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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Paris im Sommer ^20

Paris im Sommer 5920
Gelo Grautoff. von

Die nachstehenden Ausführungen, die einerseits den Starrsinn
des französischen Rationalismus, anderseits den unpolitischen
Verständigungsdrang Deutscher hervortreten lassen, glauben wir
unseren Lesern unter Wahrung unserer eigenen Grundcinstellung
mitteilen zu sollen, da sie auf alter und intimer Fühlung mit
dem französischen Kulturleben beruhen.

er Deutsche, der nach sechs Jahren zum ersten Male wieder Paris
betritt, die Stadt, die er vielleicht einst glücklich bewohnt hat, tut
es mit tiefem Bangen vor den Eindrücken, die ihn dort erwarten
sollen. Die Traurigkeit dieser Erwartung wird teils übertroffen,
teils gehoben. Tiefer noch als gefürchtet drückt der Unterschied
zwischen dem besiegten und dem (wenn auch nur scheinbar) siegenden Lande.
Man empfindet auf Schritt und Tritt schmerzlich, wieviel Selbstverständlichkeiten
nicht nur in bezug auf die Ernährung, die kulinarischen Genüsse uns fremd ge¬
worden sind.

In den Auslagen der Schaufenster sieht man alles -- zum 2'/" bis
3 fachen Friedenspreise--, was für französische Börsen erschwinglich aussieht. Papicr-
not scheint nicht zu herrschen. Die Verleger bringen ein Buch nach dem anderen
auf den Markt. Die Zentralstelle des französischen Buchhandels erleichtert -- im
Gegensatz zu Deutschland -- den Absatz in das Ausland. Als junger, sehr
rühriger Verlag ist die "Sirene" zu nennen, deren lyrische und epische Publikationen
oft mit Holzschnitten von Dufry, Masereel, Shote, Andre, Marc und anderen
geschmückt sind. An Büchern urkd Zeitschriften wird der Aufschwung, den die
Schwarzweißkunst genommen hat, ersichtlich. Fast alle bedeutenden jungen Künstler
haben sich auch diesem Betätigungsfeld zugewandt und leisten darin zum Teil
Außerordentliches.

Der Charakter der Zeitschriften hat sich im allgemeinen nicht verändert.
"La nouvelle revue francaise" hat an Ansehen und Bedeutung noch gewonnen.
Als Chronik ist ihr auch heute noch der "Mercure de France" überlegen. In¬
dessen ist er in seinen Tendenzen derartig rationalistisch geworden, daß er sich prinzipiell
weigert, literarische oder verlegerische Beziehungen zu Deutschland wieder anzu¬
knüpfen. Er verneint jede weltbürgerliche Gesinnung, die bei Andr6 Gide und
seinem Kreis uns so wohltuend berührt. Vorläufig steht die angelsächische Welt
im Vordergrund des Interesses. Man veröffentlicht Werke von Herbert Browning,
Samuel Butler, I. M. Keynes. Paul Galland, Valery Larband, Albert Thibaudet
haben sich während des letzten halben Jahres mit englischen Problemen beschäftigt.
Die Betrachtung deutscher Geistesarbeit steht vorläufig noch im Hintergrund.
Indessen weiß ich, daß Felix Bertaux, ein verständnisvoller Kenner Deutschlands,
sich mit ihr beschäftigt und Studien über Gundolf, Spengler, Bertram vorbereitet,
die gewiß von dem gleichem loyalen Empfinden getragen sein werden wie seine^Arbeiten
über Walter Rathenau und Dehmels Kriegstagebuch, die bereits erschienen sind.
Ihm zur Seite wird demnächst der Berliner Privatdozent Groothuscn treten, der
als Mitarbeiter der Nouvelle revue francaise gewonnen ist. Neben Gide macht
sich Gaston Gallunard, der Sohn des bekannten Sammlers, um den Verlag ver-


Paris im Sommer ^20

Paris im Sommer 5920
Gelo Grautoff. von

Die nachstehenden Ausführungen, die einerseits den Starrsinn
des französischen Rationalismus, anderseits den unpolitischen
Verständigungsdrang Deutscher hervortreten lassen, glauben wir
unseren Lesern unter Wahrung unserer eigenen Grundcinstellung
mitteilen zu sollen, da sie auf alter und intimer Fühlung mit
dem französischen Kulturleben beruhen.

er Deutsche, der nach sechs Jahren zum ersten Male wieder Paris
betritt, die Stadt, die er vielleicht einst glücklich bewohnt hat, tut
es mit tiefem Bangen vor den Eindrücken, die ihn dort erwarten
sollen. Die Traurigkeit dieser Erwartung wird teils übertroffen,
teils gehoben. Tiefer noch als gefürchtet drückt der Unterschied
zwischen dem besiegten und dem (wenn auch nur scheinbar) siegenden Lande.
Man empfindet auf Schritt und Tritt schmerzlich, wieviel Selbstverständlichkeiten
nicht nur in bezug auf die Ernährung, die kulinarischen Genüsse uns fremd ge¬
worden sind.

In den Auslagen der Schaufenster sieht man alles — zum 2'/» bis
3 fachen Friedenspreise—, was für französische Börsen erschwinglich aussieht. Papicr-
not scheint nicht zu herrschen. Die Verleger bringen ein Buch nach dem anderen
auf den Markt. Die Zentralstelle des französischen Buchhandels erleichtert — im
Gegensatz zu Deutschland — den Absatz in das Ausland. Als junger, sehr
rühriger Verlag ist die „Sirene" zu nennen, deren lyrische und epische Publikationen
oft mit Holzschnitten von Dufry, Masereel, Shote, Andre, Marc und anderen
geschmückt sind. An Büchern urkd Zeitschriften wird der Aufschwung, den die
Schwarzweißkunst genommen hat, ersichtlich. Fast alle bedeutenden jungen Künstler
haben sich auch diesem Betätigungsfeld zugewandt und leisten darin zum Teil
Außerordentliches.

Der Charakter der Zeitschriften hat sich im allgemeinen nicht verändert.
„La nouvelle revue francaise" hat an Ansehen und Bedeutung noch gewonnen.
Als Chronik ist ihr auch heute noch der „Mercure de France" überlegen. In¬
dessen ist er in seinen Tendenzen derartig rationalistisch geworden, daß er sich prinzipiell
weigert, literarische oder verlegerische Beziehungen zu Deutschland wieder anzu¬
knüpfen. Er verneint jede weltbürgerliche Gesinnung, die bei Andr6 Gide und
seinem Kreis uns so wohltuend berührt. Vorläufig steht die angelsächische Welt
im Vordergrund des Interesses. Man veröffentlicht Werke von Herbert Browning,
Samuel Butler, I. M. Keynes. Paul Galland, Valery Larband, Albert Thibaudet
haben sich während des letzten halben Jahres mit englischen Problemen beschäftigt.
Die Betrachtung deutscher Geistesarbeit steht vorläufig noch im Hintergrund.
Indessen weiß ich, daß Felix Bertaux, ein verständnisvoller Kenner Deutschlands,
sich mit ihr beschäftigt und Studien über Gundolf, Spengler, Bertram vorbereitet,
die gewiß von dem gleichem loyalen Empfinden getragen sein werden wie seine^Arbeiten
über Walter Rathenau und Dehmels Kriegstagebuch, die bereits erschienen sind.
Ihm zur Seite wird demnächst der Berliner Privatdozent Groothuscn treten, der
als Mitarbeiter der Nouvelle revue francaise gewonnen ist. Neben Gide macht
sich Gaston Gallunard, der Sohn des bekannten Sammlers, um den Verlag ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/134>, abgerufen am 01.05.2024.