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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Sterbens werden und die besten Elemente des
Landes werden in Scharen ins Ausland ab¬
wandern. Schon sichert sich Italien in Weiser
Voraussicht von Deutschöfterreich die Vevor-
zugung seines Hafens Trieft als Auswanderer-
Hafen, um sich auch diesen Verdienst ja nicht
entgehen zu lassen.

Und trotz alledem wird Deutschösterreich
nie ein selbständiges Wirtschaftsgebiet werden.
EineDonan-Konföderation wird von den ver¬
schiedensten Seiten in Aussicht gestellt. Sie
werden sie nicht zustande bringen. Es gibt
im Leben der Völker doch noch Impondera¬
bilien, die oft die besten wirtschaftlichen Er¬
wägungen über den Haufen werfen. Der
Haß gegen den alten Habsburger Staat
liegt den jungen Snkzesivstaaten noch so in
ven Gliedern, daß auch nur ein einigermaßen
ihm gleichendes Gebilde ihrer Ablehnung
ohne weiteres sicher sein kann. Außerdem
hat die Tschechoslowakei durch Aufhebung
des Jnlcmdpostverkehrs erst letzthin ihre große
Freundschaft für Deutschöstsrreich bekundet,
Ungarn ist durch Abtretung seiner West-
Provinzen verstimmt und das Verhältnis zu
Jugoslawien stört noch auf lange Zeit der
Zankapfel des Kärntner Abstimmungsgebietes.

Wie man sich auch drehen und wenden
mag, nur ein großes Wirtschaftsgebiet kommt
für eine Anlehnung überhaupt in Betracht.
Das ist Deutschland! Die Deutschösterreicher
fühlen nicht nur mit jeder Faser ihres Herzens
deutsch, sie sind auch nach Nasse, Kultur und
Geschichte ein Glied des deutschen Volkes.
Die 1866 gezogene Trennungslinie war nur
die Oberfläche. Die heutige Grenze aber
wirkt wie ein um ein Körperglied gewundener
Strick, der ihm das Blut abschnürt. Der nie¬
drige Kronenkurs und seine großen Schwan¬
kungen erschweren gewaltig den gegenseitigen
Warenverkehr, was vor allem den Buch- und
Zeitschriftenhandel, der den Gedankenaus¬
tausch zwischen beiden Ländern vermitteln
sollte, in immer unerschwinglichere Preis¬
höhen steigen läßt. Die großen Verkehrs-,
Paß- und Einreiseschwierigkeiten drücken den
persönlichen Verkehr von Land zu Land auf
ein Minimum herab, und so geht es fort
durch alle Gebiete.

Immer mehr wächst in Deutschösterreich
das Verlangen nach Anschluß an das Deutsche

[Spaltenumbruch]

Reich. Es gibt hier jetzt Wohl keine An¬
schlußgegner mehr; nur lassen taktische Gründe
diese Wünsche hie und da etwas zurücktreten;
und in Deutschland--?

Einige idealgerichteteKreise ausgenommen,
was kümmert die große Masse der Bruder¬
staat dort unten? An ihm gibt es nichts zu
verdienen und Gewinncmssicht ist die einzige
Triebkraft ihres Lebens. So ist auch von
dieser Seite kaum etwas zu hoffen, und
wenn die Ententestaaten nicht rechtzeitig zur
Einsicht kommen, wird hier ein deutscher
Volksstamm in kurzer Zeit entkräftet und
elend zugrunde gehen.

Martin Lhrenforth
Amerika und der französische Imperialis¬

mus.

Bekanntlich hat der Brief Wilsons an
den Senator Hitchcock, in welchem Frankreich
des Militarismus beschuldigt wird, in Frank¬
reich selbst starke Verstimmung erregt, ohne
daß die darauf erfolgenden zornigen Be¬
schwerden der französischen Presse in Amerika
sichtlich Eindruck gemacht hätten. Im Gegen¬
teil glaubt man in Amerika, daß auch die
schlimmsten Anklagen Wilsons durch die Be¬
setzung des Maingaues und die Umstände,
unter denen sie erfolgte, gerechtfertigt seien.
Schon die "Times" vom 7. April hat auf
diesen Umstand hingewiesen, und die New
Yorker "World" und die "New York Sun"
zitiert. Nach "Times" vom 10. April hat
dann die Nachricht von den ersten Zusammen¬
stößen in Frankfurt einen außerordentlichen
ungünstigen Eindruck hervorgebracht. Jetzt
gibt auch die sehr weit rechtsstehende, stark
klerikal gefärbte Pariser Halbmonatsschrift
"Le Correspondant" zu, daß die Nachrichten
über die Besetzung deutscher Städte der¬
jenigen Strömung, die in den Vereinigten
Staaten dafür eintritt, daß man sich nicht
länger mit den europäischen Angelegenheiten
abgebe, eine bedeutende Verstärkung gebracht
haben. Besonders der Umstand, daß man
farbige Truppen benutzt hat, hat Entrüstung
hervorgerufen. Sogar der Staatssekretär
Colby hat mit Bezug auf den deutschen
Protest gegen die französische Besetzung er¬
klärt, daß diese Besetzung für Frankreich die
ernsthaftesten Politischen und wirtschaftlichen
Folgen haben würde. Selbst erbitterte

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Sterbens werden und die besten Elemente des
Landes werden in Scharen ins Ausland ab¬
wandern. Schon sichert sich Italien in Weiser
Voraussicht von Deutschöfterreich die Vevor-
zugung seines Hafens Trieft als Auswanderer-
Hafen, um sich auch diesen Verdienst ja nicht
entgehen zu lassen.

Und trotz alledem wird Deutschösterreich
nie ein selbständiges Wirtschaftsgebiet werden.
EineDonan-Konföderation wird von den ver¬
schiedensten Seiten in Aussicht gestellt. Sie
werden sie nicht zustande bringen. Es gibt
im Leben der Völker doch noch Impondera¬
bilien, die oft die besten wirtschaftlichen Er¬
wägungen über den Haufen werfen. Der
Haß gegen den alten Habsburger Staat
liegt den jungen Snkzesivstaaten noch so in
ven Gliedern, daß auch nur ein einigermaßen
ihm gleichendes Gebilde ihrer Ablehnung
ohne weiteres sicher sein kann. Außerdem
hat die Tschechoslowakei durch Aufhebung
des Jnlcmdpostverkehrs erst letzthin ihre große
Freundschaft für Deutschöstsrreich bekundet,
Ungarn ist durch Abtretung seiner West-
Provinzen verstimmt und das Verhältnis zu
Jugoslawien stört noch auf lange Zeit der
Zankapfel des Kärntner Abstimmungsgebietes.

Wie man sich auch drehen und wenden
mag, nur ein großes Wirtschaftsgebiet kommt
für eine Anlehnung überhaupt in Betracht.
Das ist Deutschland! Die Deutschösterreicher
fühlen nicht nur mit jeder Faser ihres Herzens
deutsch, sie sind auch nach Nasse, Kultur und
Geschichte ein Glied des deutschen Volkes.
Die 1866 gezogene Trennungslinie war nur
die Oberfläche. Die heutige Grenze aber
wirkt wie ein um ein Körperglied gewundener
Strick, der ihm das Blut abschnürt. Der nie¬
drige Kronenkurs und seine großen Schwan¬
kungen erschweren gewaltig den gegenseitigen
Warenverkehr, was vor allem den Buch- und
Zeitschriftenhandel, der den Gedankenaus¬
tausch zwischen beiden Ländern vermitteln
sollte, in immer unerschwinglichere Preis¬
höhen steigen läßt. Die großen Verkehrs-,
Paß- und Einreiseschwierigkeiten drücken den
persönlichen Verkehr von Land zu Land auf
ein Minimum herab, und so geht es fort
durch alle Gebiete.

Immer mehr wächst in Deutschösterreich
das Verlangen nach Anschluß an das Deutsche

[Spaltenumbruch]

Reich. Es gibt hier jetzt Wohl keine An¬
schlußgegner mehr; nur lassen taktische Gründe
diese Wünsche hie und da etwas zurücktreten;
und in Deutschland--?

Einige idealgerichteteKreise ausgenommen,
was kümmert die große Masse der Bruder¬
staat dort unten? An ihm gibt es nichts zu
verdienen und Gewinncmssicht ist die einzige
Triebkraft ihres Lebens. So ist auch von
dieser Seite kaum etwas zu hoffen, und
wenn die Ententestaaten nicht rechtzeitig zur
Einsicht kommen, wird hier ein deutscher
Volksstamm in kurzer Zeit entkräftet und
elend zugrunde gehen.

Martin Lhrenforth
Amerika und der französische Imperialis¬

mus.

Bekanntlich hat der Brief Wilsons an
den Senator Hitchcock, in welchem Frankreich
des Militarismus beschuldigt wird, in Frank¬
reich selbst starke Verstimmung erregt, ohne
daß die darauf erfolgenden zornigen Be¬
schwerden der französischen Presse in Amerika
sichtlich Eindruck gemacht hätten. Im Gegen¬
teil glaubt man in Amerika, daß auch die
schlimmsten Anklagen Wilsons durch die Be¬
setzung des Maingaues und die Umstände,
unter denen sie erfolgte, gerechtfertigt seien.
Schon die „Times" vom 7. April hat auf
diesen Umstand hingewiesen, und die New
Yorker „World" und die „New York Sun"
zitiert. Nach „Times" vom 10. April hat
dann die Nachricht von den ersten Zusammen¬
stößen in Frankfurt einen außerordentlichen
ungünstigen Eindruck hervorgebracht. Jetzt
gibt auch die sehr weit rechtsstehende, stark
klerikal gefärbte Pariser Halbmonatsschrift
„Le Correspondant" zu, daß die Nachrichten
über die Besetzung deutscher Städte der¬
jenigen Strömung, die in den Vereinigten
Staaten dafür eintritt, daß man sich nicht
länger mit den europäischen Angelegenheiten
abgebe, eine bedeutende Verstärkung gebracht
haben. Besonders der Umstand, daß man
farbige Truppen benutzt hat, hat Entrüstung
hervorgerufen. Sogar der Staatssekretär
Colby hat mit Bezug auf den deutschen
Protest gegen die französische Besetzung er¬
klärt, daß diese Besetzung für Frankreich die
ernsthaftesten Politischen und wirtschaftlichen
Folgen haben würde. Selbst erbitterte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/282>, abgerufen am 05.05.2024.