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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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der "Deutschen Zeitung" hier manch nieder¬
geschlagenes junges Gemüt für einige Zeit
wieder aufgerichtet, und auch der Alpen¬
verein gewährt auf seine Kosten vielen
Kindern einen Aufenthalt in der Schweiz.

sache. Höchstmögliche Ausbeutung ist sein
Leitmotiv I Wie das Beispiel Deutschlands
zeigt, genügt nur ein geringes Steigen der
Valuta, um die im ausländischen Besitz be¬
findlichen Jndnstriepapiere wieder auf den
Markt zu zaubern; befriedigt steckt dann der
ausländische Kapitalist seinen Valutagewinn
in die Tasche und wartet neue Gelegenheit
ab. Der einzige, der ein weitergehendes
Interesse um Wiederemporkommen Deutsch¬
österreichs zeigen könnte, wäre noch der
Reichsdeutsche. Doch ihm sind die Wege
hierzu versperrt. Das deutsche Kapital ist
im Auslande so gut wie rechtlos. Es würde
vorläufig nicht angebracht sein, unser Geld dem
kapitalbedürftigen Inland vorzuenthalten und
es in ein Nachbarland zu bringen, in dem
fünf oder mehr Gläubigerstaaten heute noch
den Vorrang haben.

Aber das alles reicht noch lange nicht
aus. Mancher Steiermärker hat auch andere
Hilfsmittel zur Verfügung: was in Deutsch¬
land Beziehungen zur Landwirtschaft, das
bedeuten in Deutschösterreich die Beziehungen
zum Ausland, besonders nach Amerika. Es
hat eben für ein Land auch manchen Vorteil,
wenn seine Auswandererziffer immer eine
sehr große war. Die Dollarpnkete von jen¬
seits des großen Wassers sind ein ebenso be¬
kannter wie hochgeschätzter Artikel. Sie sind
die einzigen Pakete die bei der Post nicht
der Gefahr des Abhandenkommens ausgesetzt
sind. Ein Oberlehrer vom Grazer Real¬
gymnasium hatte sich kürzlich an einen ihm
Persönlich bekannten schwedischen Gymnasial¬
professor mit der Bitte um eine Liebesgabe
für seine Schüler gewandt. Nach einiger
Zeit traf auch richtig eine größere Liebes¬
gabensendung ein; nur war versehentlich bei
der Aufschrift das Wort "Real" fortgelassen
und so gelangte die Sendung in die Hände
einer anderen Schule. Fast wäre es zu
blutigen Kämpfen gekommen, wenn nicht
noch im letzten Augenblick Schülerrat und
Lehrerkollegium mit saurer Miene den recht¬
mäßigen Besitzern ihr Eigentum überlassen
hätten. --

Je mehr der Deutsche in Österreich sich
dieser seiner traurigen Lage bewußt wird,
umsomehr schwindet auch der letzte Funke
von Unternehmungsgeist. Niemand glaubt
an ein längeres Andauern der gegenwärtigen
Zustände. "Erst abwarten, bis sich die Lage
etwas mehr geklärt hat", ist der ständige
Ausdruck, mit dem jede umfassendere Neu¬
anregung zurückgewiesen wird. Die so
dringend notwendige Ausnützung der
Wasserkräfte steht nun seit Jahresfrist
auf dem Papier, und sollte diese dem¬
nächst wirklich zustande kommen, so ist es
unter den gegenwärtigen Umständen eine
große Frage, ob die dann vorhandene Strom¬
menge auch in genügender Weise von einer
Industrie wird ausgenützt werden können.

So lebt also Deutschösterreich von den
milden Spenden und Krediten eines ehe¬
malig feindlichen, beziehungsweise neutralen
Auslandes. Oder sollte man diese Art von
Bettelleben nicht besser mit dem Wort "vege¬
tieren" bezeichnen? Nichts anderes als ein
Verbrechen war es, solch ein Staatengebilde
aufzurichten. Lange wird sich allerdings
selbst der Angelsachse den Sport nicht mehr
leisten können, diesen Staat weiter künstlich
zu erhalten. Gewiß bergen auch Deutsch¬
österreichs Gebiete Keime reichen Wirtschafts¬
lebens, nur, wer soll sie zum Leben wecken?
Dem eigenen Lande fehlt selbst das dringendst
notwendige Kapital; so ist man auch hierin
auf das kapitalkräftige Ausland angewiesen.
Dem aber ist ein ordentlich geregelter Auf¬
bau der österreichischen Volkswirtschaft Neben¬

Die Gefahr, daß der Riesenwasserkopf
Wien zu einer Stadt zweiten oder dritten
Ranges herabsinken wird, bestelzt allerdings
kaum. Zu groß ist seine Bedeutung als
Verkehrsknotenpnnkt, als daß ihn das inter¬
nationale Großkapital nicht schon längst als
Handels- und Börsenzentrum für Südost-
Europa auserkoren hätte. Nur das Gepräge
einer deutschen Stadt wird Wien bald ganz
verlieren. Wer sich der Umwandlung seiner
Vaterstadt zur großen Schieberzentrale nicht
anzupassen vermag, muß aus ihr verschwinden.
Auch die umliegenden Länder werden dem
Rechnung tragen müssen. Bald werden die
Statistiker zu schwarzen Listen des Massen-


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Drinnen und draußen

der „Deutschen Zeitung" hier manch nieder¬
geschlagenes junges Gemüt für einige Zeit
wieder aufgerichtet, und auch der Alpen¬
verein gewährt auf seine Kosten vielen
Kindern einen Aufenthalt in der Schweiz.

sache. Höchstmögliche Ausbeutung ist sein
Leitmotiv I Wie das Beispiel Deutschlands
zeigt, genügt nur ein geringes Steigen der
Valuta, um die im ausländischen Besitz be¬
findlichen Jndnstriepapiere wieder auf den
Markt zu zaubern; befriedigt steckt dann der
ausländische Kapitalist seinen Valutagewinn
in die Tasche und wartet neue Gelegenheit
ab. Der einzige, der ein weitergehendes
Interesse um Wiederemporkommen Deutsch¬
österreichs zeigen könnte, wäre noch der
Reichsdeutsche. Doch ihm sind die Wege
hierzu versperrt. Das deutsche Kapital ist
im Auslande so gut wie rechtlos. Es würde
vorläufig nicht angebracht sein, unser Geld dem
kapitalbedürftigen Inland vorzuenthalten und
es in ein Nachbarland zu bringen, in dem
fünf oder mehr Gläubigerstaaten heute noch
den Vorrang haben.

Aber das alles reicht noch lange nicht
aus. Mancher Steiermärker hat auch andere
Hilfsmittel zur Verfügung: was in Deutsch¬
land Beziehungen zur Landwirtschaft, das
bedeuten in Deutschösterreich die Beziehungen
zum Ausland, besonders nach Amerika. Es
hat eben für ein Land auch manchen Vorteil,
wenn seine Auswandererziffer immer eine
sehr große war. Die Dollarpnkete von jen¬
seits des großen Wassers sind ein ebenso be¬
kannter wie hochgeschätzter Artikel. Sie sind
die einzigen Pakete die bei der Post nicht
der Gefahr des Abhandenkommens ausgesetzt
sind. Ein Oberlehrer vom Grazer Real¬
gymnasium hatte sich kürzlich an einen ihm
Persönlich bekannten schwedischen Gymnasial¬
professor mit der Bitte um eine Liebesgabe
für seine Schüler gewandt. Nach einiger
Zeit traf auch richtig eine größere Liebes¬
gabensendung ein; nur war versehentlich bei
der Aufschrift das Wort „Real" fortgelassen
und so gelangte die Sendung in die Hände
einer anderen Schule. Fast wäre es zu
blutigen Kämpfen gekommen, wenn nicht
noch im letzten Augenblick Schülerrat und
Lehrerkollegium mit saurer Miene den recht¬
mäßigen Besitzern ihr Eigentum überlassen
hätten. —

Je mehr der Deutsche in Österreich sich
dieser seiner traurigen Lage bewußt wird,
umsomehr schwindet auch der letzte Funke
von Unternehmungsgeist. Niemand glaubt
an ein längeres Andauern der gegenwärtigen
Zustände. „Erst abwarten, bis sich die Lage
etwas mehr geklärt hat", ist der ständige
Ausdruck, mit dem jede umfassendere Neu¬
anregung zurückgewiesen wird. Die so
dringend notwendige Ausnützung der
Wasserkräfte steht nun seit Jahresfrist
auf dem Papier, und sollte diese dem¬
nächst wirklich zustande kommen, so ist es
unter den gegenwärtigen Umständen eine
große Frage, ob die dann vorhandene Strom¬
menge auch in genügender Weise von einer
Industrie wird ausgenützt werden können.

So lebt also Deutschösterreich von den
milden Spenden und Krediten eines ehe¬
malig feindlichen, beziehungsweise neutralen
Auslandes. Oder sollte man diese Art von
Bettelleben nicht besser mit dem Wort „vege¬
tieren" bezeichnen? Nichts anderes als ein
Verbrechen war es, solch ein Staatengebilde
aufzurichten. Lange wird sich allerdings
selbst der Angelsachse den Sport nicht mehr
leisten können, diesen Staat weiter künstlich
zu erhalten. Gewiß bergen auch Deutsch¬
österreichs Gebiete Keime reichen Wirtschafts¬
lebens, nur, wer soll sie zum Leben wecken?
Dem eigenen Lande fehlt selbst das dringendst
notwendige Kapital; so ist man auch hierin
auf das kapitalkräftige Ausland angewiesen.
Dem aber ist ein ordentlich geregelter Auf¬
bau der österreichischen Volkswirtschaft Neben¬

Die Gefahr, daß der Riesenwasserkopf
Wien zu einer Stadt zweiten oder dritten
Ranges herabsinken wird, bestelzt allerdings
kaum. Zu groß ist seine Bedeutung als
Verkehrsknotenpnnkt, als daß ihn das inter¬
nationale Großkapital nicht schon längst als
Handels- und Börsenzentrum für Südost-
Europa auserkoren hätte. Nur das Gepräge
einer deutschen Stadt wird Wien bald ganz
verlieren. Wer sich der Umwandlung seiner
Vaterstadt zur großen Schieberzentrale nicht
anzupassen vermag, muß aus ihr verschwinden.
Auch die umliegenden Länder werden dem
Rechnung tragen müssen. Bald werden die
Statistiker zu schwarzen Listen des Massen-


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[0281] Drinnen und draußen der „Deutschen Zeitung" hier manch nieder¬ geschlagenes junges Gemüt für einige Zeit wieder aufgerichtet, und auch der Alpen¬ verein gewährt auf seine Kosten vielen Kindern einen Aufenthalt in der Schweiz. sache. Höchstmögliche Ausbeutung ist sein Leitmotiv I Wie das Beispiel Deutschlands zeigt, genügt nur ein geringes Steigen der Valuta, um die im ausländischen Besitz be¬ findlichen Jndnstriepapiere wieder auf den Markt zu zaubern; befriedigt steckt dann der ausländische Kapitalist seinen Valutagewinn in die Tasche und wartet neue Gelegenheit ab. Der einzige, der ein weitergehendes Interesse um Wiederemporkommen Deutsch¬ österreichs zeigen könnte, wäre noch der Reichsdeutsche. Doch ihm sind die Wege hierzu versperrt. Das deutsche Kapital ist im Auslande so gut wie rechtlos. Es würde vorläufig nicht angebracht sein, unser Geld dem kapitalbedürftigen Inland vorzuenthalten und es in ein Nachbarland zu bringen, in dem fünf oder mehr Gläubigerstaaten heute noch den Vorrang haben. Aber das alles reicht noch lange nicht aus. Mancher Steiermärker hat auch andere Hilfsmittel zur Verfügung: was in Deutsch¬ land Beziehungen zur Landwirtschaft, das bedeuten in Deutschösterreich die Beziehungen zum Ausland, besonders nach Amerika. Es hat eben für ein Land auch manchen Vorteil, wenn seine Auswandererziffer immer eine sehr große war. Die Dollarpnkete von jen¬ seits des großen Wassers sind ein ebenso be¬ kannter wie hochgeschätzter Artikel. Sie sind die einzigen Pakete die bei der Post nicht der Gefahr des Abhandenkommens ausgesetzt sind. Ein Oberlehrer vom Grazer Real¬ gymnasium hatte sich kürzlich an einen ihm Persönlich bekannten schwedischen Gymnasial¬ professor mit der Bitte um eine Liebesgabe für seine Schüler gewandt. Nach einiger Zeit traf auch richtig eine größere Liebes¬ gabensendung ein; nur war versehentlich bei der Aufschrift das Wort „Real" fortgelassen und so gelangte die Sendung in die Hände einer anderen Schule. Fast wäre es zu blutigen Kämpfen gekommen, wenn nicht noch im letzten Augenblick Schülerrat und Lehrerkollegium mit saurer Miene den recht¬ mäßigen Besitzern ihr Eigentum überlassen hätten. — Je mehr der Deutsche in Österreich sich dieser seiner traurigen Lage bewußt wird, umsomehr schwindet auch der letzte Funke von Unternehmungsgeist. Niemand glaubt an ein längeres Andauern der gegenwärtigen Zustände. „Erst abwarten, bis sich die Lage etwas mehr geklärt hat", ist der ständige Ausdruck, mit dem jede umfassendere Neu¬ anregung zurückgewiesen wird. Die so dringend notwendige Ausnützung der Wasserkräfte steht nun seit Jahresfrist auf dem Papier, und sollte diese dem¬ nächst wirklich zustande kommen, so ist es unter den gegenwärtigen Umständen eine große Frage, ob die dann vorhandene Strom¬ menge auch in genügender Weise von einer Industrie wird ausgenützt werden können. So lebt also Deutschösterreich von den milden Spenden und Krediten eines ehe¬ malig feindlichen, beziehungsweise neutralen Auslandes. Oder sollte man diese Art von Bettelleben nicht besser mit dem Wort „vege¬ tieren" bezeichnen? Nichts anderes als ein Verbrechen war es, solch ein Staatengebilde aufzurichten. Lange wird sich allerdings selbst der Angelsachse den Sport nicht mehr leisten können, diesen Staat weiter künstlich zu erhalten. Gewiß bergen auch Deutsch¬ österreichs Gebiete Keime reichen Wirtschafts¬ lebens, nur, wer soll sie zum Leben wecken? Dem eigenen Lande fehlt selbst das dringendst notwendige Kapital; so ist man auch hierin auf das kapitalkräftige Ausland angewiesen. Dem aber ist ein ordentlich geregelter Auf¬ bau der österreichischen Volkswirtschaft Neben¬ Die Gefahr, daß der Riesenwasserkopf Wien zu einer Stadt zweiten oder dritten Ranges herabsinken wird, bestelzt allerdings kaum. Zu groß ist seine Bedeutung als Verkehrsknotenpnnkt, als daß ihn das inter¬ nationale Großkapital nicht schon längst als Handels- und Börsenzentrum für Südost- Europa auserkoren hätte. Nur das Gepräge einer deutschen Stadt wird Wien bald ganz verlieren. Wer sich der Umwandlung seiner Vaterstadt zur großen Schieberzentrale nicht anzupassen vermag, muß aus ihr verschwinden. Auch die umliegenden Länder werden dem Rechnung tragen müssen. Bald werden die Statistiker zu schwarzen Listen des Massen- 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/281>, abgerufen am 18.05.2024.