durch Trittsteine, Asphalt, Straßen- und Eisenbahnen den Verkehr zu erleichtern. Sollte man nicht ebensoviel Geld und Mühe aufwenden, um eine bessere Ausnutzung der Geisteskraft zu ermöglichen. Sollen wir immer weiter in den Eierschalen unserer Entwicklung stecken bleiben, und sollen wir aus krankhafter Über¬ schätzung des geschichtlich Gewordenen einen notwendigen Fortschritt hindern? Da die Ziffern die vollkommenste Dar¬ stellung des Zahlbegriffes geben, so kann eine Besserung nur erfolgen, indem man die Zahl¬ wörter den Ziffern möglichst anpaßt. Man zähle: zehndrei, zehnvier... zehnneun, zwanzig¬ ein ... neunzigneun. Dadurch wird die Stel¬ lung auch bei allen folgenden Zahlen regel¬ mäßig. Das Nähere ist in Fachzeitschriften ausgeführt, z. B. im „Deutschen Philo¬ logenblatt" 1916 Ur. 30 und 1913 Ur. 27. Dieser Gedanke liegt so nahe, daß er schon mehrfach ausgesprochen ist, z. B. von Förster, Höfler u, Ostwald. Vereinzelt ist diese Be¬ zeichnung auch schon im Gebrauch, wenn bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/267>, abgerufen am 04.05.2024.