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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Die Tiroler Frage

1914 keinen maßgebenden Einfluß geübt haben. Ob und inwieweit dieses Postulat
seinerzeit verwirklicht werden wird und überhaupt verwirklicht werden kann, bleibt
abzuwarten. Wie mein Freund in diesem Zusammenhange bemerkte, ist die Stellung
des Herrn Asquith derart erschüttert, daß er es kaum bis zum Abschluß der Feind¬
seligkeiten aushalten wird und Herr Gres unterläßt nicht, von Zeit zu Zeit sein
Augenleiden zu akzentuieren, in dem an sich begreiflichen Wunsch, sich gegebenenfalls
einen guten Abgang zu sichern. Sehr starkes Gewicht dagege scheint England auf
vie Wiederherstellung Belgiens und zwar in seinem vollen Umfange zu legen. Der
Nachdruck, mit dem Monsignore Marchetti die Unverzichtbarkeit dieser englischen
Forderung unterstrich, legt die Annahme nahe, daß er diese seine Information in
erster Linie aus den englischen Kreisen Beruf bezogen hat, die der Gesandt¬
schaft nahestehen. Darüber, daß Benedikt XV. sich mit dem vollen Gewicht seiner
Autorität für Belgien einsetzen wird, kann ein Zweifel nicht bestehen. Das Cha¬
rakteristische dieser Mitteilungen liegt daran, daß sie auf englischer Seite eine gewisse
Geneigtheit verzeichnen, überhaupt über den Frieden zu reden, was, soweit Herr Z.
in Frage steht, heute zum erstenmal der Fall ist. Die Herren Asauith und Grey,
die noch vor einem Jahre von einer unbegrenzten Dauer des Krieges sprachen, sind
bescheidener gewesen und nehmen vorläufig den Spätherbst 1S16 als Zeitpunkt des
Beginns der Friedensverhandlungen in Aussicht. Die Stimmung in England ist
im Abflauen begriffen, wobei wir uns allerdings einer Täuschung darüber, daß
bei uns in breiteren Schichten der Bevölkerung die Unzufriedenheit zunimmt,
ebensowenig hingeben als glauben dürfen, diese Verhältnisse seien unseren Gegnern
nicht bekannt.

In Bern scheinen sich die Gerüchte von einem im Herbst kommenden Frieden,
d. h. zunächst Waffenstillstand, zu verdichten. Doch vermißt man mit Bedauern
die Meldung, daß die Missionen der Entente zu dieser Stimmung auch nur an¬
nähernd die auf sie treffende Quote beitragen.




Die Tiroler Frage
G. von Tschurtschenthalcr von

le politische Bedeutung der Tiroler Frage wurde der deutschen
Öffentlichkeit nähergebracht durch die Stellungnahme des früheren
Reichsministcrs des Äußeren, Herrn Köster, die dieser in der groß-
deutschen tirolischen Tageszeitung "Alpenland" zur Verwertung
2 bekannt gab. Zahlreiche große deutsche Blätter haben die Äuße¬
rungen des Leiters der deutschen Außenpolitik wiedergegeben und Deutsch¬
österreich, vor allem natürlich Tirol, hat ein freudiges Echo für sie gebildet.

Der Neichsminister betonte, daß die besondere Lage Tirols, durch das die
Zwei direktesten Blutadern der Interessengemeinschaft zwischen Deutschland und
Italien führen, dieses an sich kleine, arme und nur aus seiner tragischen Geschichte
von Treue und Heimatlicbe bekannte Land "automatisch in den Vordergrund der
außenpolitischen Fragen" schiebt.


Die Tiroler Frage

1914 keinen maßgebenden Einfluß geübt haben. Ob und inwieweit dieses Postulat
seinerzeit verwirklicht werden wird und überhaupt verwirklicht werden kann, bleibt
abzuwarten. Wie mein Freund in diesem Zusammenhange bemerkte, ist die Stellung
des Herrn Asquith derart erschüttert, daß er es kaum bis zum Abschluß der Feind¬
seligkeiten aushalten wird und Herr Gres unterläßt nicht, von Zeit zu Zeit sein
Augenleiden zu akzentuieren, in dem an sich begreiflichen Wunsch, sich gegebenenfalls
einen guten Abgang zu sichern. Sehr starkes Gewicht dagege scheint England auf
vie Wiederherstellung Belgiens und zwar in seinem vollen Umfange zu legen. Der
Nachdruck, mit dem Monsignore Marchetti die Unverzichtbarkeit dieser englischen
Forderung unterstrich, legt die Annahme nahe, daß er diese seine Information in
erster Linie aus den englischen Kreisen Beruf bezogen hat, die der Gesandt¬
schaft nahestehen. Darüber, daß Benedikt XV. sich mit dem vollen Gewicht seiner
Autorität für Belgien einsetzen wird, kann ein Zweifel nicht bestehen. Das Cha¬
rakteristische dieser Mitteilungen liegt daran, daß sie auf englischer Seite eine gewisse
Geneigtheit verzeichnen, überhaupt über den Frieden zu reden, was, soweit Herr Z.
in Frage steht, heute zum erstenmal der Fall ist. Die Herren Asauith und Grey,
die noch vor einem Jahre von einer unbegrenzten Dauer des Krieges sprachen, sind
bescheidener gewesen und nehmen vorläufig den Spätherbst 1S16 als Zeitpunkt des
Beginns der Friedensverhandlungen in Aussicht. Die Stimmung in England ist
im Abflauen begriffen, wobei wir uns allerdings einer Täuschung darüber, daß
bei uns in breiteren Schichten der Bevölkerung die Unzufriedenheit zunimmt,
ebensowenig hingeben als glauben dürfen, diese Verhältnisse seien unseren Gegnern
nicht bekannt.

In Bern scheinen sich die Gerüchte von einem im Herbst kommenden Frieden,
d. h. zunächst Waffenstillstand, zu verdichten. Doch vermißt man mit Bedauern
die Meldung, daß die Missionen der Entente zu dieser Stimmung auch nur an¬
nähernd die auf sie treffende Quote beitragen.




Die Tiroler Frage
G. von Tschurtschenthalcr von

le politische Bedeutung der Tiroler Frage wurde der deutschen
Öffentlichkeit nähergebracht durch die Stellungnahme des früheren
Reichsministcrs des Äußeren, Herrn Köster, die dieser in der groß-
deutschen tirolischen Tageszeitung „Alpenland" zur Verwertung
2 bekannt gab. Zahlreiche große deutsche Blätter haben die Äuße¬
rungen des Leiters der deutschen Außenpolitik wiedergegeben und Deutsch¬
österreich, vor allem natürlich Tirol, hat ein freudiges Echo für sie gebildet.

Der Neichsminister betonte, daß die besondere Lage Tirols, durch das die
Zwei direktesten Blutadern der Interessengemeinschaft zwischen Deutschland und
Italien führen, dieses an sich kleine, arme und nur aus seiner tragischen Geschichte
von Treue und Heimatlicbe bekannte Land „automatisch in den Vordergrund der
außenpolitischen Fragen" schiebt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/65>, abgerufen am 05.05.2024.