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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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geschulten Kabinettbeamtcn lag, der selbst die
Verantwortung für die gesamte Entwicklung
der Marine nie gefühlt hat. Für die
Armee mit ihren fester gefügten und histo¬
risch gegründeten Formen bedeutete ein
Kabinettschef weniger als für die Marine
in der alles neu war und die ihrer
Art nach ein noch stärker gegliedeter
Organismus war als die Armee. Dazu kam
das persönliche Eingreifen des Kaisers in
sein Lieblingsgebiet, die Marine. In Wirk¬
lichkeit täuschte sich der Kaiser häusig: nicht
°r, sondern v. Müller hatte in Wirklichkeit
das letzte Wort. Als der Kaiser kurz nach
seinem Regierungsantritt die Marinebehörden
spaltete, war das "Divide" geschaffen. Der
Verführung des "Jmpera" unterlag der
Kabinettschef. Dabei soll nicht geleugnet
werden, daß bei den Verhältnissen, wie sie
tatsächlich lagen, ein ungewöhnliches Mas;
von Selbstbeschränkung für den Kabinettschef
^förderlich gewesen wäre, um auf das
Jmpera zu verzichten. Um vorwärts zu
^Minen, waren die Marinebehörden also
gezwungen, sich auf jedem Schritt des Ein¬
verständnisses des Kabinettschefs zu versichern.
Auch hierdurch wuchs dem Kabinettchef wieder
ein Einfluß zu, der ihm die Masze für seine
"gene Stellung vergessen ließ.

Der hierdurch entstehende Nachteil hätte
Natürlich abgeschwächt werden können durch
eine besonders hervorragende Fähigkeit des
Kabinettschefs, Dinge und Menschen zu be¬
urteilen. Darin ist dem Admiral v. Müller
Zuzustimmen, dasz bei Fehlgriffen in der
^iellenbesetzung am wenigsten den Kaiser
leibst die Schuld trifft. Die Mißgriffe sind
überhaupt nicht immer zu vermeiden. So
Wissen wir z. B" daß auch Tirpitz selbst,
der den Admiral v. Capelle als einen lang-
ihrigen Unterstaatssekretär mit Recht un-
gemein hochgeschätzt hatte, auch nicht vorher
i"h, wie vollständig Capelle versagen würde,
nachdem dieser selbst auf den leitenden
^"sten gestellt war. Aber die Schuld daran,
°aß Capelle Staatssekretär wurde, liegt bei
Admiral v. Müller, und dieser hat ihn auch
u>ehe befördert, weil er ihm eine zureichende
Vorbereitung des U-Bootkrieges zutraute,
sondern, einfach weil Capelle sich zum ein¬
geschworenen Bethmannianer entwickelt hatte.

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Tirpitz und wer mit Tirpitz zusammen für
eine folgerichtige Einsetzung unserer Sec-
streitkräfte eintrat, wurde kaltgestellt und
die schwachen Gegner einer energischen See-
kriegsführung wurden aus dem Ruhestand
herangeholt, weil sie Politisch genehm waren,
nicht weil sie militärisch das Beste ver¬
sprachen. Wenn also Admiral von Müller
heute noch die Ansicht vertritt, daß im all¬
gemeinen in der Marine eine sehr sachliche,
das heißt also doch eine richtige Stellen¬
besetzung geherrscht Habs, so gibt er sich
gerade in diesem Punkt einer außerordent¬
lichen Täuschung hin, was zu erkennen ihm
mit der Zeit Wohl kaum erspart bleiben
dürfte. Mit seiner Ansicht steht auch im
Widerspruch die von ihm selbst geäußerte
Klage über den starken Wechsel in den oberen
Stellen der Marine in den Jahren der
höchsten Gefahr. Dieser Wechsel wäre nicht
so oft eingetreten, wenn die Stellenbesetzung
eine richtige gewesen wäre. Von der tief^
gehenden und auch der Öffentlichkeit bekannt
gewordenen Erregung im Offizierkorps bei
der Ernennung Holtzendorffs ist schon oben
gesprochen worden. Es ist aber auch ein
offenes Geheimnis, daß Müllers Abgang im
wesentlichen durch die allgemeine Mi߬
stimmung gegen ihn zuletzt bewirkt worden
ist. Es soll hier kein Siein auf den KabineltS-
chef geworfen werden. Er glaubte sei"
Bestes zu tun. Er glaubte, daß ein gutes
Kriegsende auch ohne einen Kampf aus
Tod und Leben mit England erreicht werden
könnte. Dementsprechend traf er alle seine
Maßnahmen. Diese Täuschung hat er mit
vielen anderen Deutschen geteilt, die gleich
ihm Männer ohne überragenden Politischen
Blick gewesen und durch ein unseliges
Schicksal trotzdem zu den entscheidenden
Stellen emporgetragen worden waren.

Generalstreik in Lothringen.

Die Ar¬
beiter, Angestellten und Beamten der Hütten¬
werke, der Erz- und Kohlengruben in Loth¬
ringen stehen seit dem 1. April im Streik.
Wie bei jedem Streik, so werden auch hier
wirtschaftliche Forderungen erhoben. Die
Bergarbeiter haben den als Ergebnis des
vierzehntägiger Septemberausstands am 25.
September abgeschlossenen Tarifvertrag, der

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Drinnen und draußen

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geschulten Kabinettbeamtcn lag, der selbst die
Verantwortung für die gesamte Entwicklung
der Marine nie gefühlt hat. Für die
Armee mit ihren fester gefügten und histo¬
risch gegründeten Formen bedeutete ein
Kabinettschef weniger als für die Marine
in der alles neu war und die ihrer
Art nach ein noch stärker gegliedeter
Organismus war als die Armee. Dazu kam
das persönliche Eingreifen des Kaisers in
sein Lieblingsgebiet, die Marine. In Wirk¬
lichkeit täuschte sich der Kaiser häusig: nicht
°r, sondern v. Müller hatte in Wirklichkeit
das letzte Wort. Als der Kaiser kurz nach
seinem Regierungsantritt die Marinebehörden
spaltete, war das „Divide" geschaffen. Der
Verführung des „Jmpera" unterlag der
Kabinettschef. Dabei soll nicht geleugnet
werden, daß bei den Verhältnissen, wie sie
tatsächlich lagen, ein ungewöhnliches Mas;
von Selbstbeschränkung für den Kabinettschef
^förderlich gewesen wäre, um auf das
Jmpera zu verzichten. Um vorwärts zu
^Minen, waren die Marinebehörden also
gezwungen, sich auf jedem Schritt des Ein¬
verständnisses des Kabinettschefs zu versichern.
Auch hierdurch wuchs dem Kabinettchef wieder
ein Einfluß zu, der ihm die Masze für seine
«gene Stellung vergessen ließ.

Der hierdurch entstehende Nachteil hätte
Natürlich abgeschwächt werden können durch
eine besonders hervorragende Fähigkeit des
Kabinettschefs, Dinge und Menschen zu be¬
urteilen. Darin ist dem Admiral v. Müller
Zuzustimmen, dasz bei Fehlgriffen in der
^iellenbesetzung am wenigsten den Kaiser
leibst die Schuld trifft. Die Mißgriffe sind
überhaupt nicht immer zu vermeiden. So
Wissen wir z. B„ daß auch Tirpitz selbst,
der den Admiral v. Capelle als einen lang-
ihrigen Unterstaatssekretär mit Recht un-
gemein hochgeschätzt hatte, auch nicht vorher
i"h, wie vollständig Capelle versagen würde,
nachdem dieser selbst auf den leitenden
^"sten gestellt war. Aber die Schuld daran,
°aß Capelle Staatssekretär wurde, liegt bei
Admiral v. Müller, und dieser hat ihn auch
u>ehe befördert, weil er ihm eine zureichende
Vorbereitung des U-Bootkrieges zutraute,
sondern, einfach weil Capelle sich zum ein¬
geschworenen Bethmannianer entwickelt hatte.

[Spaltenumbruch]

Tirpitz und wer mit Tirpitz zusammen für
eine folgerichtige Einsetzung unserer Sec-
streitkräfte eintrat, wurde kaltgestellt und
die schwachen Gegner einer energischen See-
kriegsführung wurden aus dem Ruhestand
herangeholt, weil sie Politisch genehm waren,
nicht weil sie militärisch das Beste ver¬
sprachen. Wenn also Admiral von Müller
heute noch die Ansicht vertritt, daß im all¬
gemeinen in der Marine eine sehr sachliche,
das heißt also doch eine richtige Stellen¬
besetzung geherrscht Habs, so gibt er sich
gerade in diesem Punkt einer außerordent¬
lichen Täuschung hin, was zu erkennen ihm
mit der Zeit Wohl kaum erspart bleiben
dürfte. Mit seiner Ansicht steht auch im
Widerspruch die von ihm selbst geäußerte
Klage über den starken Wechsel in den oberen
Stellen der Marine in den Jahren der
höchsten Gefahr. Dieser Wechsel wäre nicht
so oft eingetreten, wenn die Stellenbesetzung
eine richtige gewesen wäre. Von der tief^
gehenden und auch der Öffentlichkeit bekannt
gewordenen Erregung im Offizierkorps bei
der Ernennung Holtzendorffs ist schon oben
gesprochen worden. Es ist aber auch ein
offenes Geheimnis, daß Müllers Abgang im
wesentlichen durch die allgemeine Mi߬
stimmung gegen ihn zuletzt bewirkt worden
ist. Es soll hier kein Siein auf den KabineltS-
chef geworfen werden. Er glaubte sei»
Bestes zu tun. Er glaubte, daß ein gutes
Kriegsende auch ohne einen Kampf aus
Tod und Leben mit England erreicht werden
könnte. Dementsprechend traf er alle seine
Maßnahmen. Diese Täuschung hat er mit
vielen anderen Deutschen geteilt, die gleich
ihm Männer ohne überragenden Politischen
Blick gewesen und durch ein unseliges
Schicksal trotzdem zu den entscheidenden
Stellen emporgetragen worden waren.

Generalstreik in Lothringen.

Die Ar¬
beiter, Angestellten und Beamten der Hütten¬
werke, der Erz- und Kohlengruben in Loth¬
ringen stehen seit dem 1. April im Streik.
Wie bei jedem Streik, so werden auch hier
wirtschaftliche Forderungen erhoben. Die
Bergarbeiter haben den als Ergebnis des
vierzehntägiger Septemberausstands am 25.
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[0179] Drinnen und draußen geschulten Kabinettbeamtcn lag, der selbst die Verantwortung für die gesamte Entwicklung der Marine nie gefühlt hat. Für die Armee mit ihren fester gefügten und histo¬ risch gegründeten Formen bedeutete ein Kabinettschef weniger als für die Marine in der alles neu war und die ihrer Art nach ein noch stärker gegliedeter Organismus war als die Armee. Dazu kam das persönliche Eingreifen des Kaisers in sein Lieblingsgebiet, die Marine. In Wirk¬ lichkeit täuschte sich der Kaiser häusig: nicht °r, sondern v. Müller hatte in Wirklichkeit das letzte Wort. Als der Kaiser kurz nach seinem Regierungsantritt die Marinebehörden spaltete, war das „Divide" geschaffen. Der Verführung des „Jmpera" unterlag der Kabinettschef. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß bei den Verhältnissen, wie sie tatsächlich lagen, ein ungewöhnliches Mas; von Selbstbeschränkung für den Kabinettschef ^förderlich gewesen wäre, um auf das Jmpera zu verzichten. Um vorwärts zu ^Minen, waren die Marinebehörden also gezwungen, sich auf jedem Schritt des Ein¬ verständnisses des Kabinettschefs zu versichern. Auch hierdurch wuchs dem Kabinettchef wieder ein Einfluß zu, der ihm die Masze für seine «gene Stellung vergessen ließ. Der hierdurch entstehende Nachteil hätte Natürlich abgeschwächt werden können durch eine besonders hervorragende Fähigkeit des Kabinettschefs, Dinge und Menschen zu be¬ urteilen. Darin ist dem Admiral v. Müller Zuzustimmen, dasz bei Fehlgriffen in der ^iellenbesetzung am wenigsten den Kaiser leibst die Schuld trifft. Die Mißgriffe sind überhaupt nicht immer zu vermeiden. So Wissen wir z. B„ daß auch Tirpitz selbst, der den Admiral v. Capelle als einen lang- ihrigen Unterstaatssekretär mit Recht un- gemein hochgeschätzt hatte, auch nicht vorher i"h, wie vollständig Capelle versagen würde, nachdem dieser selbst auf den leitenden ^"sten gestellt war. Aber die Schuld daran, °aß Capelle Staatssekretär wurde, liegt bei Admiral v. Müller, und dieser hat ihn auch u>ehe befördert, weil er ihm eine zureichende Vorbereitung des U-Bootkrieges zutraute, sondern, einfach weil Capelle sich zum ein¬ geschworenen Bethmannianer entwickelt hatte. Tirpitz und wer mit Tirpitz zusammen für eine folgerichtige Einsetzung unserer Sec- streitkräfte eintrat, wurde kaltgestellt und die schwachen Gegner einer energischen See- kriegsführung wurden aus dem Ruhestand herangeholt, weil sie Politisch genehm waren, nicht weil sie militärisch das Beste ver¬ sprachen. Wenn also Admiral von Müller heute noch die Ansicht vertritt, daß im all¬ gemeinen in der Marine eine sehr sachliche, das heißt also doch eine richtige Stellen¬ besetzung geherrscht Habs, so gibt er sich gerade in diesem Punkt einer außerordent¬ lichen Täuschung hin, was zu erkennen ihm mit der Zeit Wohl kaum erspart bleiben dürfte. Mit seiner Ansicht steht auch im Widerspruch die von ihm selbst geäußerte Klage über den starken Wechsel in den oberen Stellen der Marine in den Jahren der höchsten Gefahr. Dieser Wechsel wäre nicht so oft eingetreten, wenn die Stellenbesetzung eine richtige gewesen wäre. Von der tief^ gehenden und auch der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Erregung im Offizierkorps bei der Ernennung Holtzendorffs ist schon oben gesprochen worden. Es ist aber auch ein offenes Geheimnis, daß Müllers Abgang im wesentlichen durch die allgemeine Mi߬ stimmung gegen ihn zuletzt bewirkt worden ist. Es soll hier kein Siein auf den KabineltS- chef geworfen werden. Er glaubte sei» Bestes zu tun. Er glaubte, daß ein gutes Kriegsende auch ohne einen Kampf aus Tod und Leben mit England erreicht werden könnte. Dementsprechend traf er alle seine Maßnahmen. Diese Täuschung hat er mit vielen anderen Deutschen geteilt, die gleich ihm Männer ohne überragenden Politischen Blick gewesen und durch ein unseliges Schicksal trotzdem zu den entscheidenden Stellen emporgetragen worden waren. Generalstreik in Lothringen. Die Ar¬ beiter, Angestellten und Beamten der Hütten¬ werke, der Erz- und Kohlengruben in Loth¬ ringen stehen seit dem 1. April im Streik. Wie bei jedem Streik, so werden auch hier wirtschaftliche Forderungen erhoben. Die Bergarbeiter haben den als Ergebnis des vierzehntägiger Septemberausstands am 25. September abgeschlossenen Tarifvertrag, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/179>, abgerufen am 25.05.2024.