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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Bürokraten-Briefe

aller gegen alle, wie er jetzt tobt, ist weder auf politischem noch aus wirtschaftlichem
Gebiet eine Genesung möglich. Noch dürfen wir hoffen, daß die Gegenwart nur ein
Qbergangsstadium ist, daß sich unser Volk wieder aufraffen und Eichendorffs Worte
wahr machen wird:

Gott hat uns vor anderen Gaben verliehen, die zur Erreichung der höchsten
Ziele im Völkerleben befähigen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, die edlen
Eigenschaften unseres Volkscharakters wieder zu entwickeln und in einmütigem Zu¬
sammenstehen das Gute aus der alten mit dem Berechtigten aus der neuen Zeit auf
Politischen, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet in harter, aber fruchtbringender
Arbeit an uns und unserem Volke zu vereinigen und zu läutern. Dann werden
unsere Kinder und Enkel künftig vielleicht doch einmal in Erfüllung gehen sehen,
was in seinem eingangs erwähnten Gedicht des Dichters Sehergabe prophetisch
verheißt:


"Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!"



Bürokraten-Briefe*)
Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von
III. kiteraten-politik; die Politik der unbegrenzten
Unmöglichkeiten

Lasten wir die Zukunft! Ob meine Voraussage über das Zurückbleiben des
Politischen Interesses und der demokratischen Hochflut eintritt oder nicht, wird
schwerlich einer von uns beiden festzustellen Gelegenheit haben. So rasch wird auch
nach meiner Überzeugung der Rückschlag kaum wirksam werden. Aber eine Unter¬
haltung wie die unsrige ist schließlich keine Parlamentsdebatte, in der nur Fragen
bon heute und morgen Beachtung und Gehör finden. Es lohnt sich immerhin, den
Lauf der Dinge auch einmal aus weiterem Abstände zu betrachten. Wer sich des
Abstandes bewußt bleibt, verfällt dadurch noch nicht der Weitsichtigkeit, vor der
Bismarck in dem neulich von mir erwähnten Briefe warnt.

Freilich, über solche Ausblicke zu strei ten, ist unfruchtbar. Lassen Sie mich
lieber das Mißverständnis aufklären, das meine abfällige Bemerkung über die "Ver-
Keistigung" der Politik und ihre unerfreulichen Folgen verschuldet hat. Sie wundern
sich bei mir über diese Scheu vor dem Geiste und fragen, ob ich eine Scheidewand
"wischen der Politik und dem geistigen Leben der Zeit aufrichten wollte. Wenn



*) Nachstehende .Bürokraten-Briefe" deZ bekannten Verfassers stammen aus dem
Mut.'r 191ö/2(1. Siehe auch .Grenzboten", Hefte 44/45 und 46.
Bürokraten-Briefe

aller gegen alle, wie er jetzt tobt, ist weder auf politischem noch aus wirtschaftlichem
Gebiet eine Genesung möglich. Noch dürfen wir hoffen, daß die Gegenwart nur ein
Qbergangsstadium ist, daß sich unser Volk wieder aufraffen und Eichendorffs Worte
wahr machen wird:

Gott hat uns vor anderen Gaben verliehen, die zur Erreichung der höchsten
Ziele im Völkerleben befähigen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, die edlen
Eigenschaften unseres Volkscharakters wieder zu entwickeln und in einmütigem Zu¬
sammenstehen das Gute aus der alten mit dem Berechtigten aus der neuen Zeit auf
Politischen, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet in harter, aber fruchtbringender
Arbeit an uns und unserem Volke zu vereinigen und zu läutern. Dann werden
unsere Kinder und Enkel künftig vielleicht doch einmal in Erfüllung gehen sehen,
was in seinem eingangs erwähnten Gedicht des Dichters Sehergabe prophetisch
verheißt:


„Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!"



Bürokraten-Briefe*)
Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von
III. kiteraten-politik; die Politik der unbegrenzten
Unmöglichkeiten

Lasten wir die Zukunft! Ob meine Voraussage über das Zurückbleiben des
Politischen Interesses und der demokratischen Hochflut eintritt oder nicht, wird
schwerlich einer von uns beiden festzustellen Gelegenheit haben. So rasch wird auch
nach meiner Überzeugung der Rückschlag kaum wirksam werden. Aber eine Unter¬
haltung wie die unsrige ist schließlich keine Parlamentsdebatte, in der nur Fragen
bon heute und morgen Beachtung und Gehör finden. Es lohnt sich immerhin, den
Lauf der Dinge auch einmal aus weiterem Abstände zu betrachten. Wer sich des
Abstandes bewußt bleibt, verfällt dadurch noch nicht der Weitsichtigkeit, vor der
Bismarck in dem neulich von mir erwähnten Briefe warnt.

Freilich, über solche Ausblicke zu strei ten, ist unfruchtbar. Lassen Sie mich
lieber das Mißverständnis aufklären, das meine abfällige Bemerkung über die „Ver-
Keistigung" der Politik und ihre unerfreulichen Folgen verschuldet hat. Sie wundern
sich bei mir über diese Scheu vor dem Geiste und fragen, ob ich eine Scheidewand
»wischen der Politik und dem geistigen Leben der Zeit aufrichten wollte. Wenn



*) Nachstehende .Bürokraten-Briefe" deZ bekannten Verfassers stammen aus dem
Mut.'r 191ö/2(1. Siehe auch .Grenzboten", Hefte 44/45 und 46.
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[0219] Bürokraten-Briefe aller gegen alle, wie er jetzt tobt, ist weder auf politischem noch aus wirtschaftlichem Gebiet eine Genesung möglich. Noch dürfen wir hoffen, daß die Gegenwart nur ein Qbergangsstadium ist, daß sich unser Volk wieder aufraffen und Eichendorffs Worte wahr machen wird: Gott hat uns vor anderen Gaben verliehen, die zur Erreichung der höchsten Ziele im Völkerleben befähigen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, die edlen Eigenschaften unseres Volkscharakters wieder zu entwickeln und in einmütigem Zu¬ sammenstehen das Gute aus der alten mit dem Berechtigten aus der neuen Zeit auf Politischen, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet in harter, aber fruchtbringender Arbeit an uns und unserem Volke zu vereinigen und zu läutern. Dann werden unsere Kinder und Enkel künftig vielleicht doch einmal in Erfüllung gehen sehen, was in seinem eingangs erwähnten Gedicht des Dichters Sehergabe prophetisch verheißt: „Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!" Bürokraten-Briefe*) Unterstaatssekretär a. D. Freiherr v. Falkenhausen von III. kiteraten-politik; die Politik der unbegrenzten Unmöglichkeiten Lasten wir die Zukunft! Ob meine Voraussage über das Zurückbleiben des Politischen Interesses und der demokratischen Hochflut eintritt oder nicht, wird schwerlich einer von uns beiden festzustellen Gelegenheit haben. So rasch wird auch nach meiner Überzeugung der Rückschlag kaum wirksam werden. Aber eine Unter¬ haltung wie die unsrige ist schließlich keine Parlamentsdebatte, in der nur Fragen bon heute und morgen Beachtung und Gehör finden. Es lohnt sich immerhin, den Lauf der Dinge auch einmal aus weiterem Abstände zu betrachten. Wer sich des Abstandes bewußt bleibt, verfällt dadurch noch nicht der Weitsichtigkeit, vor der Bismarck in dem neulich von mir erwähnten Briefe warnt. Freilich, über solche Ausblicke zu strei ten, ist unfruchtbar. Lassen Sie mich lieber das Mißverständnis aufklären, das meine abfällige Bemerkung über die „Ver- Keistigung" der Politik und ihre unerfreulichen Folgen verschuldet hat. Sie wundern sich bei mir über diese Scheu vor dem Geiste und fragen, ob ich eine Scheidewand »wischen der Politik und dem geistigen Leben der Zeit aufrichten wollte. Wenn *) Nachstehende .Bürokraten-Briefe" deZ bekannten Verfassers stammen aus dem Mut.'r 191ö/2(1. Siehe auch .Grenzboten", Hefte 44/45 und 46.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/219>, abgerufen am 01.05.2024.