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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands angebliche Schuld am Ariege

M?KWZW-'N nlere Gegner lehnen es ab, vor einen: unparteiischen Gerichtshof
WAM^W W die Frage zu diskutieren, wer die. Schuld an der furchtbaren
W W-^Ä W Katastrophe trägt, die im Sommer 1914 über die Welt hinein-
M^MZ gebrochen ist. Sie wollen Kläger und Richter zugleich sein, und
mit einer pharisäischen Selbstgerechtigkeit, die helle Empörung bei
Rechtschaffenen erwecken musz, bürden sie alle Schuld den
Deutschen auf. Da ist es doppelt notwendig, immer aufs neue darauf hinzu¬
weisen, wie in Wahrheit die Dinge stehen.

Sie stehen so, daß der Krieg schon lange vor seinem Ausbruch, zum
mindesten bei Rußland und seinen Vcilkcmfreunden, eine festbeschlossene Sache
war. Die zahlreichen Beweise für diese Tatsache sollen hier um einen weiteren
und besonders wichtigen vermehrt werden.'

Herr von Mashow, der im Jahre 1912 als Vertreter des deutschen Heeres
im bulgarischen Hauptquartier den Balkankrieg mitmachte, berichtet: '

Als ich im Oktober 1912 nach Sofia reiste, stieg in Belgrad Herr Spalai-
kovitch in den Zug. Er war damals serbischer Gesandter am bulgarischen Hofe,
und ich kannte ihn bereits seit mehreren Jahren, wußte auch, daß er in den
intimsten Beziehungen zu dem inzwischen verstorbenen russischen Gesandten in
Belgrad Herrn von Hartwig, dem bekannten Vorkämpfer des Panslavismus, stand.
Auch Herr Spalaikovitch war ein fanatischer Gegner der Mittelmächte, und zwar
ein besonders gefährlicher, da er außerordentlich gewandt war und seinen Haß
gegen uns hinter der Maske der persönlichen Liebenswürdigkeit zu verbergen
verstand.

Während der Eisenbahnfahrt nach Sofia entwickelte mir Herr Spalaikovitch
mit erstaunlicher Offenheit die Ziele des unter russischer Patronanz stehenden
Balkanbundes. Die Niederwerfung der Türkei ist, so sagte er, nur der vorbereitende
Akt, durch den Rußlands Vorherrschaft in Südosteuropa gesichert werden soll.
Die Hauptaufgabe ist, die Zertrümmerung der österreichisch-ungarischen Monarchie
und die Befreiung der zu ihr gehörigen slawischen Völker. Ein glühender Haß
sprach aus seinen Äußerungen über Österreich-Ungarn. Er bezeichnete diesen
Staat als reif zum Untergang, und weil sein Untergang unabwendbar sei, müsse
Deutschland sich von diesem lebenden Leichnam trennen und sich Rußland zuwenden.
..Deutschland", so meinte er, "darf nicht das Opfer einer verfehlten Battanpolitik
der Wiener Regierung werden, es darf sich nicht an einem sterbenden Staat
ketten, sondern kluge Voraussicht muß es an die Seite Rußlands führen, auf der
seine Zukunft liegt. Hält Deutschland an Österreich-Ungarn fest, so wird es
wie seinen Verbündeten ins Verderben hineingezogen werden. Und, so fügte
Herr Spalaikovitch ausdrücklich hinzu, auch auf diesen Fall haben wir uns
sorgfältig vorbereitet. Deutschland kann der Macht des politisch geschlossenen
Ostens nicht widerstehen."


Grenzboten II 1919 13


Deutschlands angebliche Schuld am Ariege

M?KWZW-'N nlere Gegner lehnen es ab, vor einen: unparteiischen Gerichtshof
WAM^W W die Frage zu diskutieren, wer die. Schuld an der furchtbaren
W W-^Ä W Katastrophe trägt, die im Sommer 1914 über die Welt hinein-
M^MZ gebrochen ist. Sie wollen Kläger und Richter zugleich sein, und
mit einer pharisäischen Selbstgerechtigkeit, die helle Empörung bei
Rechtschaffenen erwecken musz, bürden sie alle Schuld den
Deutschen auf. Da ist es doppelt notwendig, immer aufs neue darauf hinzu¬
weisen, wie in Wahrheit die Dinge stehen.

Sie stehen so, daß der Krieg schon lange vor seinem Ausbruch, zum
mindesten bei Rußland und seinen Vcilkcmfreunden, eine festbeschlossene Sache
war. Die zahlreichen Beweise für diese Tatsache sollen hier um einen weiteren
und besonders wichtigen vermehrt werden.'

Herr von Mashow, der im Jahre 1912 als Vertreter des deutschen Heeres
im bulgarischen Hauptquartier den Balkankrieg mitmachte, berichtet: '

Als ich im Oktober 1912 nach Sofia reiste, stieg in Belgrad Herr Spalai-
kovitch in den Zug. Er war damals serbischer Gesandter am bulgarischen Hofe,
und ich kannte ihn bereits seit mehreren Jahren, wußte auch, daß er in den
intimsten Beziehungen zu dem inzwischen verstorbenen russischen Gesandten in
Belgrad Herrn von Hartwig, dem bekannten Vorkämpfer des Panslavismus, stand.
Auch Herr Spalaikovitch war ein fanatischer Gegner der Mittelmächte, und zwar
ein besonders gefährlicher, da er außerordentlich gewandt war und seinen Haß
gegen uns hinter der Maske der persönlichen Liebenswürdigkeit zu verbergen
verstand.

Während der Eisenbahnfahrt nach Sofia entwickelte mir Herr Spalaikovitch
mit erstaunlicher Offenheit die Ziele des unter russischer Patronanz stehenden
Balkanbundes. Die Niederwerfung der Türkei ist, so sagte er, nur der vorbereitende
Akt, durch den Rußlands Vorherrschaft in Südosteuropa gesichert werden soll.
Die Hauptaufgabe ist, die Zertrümmerung der österreichisch-ungarischen Monarchie
und die Befreiung der zu ihr gehörigen slawischen Völker. Ein glühender Haß
sprach aus seinen Äußerungen über Österreich-Ungarn. Er bezeichnete diesen
Staat als reif zum Untergang, und weil sein Untergang unabwendbar sei, müsse
Deutschland sich von diesem lebenden Leichnam trennen und sich Rußland zuwenden.
..Deutschland", so meinte er, „darf nicht das Opfer einer verfehlten Battanpolitik
der Wiener Regierung werden, es darf sich nicht an einem sterbenden Staat
ketten, sondern kluge Voraussicht muß es an die Seite Rußlands führen, auf der
seine Zukunft liegt. Hält Deutschland an Österreich-Ungarn fest, so wird es
wie seinen Verbündeten ins Verderben hineingezogen werden. Und, so fügte
Herr Spalaikovitch ausdrücklich hinzu, auch auf diesen Fall haben wir uns
sorgfältig vorbereitet. Deutschland kann der Macht des politisch geschlossenen
Ostens nicht widerstehen."


Grenzboten II 1919 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/157>, abgerufen am 29.04.2024.