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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Vethmann 'Hollwegs Betrachtungen
wirkt. Leg.-Rat Vskcir Trautmann von

n dein Augenblick, wo Deutschlands Schicksal von finsterster Nacht
.des Unheils umgeben ist, sprechen die zu uns. "die das Unheil
j nicht abzuwenden vermochten". Alle Gedanken tauchen noch einmal
auf, die wir Jahre lang mit uns herumgewälzt haben, und die
! uns, solange wir leben, beschäftigen werden."

Die ungeheure Frage, "warum mutzte es so kommen? kann
keinen dniienden Deutschen -- sie kann auch keinen denkenden Europäer in Ruhe
lassen, wenn anders aus dem Trümmerhaufen, vor dein wir jetzt stehen, etwas
neues, el--e Hoffnung erwachsen soll. Und wir müssen diese Hoffnung haben,
sollen wir nicht für immer an Gott und der Welt verzweifeln.

Nur eines vermag den Menschen wie die Nation im größten Unglück wirklich
zu trösten und ihnen die Möglichkeit seelischer Erneuerung und Heldentums zu
geben, das Bewußtsein trotz allem das N.chic gewollt zu haben. Beihmanns
Betrachtungen verdanken wir, daß wir dieses Gefühl haben können. Auch für
den Verbrecher sieht allerdings die christliche Religion eine Erlösung und Ab¬
solution vor, wenn er vor der gerechten Strafe vor Gott Buße tut. seine Sünden
bekennt und die verdiente Strafe auf sich nimmt. Raskolnikow findet erst dann
Nuhe, als er im sibirischen Zuchthaus sitzt n"d dadurch, daß er sich vor Gott
und vor Menschen demütigt, vor aller Welt bekennt, daß seine Gedanken, die
abseits von dem der Menschheitsstruktur zugrundeliegenden göttlichen Gesetz einen
neuen Weg für sich zu finden vermaßen und seine Handlungen größte Sünde und
größtes Unrecht vor Gott waren.

In dieser Nastolnikowpose wünschen unsere Feinde das deutsche Volk zu
sehen -- nicht weil eigene hohe christliche Mensckheiiswürde im heiligen Gottes¬
tempel nur den sich demütigender Bruder ertragen kann, sondern weil man das
unmenschliche Verhalten gegenüber dem geschlagenen Feinde vor den eigenen
Völkern nur rechtfertigen kann, wenn man' diesen Feind durch eigenes Bekenntnis
als Frevler wider Gott und die Menschheit eischeinen läßt.

Dostojewskis großer Roman hat uns neben Raskolnikow auch Menschen
gezeigt, die Schuld und Tat bekennen, ohne diese Tat selbst begangen zu haben.
Sie können die Gewissensfoltern, denen ihre christlichen Mitpeinigsr sie unter¬
werfen, nickt mehr ertragen, sie wollen lieber hingehen und allem ein Ende
machen, fremde Schuld auf sich nehmen und, wenn es sein muß, für andere
büßen, für andere ihr L.den verlieren oder in den sibuischen Bergwerken
schmachten -- denn schuldig sind wir alle, schuldig am, Verbrechen des Nächsten,
jeder, der die unvollkommene soziale Ordnung mitverschuldet, die schließlich das
Verbrechen unseres Nächsten hervorruft.


Grenzboten II 1919 24


Vethmann 'Hollwegs Betrachtungen
wirkt. Leg.-Rat Vskcir Trautmann von

n dein Augenblick, wo Deutschlands Schicksal von finsterster Nacht
.des Unheils umgeben ist, sprechen die zu uns. „die das Unheil
j nicht abzuwenden vermochten". Alle Gedanken tauchen noch einmal
auf, die wir Jahre lang mit uns herumgewälzt haben, und die
! uns, solange wir leben, beschäftigen werden."

Die ungeheure Frage, „warum mutzte es so kommen? kann
keinen dniienden Deutschen — sie kann auch keinen denkenden Europäer in Ruhe
lassen, wenn anders aus dem Trümmerhaufen, vor dein wir jetzt stehen, etwas
neues, el--e Hoffnung erwachsen soll. Und wir müssen diese Hoffnung haben,
sollen wir nicht für immer an Gott und der Welt verzweifeln.

Nur eines vermag den Menschen wie die Nation im größten Unglück wirklich
zu trösten und ihnen die Möglichkeit seelischer Erneuerung und Heldentums zu
geben, das Bewußtsein trotz allem das N.chic gewollt zu haben. Beihmanns
Betrachtungen verdanken wir, daß wir dieses Gefühl haben können. Auch für
den Verbrecher sieht allerdings die christliche Religion eine Erlösung und Ab¬
solution vor, wenn er vor der gerechten Strafe vor Gott Buße tut. seine Sünden
bekennt und die verdiente Strafe auf sich nimmt. Raskolnikow findet erst dann
Nuhe, als er im sibirischen Zuchthaus sitzt n»d dadurch, daß er sich vor Gott
und vor Menschen demütigt, vor aller Welt bekennt, daß seine Gedanken, die
abseits von dem der Menschheitsstruktur zugrundeliegenden göttlichen Gesetz einen
neuen Weg für sich zu finden vermaßen und seine Handlungen größte Sünde und
größtes Unrecht vor Gott waren.

In dieser Nastolnikowpose wünschen unsere Feinde das deutsche Volk zu
sehen — nicht weil eigene hohe christliche Mensckheiiswürde im heiligen Gottes¬
tempel nur den sich demütigender Bruder ertragen kann, sondern weil man das
unmenschliche Verhalten gegenüber dem geschlagenen Feinde vor den eigenen
Völkern nur rechtfertigen kann, wenn man' diesen Feind durch eigenes Bekenntnis
als Frevler wider Gott und die Menschheit eischeinen läßt.

Dostojewskis großer Roman hat uns neben Raskolnikow auch Menschen
gezeigt, die Schuld und Tat bekennen, ohne diese Tat selbst begangen zu haben.
Sie können die Gewissensfoltern, denen ihre christlichen Mitpeinigsr sie unter¬
werfen, nickt mehr ertragen, sie wollen lieber hingehen und allem ein Ende
machen, fremde Schuld auf sich nehmen und, wenn es sein muß, für andere
büßen, für andere ihr L.den verlieren oder in den sibuischen Bergwerken
schmachten — denn schuldig sind wir alle, schuldig am, Verbrechen des Nächsten,
jeder, der die unvollkommene soziale Ordnung mitverschuldet, die schließlich das
Verbrechen unseres Nächsten hervorruft.


Grenzboten II 1919 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/313>, abgerufen am 29.04.2024.