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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Urkunden, Quittungen usw. die Zahl in Ziffern
und Worten angegeben werden muß.

Ein Erfolg dieser Bestrebungen ist aber
bisher ausgeblieben, und er wird auch nicht
eintreten. Nicht etwa deshalb, weil -- wie
die Gegner laut verkünden -- die Sprache
nicht verändert werden darf; Laesilr non
suprs xi-ammaticos. Denn die Sprache ist
kein starrer, unveränderlicher Besitz. Wenn
wir Luther und Goethe das Recht zugestehen,
die Sprache zu entwickeln, so werden wir
auch der Wissenschaft erlauben müssen, die
Zahlwörter abzuändern, wenn sie für das
Rechnen und für den Verkehr nichts taugen.
Der Grund für die Beibehaltung unserer un¬
zulänglichen Zählweise liegt tiefer, er ist
physiologisch. Wer von Jugend auf mit der
rechten Hand geschrieben hat, der lernt nur
in Ausnahmefällen die linke dafür zu ge¬
brauchen; und wer das Einmaleins in alter
Weise gelernt und dauernd gebraucht hat,
für den sind die Nervenbahnen so ausgefahren,
daß er von sechzigvier stets auf vierundsechzig
zurückkommt.

Damit ist aber der allein mögliche Weg
für die Einführung besserer Zahlwörter ge¬
geben. Der Unterricht muß vom sechsten
Lebensjahre an einprägen: sechs und sieben
sind zehndrei, siebenmal zwei ist zehnvicr usw.,
dann ist in 40 Jahren der Sieg der neuen
Bezeichnung entschieden und die Vereinfachung
durchgeführt. Die lange Dauer darf uns
nicht von der Durchführung abschrecken. Der
Forstmann sät stets, was er nicht ernten kann,
und auch die Früchte der Erziehung reifen
langsam. Die 1873 begonnene Einführung
der metrischen Maße und Gewichte ist noch
nicht beendet, denn in der Technik, im Holz"
und Eisenhandel werden vielfach noch die
alten Zoll-Maße gebraucht.

Die Einführung der neuen Zählweise wird
sich erheblich einfacher gestalten als die der
metrischen Maße. Trotzdem bleiben noch

[Spaltenumbruch]

Schwierigkeiten genug. Die Volksschulen
können nur beginnen, wenn die höheren
Schulen ihre Arbeit fortsetzen wollen, und die
höhere Schule ist an die Zustimmung von
Universität, Technischer Hochschule, Post,
ReichSbank, von dem kaufmännischen und ge¬
werblichen Leben gebunden. Hier könnte aber
eine Einigung in verhältnismäßig kurzer Zeit
herbeigeführt werden, denn wir haben jetzt,
was früher fehlte, eine vorzügliche Organi¬
sation sowohl bei Volks- als auch bei höheren
Schulen, und der Deutsche Ausschuß für
mathematischen Unterricht umfaßt auch die
Hochschulen; der Berein Deutscher Ingenieure
hat vielfach Schulfragen behandelt usw.
Scheinbar viel verwickelter ist die politische-
Seite der Sache. Die Einführung kann nicht
ohne Zustimmung des Staates erfolgen; viel¬
leicht hält man die Zustimmung der 25 Bundes-
staaten und des Reichstages für notwendig.
An sich wäre auch ein Zusammengehen mit
Osterreich und der Schweiz wünschenswert
aber wollte man dies alles abwarten, so wäre
damit die Sache sa calenclss (Zraecss ver¬
tagt. Die Schulfragen sind bisher den Ein¬
zelstaaten vorbehalten, und wenn ein Staat
den Anfang macht, so hat seine Jugend den
Vorteil; die anderen Staaten werden folgen,
sobald sie den Erfolg sehen. Preußen ist in
der Eisenbahnverstaatlichung und in der Recht¬
schreibung allein vorangegangen und nicht zu
seinem Schaden. Für die wirtschaftlichen
Kämpfe der Zukunft ist schnelles Auffassen
und Behalten der Zahlen von größter Wichtig¬
keit, und die" wird sehr erschwert durch die
verkehrte Stellung der Eimers und Zehner.
Die volle Herrschaft über die Zahlen können
wir erst erlangen, wenn Auge und Ohr,
Wort und Gedanke in demselben Sinne
arbeiten. Möchte dieser Kalturfortschritt, den
die anderen Völker schon längst getan haben,
bei uns nicht zu lange aufg"schoben werden.

Dr. Albert Schütte [Ende Spaltensatz]


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




"Zachdruck siimtlichcr Aufsiitze n"r mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber Georg Cleinow in Berlin-Lichterfelde West. -- Manuslriptsendungen und
Briefe werden erbeten unter der Adresse! "" die "chriftleitung der Grrnzb-ten i" "erim ""U, Tempelhofer Ufer "S".
Fernsprecher de" Herausgeber": Amt Lichterfelde 493, de" Verlag" und der Schriftleitung: sind Littzow W1i>,
Verlag: Verlag der Grenzboten <". in. S. H. in Berlin GW 11, Tempelhofer Ufer SSs
Druck .Der NeichSbot-" ". ". b. H. in Berlin SW 11. Dessau-r Etratze SS/S7.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Urkunden, Quittungen usw. die Zahl in Ziffern
und Worten angegeben werden muß.

Ein Erfolg dieser Bestrebungen ist aber
bisher ausgeblieben, und er wird auch nicht
eintreten. Nicht etwa deshalb, weil — wie
die Gegner laut verkünden — die Sprache
nicht verändert werden darf; Laesilr non
suprs xi-ammaticos. Denn die Sprache ist
kein starrer, unveränderlicher Besitz. Wenn
wir Luther und Goethe das Recht zugestehen,
die Sprache zu entwickeln, so werden wir
auch der Wissenschaft erlauben müssen, die
Zahlwörter abzuändern, wenn sie für das
Rechnen und für den Verkehr nichts taugen.
Der Grund für die Beibehaltung unserer un¬
zulänglichen Zählweise liegt tiefer, er ist
physiologisch. Wer von Jugend auf mit der
rechten Hand geschrieben hat, der lernt nur
in Ausnahmefällen die linke dafür zu ge¬
brauchen; und wer das Einmaleins in alter
Weise gelernt und dauernd gebraucht hat,
für den sind die Nervenbahnen so ausgefahren,
daß er von sechzigvier stets auf vierundsechzig
zurückkommt.

Damit ist aber der allein mögliche Weg
für die Einführung besserer Zahlwörter ge¬
geben. Der Unterricht muß vom sechsten
Lebensjahre an einprägen: sechs und sieben
sind zehndrei, siebenmal zwei ist zehnvicr usw.,
dann ist in 40 Jahren der Sieg der neuen
Bezeichnung entschieden und die Vereinfachung
durchgeführt. Die lange Dauer darf uns
nicht von der Durchführung abschrecken. Der
Forstmann sät stets, was er nicht ernten kann,
und auch die Früchte der Erziehung reifen
langsam. Die 1873 begonnene Einführung
der metrischen Maße und Gewichte ist noch
nicht beendet, denn in der Technik, im Holz«
und Eisenhandel werden vielfach noch die
alten Zoll-Maße gebraucht.

Die Einführung der neuen Zählweise wird
sich erheblich einfacher gestalten als die der
metrischen Maße. Trotzdem bleiben noch

[Spaltenumbruch]

Schwierigkeiten genug. Die Volksschulen
können nur beginnen, wenn die höheren
Schulen ihre Arbeit fortsetzen wollen, und die
höhere Schule ist an die Zustimmung von
Universität, Technischer Hochschule, Post,
ReichSbank, von dem kaufmännischen und ge¬
werblichen Leben gebunden. Hier könnte aber
eine Einigung in verhältnismäßig kurzer Zeit
herbeigeführt werden, denn wir haben jetzt,
was früher fehlte, eine vorzügliche Organi¬
sation sowohl bei Volks- als auch bei höheren
Schulen, und der Deutsche Ausschuß für
mathematischen Unterricht umfaßt auch die
Hochschulen; der Berein Deutscher Ingenieure
hat vielfach Schulfragen behandelt usw.
Scheinbar viel verwickelter ist die politische-
Seite der Sache. Die Einführung kann nicht
ohne Zustimmung des Staates erfolgen; viel¬
leicht hält man die Zustimmung der 25 Bundes-
staaten und des Reichstages für notwendig.
An sich wäre auch ein Zusammengehen mit
Osterreich und der Schweiz wünschenswert
aber wollte man dies alles abwarten, so wäre
damit die Sache sa calenclss (Zraecss ver¬
tagt. Die Schulfragen sind bisher den Ein¬
zelstaaten vorbehalten, und wenn ein Staat
den Anfang macht, so hat seine Jugend den
Vorteil; die anderen Staaten werden folgen,
sobald sie den Erfolg sehen. Preußen ist in
der Eisenbahnverstaatlichung und in der Recht¬
schreibung allein vorangegangen und nicht zu
seinem Schaden. Für die wirtschaftlichen
Kämpfe der Zukunft ist schnelles Auffassen
und Behalten der Zahlen von größter Wichtig¬
keit, und die» wird sehr erschwert durch die
verkehrte Stellung der Eimers und Zehner.
Die volle Herrschaft über die Zahlen können
wir erst erlangen, wenn Auge und Ohr,
Wort und Gedanke in demselben Sinne
arbeiten. Möchte dieser Kalturfortschritt, den
die anderen Völker schon längst getan haben,
bei uns nicht zu lange aufg»schoben werden.

Dr. Albert Schütte [Ende Spaltensatz]


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




»Zachdruck siimtlichcr Aufsiitze n«r mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber Georg Cleinow in Berlin-Lichterfelde West. — Manuslriptsendungen und
Briefe werden erbeten unter der Adresse! «» die «chriftleitung der Grrnzb-ten i« «erim ««U, Tempelhofer Ufer »S».
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Druck .Der NeichSbot-" «. «. b. H. in Berlin SW 11. Dessau-r Etratze SS/S7.
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[0268] Maßgebliches und Unmaßgebliches Urkunden, Quittungen usw. die Zahl in Ziffern und Worten angegeben werden muß. Ein Erfolg dieser Bestrebungen ist aber bisher ausgeblieben, und er wird auch nicht eintreten. Nicht etwa deshalb, weil — wie die Gegner laut verkünden — die Sprache nicht verändert werden darf; Laesilr non suprs xi-ammaticos. Denn die Sprache ist kein starrer, unveränderlicher Besitz. Wenn wir Luther und Goethe das Recht zugestehen, die Sprache zu entwickeln, so werden wir auch der Wissenschaft erlauben müssen, die Zahlwörter abzuändern, wenn sie für das Rechnen und für den Verkehr nichts taugen. Der Grund für die Beibehaltung unserer un¬ zulänglichen Zählweise liegt tiefer, er ist physiologisch. Wer von Jugend auf mit der rechten Hand geschrieben hat, der lernt nur in Ausnahmefällen die linke dafür zu ge¬ brauchen; und wer das Einmaleins in alter Weise gelernt und dauernd gebraucht hat, für den sind die Nervenbahnen so ausgefahren, daß er von sechzigvier stets auf vierundsechzig zurückkommt. Damit ist aber der allein mögliche Weg für die Einführung besserer Zahlwörter ge¬ geben. Der Unterricht muß vom sechsten Lebensjahre an einprägen: sechs und sieben sind zehndrei, siebenmal zwei ist zehnvicr usw., dann ist in 40 Jahren der Sieg der neuen Bezeichnung entschieden und die Vereinfachung durchgeführt. Die lange Dauer darf uns nicht von der Durchführung abschrecken. Der Forstmann sät stets, was er nicht ernten kann, und auch die Früchte der Erziehung reifen langsam. Die 1873 begonnene Einführung der metrischen Maße und Gewichte ist noch nicht beendet, denn in der Technik, im Holz« und Eisenhandel werden vielfach noch die alten Zoll-Maße gebraucht. Die Einführung der neuen Zählweise wird sich erheblich einfacher gestalten als die der metrischen Maße. Trotzdem bleiben noch Schwierigkeiten genug. Die Volksschulen können nur beginnen, wenn die höheren Schulen ihre Arbeit fortsetzen wollen, und die höhere Schule ist an die Zustimmung von Universität, Technischer Hochschule, Post, ReichSbank, von dem kaufmännischen und ge¬ werblichen Leben gebunden. Hier könnte aber eine Einigung in verhältnismäßig kurzer Zeit herbeigeführt werden, denn wir haben jetzt, was früher fehlte, eine vorzügliche Organi¬ sation sowohl bei Volks- als auch bei höheren Schulen, und der Deutsche Ausschuß für mathematischen Unterricht umfaßt auch die Hochschulen; der Berein Deutscher Ingenieure hat vielfach Schulfragen behandelt usw. Scheinbar viel verwickelter ist die politische- Seite der Sache. Die Einführung kann nicht ohne Zustimmung des Staates erfolgen; viel¬ leicht hält man die Zustimmung der 25 Bundes- staaten und des Reichstages für notwendig. An sich wäre auch ein Zusammengehen mit Osterreich und der Schweiz wünschenswert aber wollte man dies alles abwarten, so wäre damit die Sache sa calenclss (Zraecss ver¬ tagt. Die Schulfragen sind bisher den Ein¬ zelstaaten vorbehalten, und wenn ein Staat den Anfang macht, so hat seine Jugend den Vorteil; die anderen Staaten werden folgen, sobald sie den Erfolg sehen. Preußen ist in der Eisenbahnverstaatlichung und in der Recht¬ schreibung allein vorangegangen und nicht zu seinem Schaden. Für die wirtschaftlichen Kämpfe der Zukunft ist schnelles Auffassen und Behalten der Zahlen von größter Wichtig¬ keit, und die» wird sehr erschwert durch die verkehrte Stellung der Eimers und Zehner. Die volle Herrschaft über die Zahlen können wir erst erlangen, wenn Auge und Ohr, Wort und Gedanke in demselben Sinne arbeiten. Möchte dieser Kalturfortschritt, den die anderen Völker schon längst getan haben, bei uns nicht zu lange aufg»schoben werden. Dr. Albert Schütte Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung nicht verbürgt werden kann. »Zachdruck siimtlichcr Aufsiitze n«r mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet. Verantwortlich: der Herausgeber Georg Cleinow in Berlin-Lichterfelde West. — Manuslriptsendungen und Briefe werden erbeten unter der Adresse! «» die «chriftleitung der Grrnzb-ten i« «erim ««U, Tempelhofer Ufer »S». Fernsprecher de» Herausgeber«: Amt Lichterfelde 493, de« Verlag« und der Schriftleitung: sind Littzow W1i>, Verlag: Verlag der Grenzboten <». in. S. H. in Berlin GW 11, Tempelhofer Ufer SSs Druck .Der NeichSbot-" «. «. b. H. in Berlin SW 11. Dessau-r Etratze SS/S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/268>, abgerufen am 22.05.2024.