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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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bis Maaseyck "schreit das unschuldige Blut
um Rache"; das Deutschtum fordert seine
Befreiung vom Zwitterwesen der Kins dsIZs.

Ach, an wieviel inneren Schranken krankt
die deutsche Nation! Wir können noch keine
"Geschichte der Nation" abschließen, wie eben
die Franzosen unter Hanotaux' Leitung. Wir
sind immer noch das UrVolk Europas, das
sich glaubt leisten zu dürfen, vielerlei politische
Sondcrbildungen aufrechtzuerhalten.

Der Deutsche kann nicht leben, ohne sich
fortgesetzt selbst die schwersten Wunden zu
schlagen. Aber seine Lebenskraft war so groß,
daß sie dies immer wieder überwand. Auch
heute bedürfen wir des Glaubens, und gerade
heute in der tiefsten Erniedrigung der deutschen
Nation, des Glaubens an den Tag der
Wiedervereinigung unserer niederdeutschen
Brüder mit dem Mutterstamm.

Die Zukunft des deutsch-französischen
Zwischenreiches, Großlotharingiens, bestehend
aus Holland, Belgien, Luxemburg, Elsaß-
Lothringen und der Schweiz, ist das Baro¬
meter der deutschen wie der französichen Ge¬
schichte. Seit einem Jahrtausend wechselt das
Schicksal hin und her. Die germanische
Siedelung bis nach Flandern hin gibt an
sich dem Deutschtum geographisch, wirtschafts¬
politisch und strategisch die Führung in Eu¬
ropa, wenn dieses Gebiet geschlossen Zusammen¬
halt. Aber seit dem späteren Mittelalter hat
Frankreich dank der traurigen Zerfahrenheit
der Deutschen als politischer Menschen Stück
um Stück vom Zwischenreich absprengen
können. Das Bismarcksche Werk hatte die
Vormacht Deutschlands wiederhergestellt. El¬
saß und Lothringen waren staatlich, Luxem¬
burg wirtschaftlich-strategisch angegliedert wor¬

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den. Holland und Belgien mußten auf na¬
türlichem Weg, ebenso wie die Schweiz mehr
und mehr zu einem Deutschland hingravitieren,
welches der Schwerpunkt Europas wurde.
Aber dies Bismarcksche Reich war nicht das
Werk der deutschen Nation; das zeigte sich
deutlich, indem sie es abermals zerfallen ließ.
Heute nun hat das "selbständige" Deutschtum
Belgiens, Luxemburgs und der Schweiz frei¬
willig oder gezwungen sein Gesicht nach
Westen gedreht, und Elsaß und Lothringen
sind ein zweites Mal unmittelbares Bearbeitungs¬
feld der Französierung geworden. Abermals
hat überall an diesen Grenzen das Deutsch¬
tum politisch ausgespielt, hat sein Mutterland
und hat sich selber verloren. Es steht auf
sich selbst und kämpft einsam hier wie dort,
politisch unorgänisirt, eingeschüchtert, von allen
Erfolgshungrigen und Charakterschwachen ver¬
lassen. Wird Germania germinans, das sich
immerwährend fruchtbar erneuernde Deutsch¬
tum aus Straßburg und Gent, Luxemburg
und Zürich neue Wunder der Erhaltung
deutscher Art uns schenken? Oder durch end¬
lichen Untergang auch uns im abgeschnittenen,
ausgehungerten, tränenreichen Mutter- und
Waisenland das Todesurteil freier Volksart
ankünden? Wir wollen helfen, daß das Erste
geschehe, indem wir im Mutterland Kräfte ent¬
falten, die anziehen und festhalten. Und in
Brüssel wollen wir nicht französisch parlieren,
sondem vlämisch sprechen oder deutsch, obwohl
man bei letzterem mancherlei Püffe gewärtigen
muß. Wenn man uns aber auch den Mut
nehmen könnte, was hätten wir dann zu ver¬
lieren, und wodurch soll das Deutschtum
wieder zu Ehren kommen, wenn nicht durch
Mut?

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Bucherschau

[Beginn Spaltensatz]

"DaS kommende Europa". Von Franz
Cleinow. Verlag Elsner, Berlin 8 42.

Die Weltkriegsrevolution, in deren Stürmen
wir leben, mahnt uns eindringlich, das Ge¬
schehene verantwortungsvoll zu durchdenken,
Neue Ideen zur Gestaltung einer besseren
Zukunft zu formen und in die Tat umzu¬
setzen, um für unsere Nachkommen die Grund-

[Spaltenumbruch]

lag" eines gesicherten und lebenswerteren
Daseins zu schaffen.

An ideologischen Kurpfuschern, die in
glücklicher Unkenntnis der Zusammenhänge
mit Palliativmitteln der Un- und Halb¬
bildung das bestehende Chaos kurieren wollen,
sind wir reich. Arm aber sind wir an
großen Ärzten, welche nicht an den Erschei-

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primum und draußen

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bis Maaseyck „schreit das unschuldige Blut
um Rache"; das Deutschtum fordert seine
Befreiung vom Zwitterwesen der Kins dsIZs.

Ach, an wieviel inneren Schranken krankt
die deutsche Nation! Wir können noch keine
„Geschichte der Nation" abschließen, wie eben
die Franzosen unter Hanotaux' Leitung. Wir
sind immer noch das UrVolk Europas, das
sich glaubt leisten zu dürfen, vielerlei politische
Sondcrbildungen aufrechtzuerhalten.

Der Deutsche kann nicht leben, ohne sich
fortgesetzt selbst die schwersten Wunden zu
schlagen. Aber seine Lebenskraft war so groß,
daß sie dies immer wieder überwand. Auch
heute bedürfen wir des Glaubens, und gerade
heute in der tiefsten Erniedrigung der deutschen
Nation, des Glaubens an den Tag der
Wiedervereinigung unserer niederdeutschen
Brüder mit dem Mutterstamm.

Die Zukunft des deutsch-französischen
Zwischenreiches, Großlotharingiens, bestehend
aus Holland, Belgien, Luxemburg, Elsaß-
Lothringen und der Schweiz, ist das Baro¬
meter der deutschen wie der französichen Ge¬
schichte. Seit einem Jahrtausend wechselt das
Schicksal hin und her. Die germanische
Siedelung bis nach Flandern hin gibt an
sich dem Deutschtum geographisch, wirtschafts¬
politisch und strategisch die Führung in Eu¬
ropa, wenn dieses Gebiet geschlossen Zusammen¬
halt. Aber seit dem späteren Mittelalter hat
Frankreich dank der traurigen Zerfahrenheit
der Deutschen als politischer Menschen Stück
um Stück vom Zwischenreich absprengen
können. Das Bismarcksche Werk hatte die
Vormacht Deutschlands wiederhergestellt. El¬
saß und Lothringen waren staatlich, Luxem¬
burg wirtschaftlich-strategisch angegliedert wor¬

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den. Holland und Belgien mußten auf na¬
türlichem Weg, ebenso wie die Schweiz mehr
und mehr zu einem Deutschland hingravitieren,
welches der Schwerpunkt Europas wurde.
Aber dies Bismarcksche Reich war nicht das
Werk der deutschen Nation; das zeigte sich
deutlich, indem sie es abermals zerfallen ließ.
Heute nun hat das „selbständige" Deutschtum
Belgiens, Luxemburgs und der Schweiz frei¬
willig oder gezwungen sein Gesicht nach
Westen gedreht, und Elsaß und Lothringen
sind ein zweites Mal unmittelbares Bearbeitungs¬
feld der Französierung geworden. Abermals
hat überall an diesen Grenzen das Deutsch¬
tum politisch ausgespielt, hat sein Mutterland
und hat sich selber verloren. Es steht auf
sich selbst und kämpft einsam hier wie dort,
politisch unorgänisirt, eingeschüchtert, von allen
Erfolgshungrigen und Charakterschwachen ver¬
lassen. Wird Germania germinans, das sich
immerwährend fruchtbar erneuernde Deutsch¬
tum aus Straßburg und Gent, Luxemburg
und Zürich neue Wunder der Erhaltung
deutscher Art uns schenken? Oder durch end¬
lichen Untergang auch uns im abgeschnittenen,
ausgehungerten, tränenreichen Mutter- und
Waisenland das Todesurteil freier Volksart
ankünden? Wir wollen helfen, daß das Erste
geschehe, indem wir im Mutterland Kräfte ent¬
falten, die anziehen und festhalten. Und in
Brüssel wollen wir nicht französisch parlieren,
sondem vlämisch sprechen oder deutsch, obwohl
man bei letzterem mancherlei Püffe gewärtigen
muß. Wenn man uns aber auch den Mut
nehmen könnte, was hätten wir dann zu ver¬
lieren, und wodurch soll das Deutschtum
wieder zu Ehren kommen, wenn nicht durch
Mut?

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Bucherschau

[Beginn Spaltensatz]

„DaS kommende Europa". Von Franz
Cleinow. Verlag Elsner, Berlin 8 42.

Die Weltkriegsrevolution, in deren Stürmen
wir leben, mahnt uns eindringlich, das Ge¬
schehene verantwortungsvoll zu durchdenken,
Neue Ideen zur Gestaltung einer besseren
Zukunft zu formen und in die Tat umzu¬
setzen, um für unsere Nachkommen die Grund-

[Spaltenumbruch]

lag« eines gesicherten und lebenswerteren
Daseins zu schaffen.

An ideologischen Kurpfuschern, die in
glücklicher Unkenntnis der Zusammenhänge
mit Palliativmitteln der Un- und Halb¬
bildung das bestehende Chaos kurieren wollen,
sind wir reich. Arm aber sind wir an
großen Ärzten, welche nicht an den Erschei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/119>, abgerufen am 05.05.2024.