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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

[Beginn Spaltensatz]
Zur Frage der Kavwcttspolitik.

Von
-einem früheren hohen Beamten, der Einblick
in die Verhälnisse halte, erhallen wir eine
Zuschrift zu den in Nummer 11 veröffent¬
lichten Ausführungen des Admirals v. Müller,
die wir unserer Ankündigung entsprechend
veröffentlichen, ohne auch hier zu ihnen sachlich
Stellung zu nehmen.

Admiral v. Müller hat sich in letzter Zeit
mehrfach an die Öffentlichkeit gewendet, um
eine Rechtfertigung seiner Amtsführung und
Politik zu führen. In einer früheren Ver¬
öffentlichung in der "Deutschen Politik"
wendet sich der Admiral gegen die scharfen
Angriffe des Tirpitz-Buches. Tirpitz hat in
ihm sozusagen den bösen Geist der Marine
geschildert. Wie das Tirpitz-Vues überhaupt
durch seine rücksichtslose Sprache in den
Kreisen der früheren Regierung viel Persön¬
liche Empfindlichkeit reizen mußte, so hat
Admiral v. Müller unzweifelhaft das Recht
uns sogar die Pflicht, sich gegen die ver¬
nichtende Beurteilung seiner Persönlichkeit
und seiner Leistungen durch den Großadmiral
v. Tirpitz zu verteidigen. Es ist auch zu¬
gegeben, daß Tirpitz in seinem Buch keine
Notiz davon nimmt, daß Admiral v, Müller
bis zum Jahr 1911 zu Tirpitz' eifrigste" Be¬
wunderern und Befürwortern gezählt hat.
Seit dem Jahr 1911 vollzog Müller seine
Umstellung auf Bethmann Hollweg. Der
Kanzler glaubte in seinem blinden Ver¬
trauen auf Englands Bereitwilligkeit, Deutsch¬
land als Weltmacht zu dulden, die durch
Tirpitz und Bülow folgerichtig eingeleitete
Schaffung einer deutschen Seemacht beschnei¬
den zu sollen. Er inaugurierte das System
des halben Rückzuges und der passiven
Schwäche, welches folgerichtig zum innen-
und außenpolitischen Zasammenbruch des
alten Reiches geführt hat. Müllers Ein¬
stellung auf Bethmann Hollwsg entfremdete
den Kabinettschef der Marine mehr und mehr
seiner eigenen Waffe. Nicht weil Müller
den unter Tirpitz' Führung eingeschlagenen
Weg der Marinepolitik nicht für richtig ge¬
halten hat, sondern einfach unter dem Ein¬
fluß des Kanzlers begann er sich seinen
eigenen früheren Anschauungen zu ver¬

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schließen. Während des Krieges gelang es
dem Kabinettschef, die Persönlichkeiten, welche
das Vertrauen der Marine genossen und
welche geeignet erschienen, durch kräftige
Offenflvverwendung unserer Seestreitkräfte die
Marine zum Sieg und damit Deutschland
zur Rettung zu führen, vom Kaiser mehr
und mehr abzusperren. Dies Schicksal traf
neben dem geistigen und materiellen Schöpfer
und Vater der Marine, dein Großadmiral
v. Tirpitz auch Männer wie zum Beispiel
den Admiralstabschef Bachmann, und den
stellvertretenden Chef des Admiralstabs Behüte.
Statt dessen brachte Müller Persönlich un¬
tüchtige und in der Marine als durchaus
unzulänglich bekannte Persönlichkeiten, wie
den Admiral v. Holtzendorff und Admiral
v. Capelle, an die leitenden Stellen. Er
machte eigene Marinepolitik. Die Entrüstung
in der Marine über die Personenauswahl
und die einmütige Abneigung des Seeoffizier¬
korps gegen den Kabinettschef selbst, muß
diesen: an sich so wohlmeinenden, aber im
Hauptquartier der Front mehr und mehr
entfremdeten Mann verborgen geblieben sein-
Sonst hätte er sich nicht während des Krieges
so weit von dem allgemeinen Urteil der
Marine entfernen können. Schließlich ist
Müller doch durch die Stimmung in der
Marine gezwungen worden, den von ihm
aus der Versenkung gezogenen Admiral von
Holtzendorff gehen zu lassen. Holtzendorff,
der früher den größten Einfluß auf Müller
gehabt hatte, richtete sich im Kriege ganz
nach Müller, weil er dort die größere
Macht sah. '

Tirpitz überschätzt vielleicht die persönliche
Feindseligkeit Müllers gegen ihn und hebt
Müllers gute Beweggründe nicht genügend
hervor. Man wird dies der Verzweiflung
zugute halten, mit welcher dieser einzig
große Mann der deutschen Marine die all¬
mähliche Zerbröckelung und schließliche Ver¬
nichtung seines genialen Lebenswerkes durch
einen Militär von Durchschnittswuchs, wie
den Admiral v. Müller, mit ansehen mußte.
Es war eben ein grundsätzlicher Fehler, daß
die letzte Entscheidung user die Verwendung
der Marine in der Hand eines wenig front-

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

[Beginn Spaltensatz]
Zur Frage der Kavwcttspolitik.

Von
-einem früheren hohen Beamten, der Einblick
in die Verhälnisse halte, erhallen wir eine
Zuschrift zu den in Nummer 11 veröffent¬
lichten Ausführungen des Admirals v. Müller,
die wir unserer Ankündigung entsprechend
veröffentlichen, ohne auch hier zu ihnen sachlich
Stellung zu nehmen.

Admiral v. Müller hat sich in letzter Zeit
mehrfach an die Öffentlichkeit gewendet, um
eine Rechtfertigung seiner Amtsführung und
Politik zu führen. In einer früheren Ver¬
öffentlichung in der „Deutschen Politik"
wendet sich der Admiral gegen die scharfen
Angriffe des Tirpitz-Buches. Tirpitz hat in
ihm sozusagen den bösen Geist der Marine
geschildert. Wie das Tirpitz-Vues überhaupt
durch seine rücksichtslose Sprache in den
Kreisen der früheren Regierung viel Persön¬
liche Empfindlichkeit reizen mußte, so hat
Admiral v. Müller unzweifelhaft das Recht
uns sogar die Pflicht, sich gegen die ver¬
nichtende Beurteilung seiner Persönlichkeit
und seiner Leistungen durch den Großadmiral
v. Tirpitz zu verteidigen. Es ist auch zu¬
gegeben, daß Tirpitz in seinem Buch keine
Notiz davon nimmt, daß Admiral v, Müller
bis zum Jahr 1911 zu Tirpitz' eifrigste» Be¬
wunderern und Befürwortern gezählt hat.
Seit dem Jahr 1911 vollzog Müller seine
Umstellung auf Bethmann Hollweg. Der
Kanzler glaubte in seinem blinden Ver¬
trauen auf Englands Bereitwilligkeit, Deutsch¬
land als Weltmacht zu dulden, die durch
Tirpitz und Bülow folgerichtig eingeleitete
Schaffung einer deutschen Seemacht beschnei¬
den zu sollen. Er inaugurierte das System
des halben Rückzuges und der passiven
Schwäche, welches folgerichtig zum innen-
und außenpolitischen Zasammenbruch des
alten Reiches geführt hat. Müllers Ein¬
stellung auf Bethmann Hollwsg entfremdete
den Kabinettschef der Marine mehr und mehr
seiner eigenen Waffe. Nicht weil Müller
den unter Tirpitz' Führung eingeschlagenen
Weg der Marinepolitik nicht für richtig ge¬
halten hat, sondern einfach unter dem Ein¬
fluß des Kanzlers begann er sich seinen
eigenen früheren Anschauungen zu ver¬

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schließen. Während des Krieges gelang es
dem Kabinettschef, die Persönlichkeiten, welche
das Vertrauen der Marine genossen und
welche geeignet erschienen, durch kräftige
Offenflvverwendung unserer Seestreitkräfte die
Marine zum Sieg und damit Deutschland
zur Rettung zu führen, vom Kaiser mehr
und mehr abzusperren. Dies Schicksal traf
neben dem geistigen und materiellen Schöpfer
und Vater der Marine, dein Großadmiral
v. Tirpitz auch Männer wie zum Beispiel
den Admiralstabschef Bachmann, und den
stellvertretenden Chef des Admiralstabs Behüte.
Statt dessen brachte Müller Persönlich un¬
tüchtige und in der Marine als durchaus
unzulänglich bekannte Persönlichkeiten, wie
den Admiral v. Holtzendorff und Admiral
v. Capelle, an die leitenden Stellen. Er
machte eigene Marinepolitik. Die Entrüstung
in der Marine über die Personenauswahl
und die einmütige Abneigung des Seeoffizier¬
korps gegen den Kabinettschef selbst, muß
diesen: an sich so wohlmeinenden, aber im
Hauptquartier der Front mehr und mehr
entfremdeten Mann verborgen geblieben sein-
Sonst hätte er sich nicht während des Krieges
so weit von dem allgemeinen Urteil der
Marine entfernen können. Schließlich ist
Müller doch durch die Stimmung in der
Marine gezwungen worden, den von ihm
aus der Versenkung gezogenen Admiral von
Holtzendorff gehen zu lassen. Holtzendorff,
der früher den größten Einfluß auf Müller
gehabt hatte, richtete sich im Kriege ganz
nach Müller, weil er dort die größere
Macht sah. '

Tirpitz überschätzt vielleicht die persönliche
Feindseligkeit Müllers gegen ihn und hebt
Müllers gute Beweggründe nicht genügend
hervor. Man wird dies der Verzweiflung
zugute halten, mit welcher dieser einzig
große Mann der deutschen Marine die all¬
mähliche Zerbröckelung und schließliche Ver¬
nichtung seines genialen Lebenswerkes durch
einen Militär von Durchschnittswuchs, wie
den Admiral v. Müller, mit ansehen mußte.
Es war eben ein grundsätzlicher Fehler, daß
die letzte Entscheidung user die Verwendung
der Marine in der Hand eines wenig front-

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[0178] Drinnen und draußen Drinnen und draußen Zur Frage der Kavwcttspolitik. Von -einem früheren hohen Beamten, der Einblick in die Verhälnisse halte, erhallen wir eine Zuschrift zu den in Nummer 11 veröffent¬ lichten Ausführungen des Admirals v. Müller, die wir unserer Ankündigung entsprechend veröffentlichen, ohne auch hier zu ihnen sachlich Stellung zu nehmen. Admiral v. Müller hat sich in letzter Zeit mehrfach an die Öffentlichkeit gewendet, um eine Rechtfertigung seiner Amtsführung und Politik zu führen. In einer früheren Ver¬ öffentlichung in der „Deutschen Politik" wendet sich der Admiral gegen die scharfen Angriffe des Tirpitz-Buches. Tirpitz hat in ihm sozusagen den bösen Geist der Marine geschildert. Wie das Tirpitz-Vues überhaupt durch seine rücksichtslose Sprache in den Kreisen der früheren Regierung viel Persön¬ liche Empfindlichkeit reizen mußte, so hat Admiral v. Müller unzweifelhaft das Recht uns sogar die Pflicht, sich gegen die ver¬ nichtende Beurteilung seiner Persönlichkeit und seiner Leistungen durch den Großadmiral v. Tirpitz zu verteidigen. Es ist auch zu¬ gegeben, daß Tirpitz in seinem Buch keine Notiz davon nimmt, daß Admiral v, Müller bis zum Jahr 1911 zu Tirpitz' eifrigste» Be¬ wunderern und Befürwortern gezählt hat. Seit dem Jahr 1911 vollzog Müller seine Umstellung auf Bethmann Hollweg. Der Kanzler glaubte in seinem blinden Ver¬ trauen auf Englands Bereitwilligkeit, Deutsch¬ land als Weltmacht zu dulden, die durch Tirpitz und Bülow folgerichtig eingeleitete Schaffung einer deutschen Seemacht beschnei¬ den zu sollen. Er inaugurierte das System des halben Rückzuges und der passiven Schwäche, welches folgerichtig zum innen- und außenpolitischen Zasammenbruch des alten Reiches geführt hat. Müllers Ein¬ stellung auf Bethmann Hollwsg entfremdete den Kabinettschef der Marine mehr und mehr seiner eigenen Waffe. Nicht weil Müller den unter Tirpitz' Führung eingeschlagenen Weg der Marinepolitik nicht für richtig ge¬ halten hat, sondern einfach unter dem Ein¬ fluß des Kanzlers begann er sich seinen eigenen früheren Anschauungen zu ver¬ schließen. Während des Krieges gelang es dem Kabinettschef, die Persönlichkeiten, welche das Vertrauen der Marine genossen und welche geeignet erschienen, durch kräftige Offenflvverwendung unserer Seestreitkräfte die Marine zum Sieg und damit Deutschland zur Rettung zu führen, vom Kaiser mehr und mehr abzusperren. Dies Schicksal traf neben dem geistigen und materiellen Schöpfer und Vater der Marine, dein Großadmiral v. Tirpitz auch Männer wie zum Beispiel den Admiralstabschef Bachmann, und den stellvertretenden Chef des Admiralstabs Behüte. Statt dessen brachte Müller Persönlich un¬ tüchtige und in der Marine als durchaus unzulänglich bekannte Persönlichkeiten, wie den Admiral v. Holtzendorff und Admiral v. Capelle, an die leitenden Stellen. Er machte eigene Marinepolitik. Die Entrüstung in der Marine über die Personenauswahl und die einmütige Abneigung des Seeoffizier¬ korps gegen den Kabinettschef selbst, muß diesen: an sich so wohlmeinenden, aber im Hauptquartier der Front mehr und mehr entfremdeten Mann verborgen geblieben sein- Sonst hätte er sich nicht während des Krieges so weit von dem allgemeinen Urteil der Marine entfernen können. Schließlich ist Müller doch durch die Stimmung in der Marine gezwungen worden, den von ihm aus der Versenkung gezogenen Admiral von Holtzendorff gehen zu lassen. Holtzendorff, der früher den größten Einfluß auf Müller gehabt hatte, richtete sich im Kriege ganz nach Müller, weil er dort die größere Macht sah. ' Tirpitz überschätzt vielleicht die persönliche Feindseligkeit Müllers gegen ihn und hebt Müllers gute Beweggründe nicht genügend hervor. Man wird dies der Verzweiflung zugute halten, mit welcher dieser einzig große Mann der deutschen Marine die all¬ mähliche Zerbröckelung und schließliche Ver¬ nichtung seines genialen Lebenswerkes durch einen Militär von Durchschnittswuchs, wie den Admiral v. Müller, mit ansehen mußte. Es war eben ein grundsätzlicher Fehler, daß die letzte Entscheidung user die Verwendung der Marine in der Hand eines wenig front-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/178>, abgerufen am 05.05.2024.