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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimbenchten an den Grafen kicrtling

Dauer in der Lage sehen werden, den Kampf mitzumachen, und daß Österreich
wohl uoch an? leichtesten bei der Stange gehalten werden kann, wenn es den in den
gesamten Ländern der Doppelmonarchie populären Krieg gegen Italien aufbaut.

Nach der gleichen Quelle wird sowohl in hiesigen diplomatischen Kreisen
Beruf, wie in den am Zustandekommen eines Friedens interessierten Kreisen
Hollands zur Zeit mit Interesse ein Schritt erörtert, den wir via Wien neuerdings
in England im Sinne einer Annäherung unternommen haben sollen. Die Nachricht
war von hier aus vorerst noch nicht zu kontrollieren, scheint mir aber mit Rücksicht
auf die Persönlichkeit meines Gewährsmannes und dessen motorischer Vertrautheit
mit den Vorgängen am Ballplatz immerhin beachtenswert. Sollte sie richtig sein,
so wäre sie angesichts der Nachrichten, die uns aus den Ländern des Vierverbandes
zugegangen sind und übereinstimmend dahin lauten, daß insbesondere in den
leitenden Kreisen Frankreichs eine Friedensgcncigtheit irgendwelcher Art nicht be¬
steht, sehr zu bedauern. Die Stimmung speziell in Frankreich hat sich nach In¬
formationen in der allerletzten Zeit sehr gehoben. Meine Gewährsmänner führen
hierfür sechs Gründe an. Der erste ist der starke französische Widerstand und die
langsamen und kleinen Erfolge vor Verdun, die Einnahme von Trapezunt im Zu¬
sammenhang mit Gerüchten von einem Separatfrieden der Türkei, die sichere Er¬
wartung des Bruchs zwischen Amerika und Deutschland, die aktive Teilnahme
Rußlands an der französischen Front, die auf Italien rllckwirkcn müsse, das voll¬
ständige Stocken der militärischen Operationen der Zcntralmächte in Mazedonien
und Albanien, das Ausbleiben der seit langem erwarteten österreichischen Offensive
gegen Italien, sowie endlich der Tod des Feldmarschalls von der Goltz, der nach
der dortigen Ansicht allein noch die Türkei in der militärischen Gefolgschaft der
Zcntralmächte erhalten habe. Der Ton, auf den auch die ernsteren französischen
Blätter gerade in der letzten Zeit gestimmt waren, steht abzüglich der notwendigen
Tara an Autosuggestion mit diesen Mitteilungen so ziemlich in Einklang. Solange
aber in Frankreich eine derartige Stimmung des Durchhaltcns herrscht, ist mit
einem Abflauen des englischen Kampfwillens nicht zu rechnen. Fühler in England
könnten daher, falls sie wirklich neuerdings wieder gemacht worden sein sollten,
unsere Position für etwaige Friedensverhandlungen nur verschlechtern.




Luzern, den 16, Mai 1916.

Der besonderen Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz möchte ich die Anlage
empfehlen, die die Anschauungen behandelt, die über die Minima, pavi-z in England
bestehen. Sie führt die Staatsmänner auf, die die englischen Gewährsleute von Z.
übereinstimmend, von einer persönlichen Teilnahme an den Friedensverhandlungen
ausgeschlossen wissen möchten. Es sind dies auf englischer Seite Asquith und Grey,
auf deutscher Herr von Vethmann-Hollweg und Herr von Jagow. Ich bin übrigens
wiederholt bei neutralen Diplomaten, insbesondere bei Monsignore Marchctti der
Auffassung begegnet, daß sämtliche kriegführende Staaten bei Auswahl ihrer
Friedcnsunterhändler darauf Bedacht nehmen sollten, daß lediglich Persönlichkeiten
genommen werden, die auf dem Gange der Juli- und Augustereignisse des Jahres


Aus Geheimbenchten an den Grafen kicrtling

Dauer in der Lage sehen werden, den Kampf mitzumachen, und daß Österreich
wohl uoch an? leichtesten bei der Stange gehalten werden kann, wenn es den in den
gesamten Ländern der Doppelmonarchie populären Krieg gegen Italien aufbaut.

Nach der gleichen Quelle wird sowohl in hiesigen diplomatischen Kreisen
Beruf, wie in den am Zustandekommen eines Friedens interessierten Kreisen
Hollands zur Zeit mit Interesse ein Schritt erörtert, den wir via Wien neuerdings
in England im Sinne einer Annäherung unternommen haben sollen. Die Nachricht
war von hier aus vorerst noch nicht zu kontrollieren, scheint mir aber mit Rücksicht
auf die Persönlichkeit meines Gewährsmannes und dessen motorischer Vertrautheit
mit den Vorgängen am Ballplatz immerhin beachtenswert. Sollte sie richtig sein,
so wäre sie angesichts der Nachrichten, die uns aus den Ländern des Vierverbandes
zugegangen sind und übereinstimmend dahin lauten, daß insbesondere in den
leitenden Kreisen Frankreichs eine Friedensgcncigtheit irgendwelcher Art nicht be¬
steht, sehr zu bedauern. Die Stimmung speziell in Frankreich hat sich nach In¬
formationen in der allerletzten Zeit sehr gehoben. Meine Gewährsmänner führen
hierfür sechs Gründe an. Der erste ist der starke französische Widerstand und die
langsamen und kleinen Erfolge vor Verdun, die Einnahme von Trapezunt im Zu¬
sammenhang mit Gerüchten von einem Separatfrieden der Türkei, die sichere Er¬
wartung des Bruchs zwischen Amerika und Deutschland, die aktive Teilnahme
Rußlands an der französischen Front, die auf Italien rllckwirkcn müsse, das voll¬
ständige Stocken der militärischen Operationen der Zcntralmächte in Mazedonien
und Albanien, das Ausbleiben der seit langem erwarteten österreichischen Offensive
gegen Italien, sowie endlich der Tod des Feldmarschalls von der Goltz, der nach
der dortigen Ansicht allein noch die Türkei in der militärischen Gefolgschaft der
Zcntralmächte erhalten habe. Der Ton, auf den auch die ernsteren französischen
Blätter gerade in der letzten Zeit gestimmt waren, steht abzüglich der notwendigen
Tara an Autosuggestion mit diesen Mitteilungen so ziemlich in Einklang. Solange
aber in Frankreich eine derartige Stimmung des Durchhaltcns herrscht, ist mit
einem Abflauen des englischen Kampfwillens nicht zu rechnen. Fühler in England
könnten daher, falls sie wirklich neuerdings wieder gemacht worden sein sollten,
unsere Position für etwaige Friedensverhandlungen nur verschlechtern.




Luzern, den 16, Mai 1916.

Der besonderen Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz möchte ich die Anlage
empfehlen, die die Anschauungen behandelt, die über die Minima, pavi-z in England
bestehen. Sie führt die Staatsmänner auf, die die englischen Gewährsleute von Z.
übereinstimmend, von einer persönlichen Teilnahme an den Friedensverhandlungen
ausgeschlossen wissen möchten. Es sind dies auf englischer Seite Asquith und Grey,
auf deutscher Herr von Vethmann-Hollweg und Herr von Jagow. Ich bin übrigens
wiederholt bei neutralen Diplomaten, insbesondere bei Monsignore Marchctti der
Auffassung begegnet, daß sämtliche kriegführende Staaten bei Auswahl ihrer
Friedcnsunterhändler darauf Bedacht nehmen sollten, daß lediglich Persönlichkeiten
genommen werden, die auf dem Gange der Juli- und Augustereignisse des Jahres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/64>, abgerufen am 26.05.2024.