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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß und französische Agenten

Vor 2 >/, Jahren entschlüpfte. Der "Vorwärts" zitierte vor wenigen Tagen Aus¬
führungen des Wiener Genossen Max Adler über die ,/Tro.git" des Sozialismus.
Er brachte im Sperrdruck die Feststellung, daß der Sozialisnivs von Karl Marx
ein Verteilungsprinzip sei und daß tragische, weise im Augenblick seines Sieges
dieser Sozialismus die Scheuern leer finde, die ihm die produktiven Kräfte des
Kapitalismus programmäßig wohlgefüllt hätten vererben sollen.

Wir sehen hier keine Tragik, sondern die furchtbare Gerechtigkeit der
Geschichte. Wie sich an den nachrevolutionären Machthabern ihre jahrzehntelange
Verhetzungsarbeit, ihre Untergrabung der Staatsautorität und ihre Echlaraffen-
ideale leerer Arbeitseinschränkung gerächt haben, so hat sich am ganzen Proletariat
gerächt, daß sein Sozialismus sich mit der negativen Lehre von Karl Marx be¬
gnüg, e. Wir geben dem Sozialisuius gern zu, daß es keine günstigen Bedin¬
gungen sind, unter denen er heute jahrzehntelange Versäumnisse nachzuholen sucht.
Ohne Schadenfreude, aber auch ohne rührseliges Mitleid verzeichnen wir im
deutschen wie im russischen Sozialismus den Rückgriff auf die früher so ver¬
ketzerten kapitalistischen Produktionsmethoden. Die Krisis der sozialistischen
Parteien kommt aus dem Bankerott des Marxismus. In der Abkehr von Marx,
in der Hinwendung von der Klasse zum Volk, von Verteilungsgier zu Produktions¬
verantwortung liegen die einzigen Möglichkeiten einer Gesundung des deutschen
Sozialismus. Diese Gesundung aber kann nie und nimmer "beschlossen" oder
von außen übernommen werden, sie ist eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen
deutschen Sozialisten, sie ist durch und durch eine Frage des deutschen Volkes


Max Hildebert Bochen.


Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß
und französische Agenten

Am 7. Oktober veröffentlichte "Homme libre" folgenden Artikel, der für die
französische Politik Deutschland gegenüber in mehrfacher Hinsicht kennzeichnend ist:

Homme libre 7.1(1. Die Stunde der Wiedergutmachungen. "Deutschland
verschleiert einen offensichtlichen Wohlstand": Ist das Deutschland der Sach-
ve> ständigen und der Diplomaten das arme Deutschland, das durch den Krieg ruinierte,
wirklich dem Bankrott so nahe? Nach dem Gutachten der Deutschen zu urteilen, gewiß, aber
^as sind nur für das Bedürfnis der Zwecke aufgestellte Rechnungen. In Wirklichkeit ist die
Wirtschaftslage Deutschlands besser: Beispielsweise erfahren wir durch eine gestrige Depesche,
°afj die Kohlenförderung bedeutend zunimmt. Während des ersten Halbjahres 1920 war
"er Ertrag der deutsch gebliebenen Bergwerke 200 500 000 t gegen 172 30" 000 t im ersten
Halbjahr 1919, d. h. ungefähr 28 Millionen mehr. Einer der berufensten Sachverständigen,
°er Ingenieur Denis, welcher Frankreich bei der Kvhlenvcrteilungskommission in Berlin
vertritt, sagt darüber: Die Kohlenförderung Schlesiens beläuft sich dieses Jahr auf
°" Millionen Tonnen, Deutschland hat sich das Recht vorbehalten, den Kohlenbedarf seiner
^senbahnen, Elektrizitätswerke, Gasanstalten und Kunstdüngerfabrikcn vollständig zu decken.
Alle diese industriellen Unternehmungen erhalten soviel Kohle, wie sie anfordern, volle 100
j^e übrige Industrie erhält 65 °/> und darüber. Gegenwärtig könnte Deutschland leicht Frankreich
°le von der Wiedergutmachungbkommission vorgesehene Tonnenmcnge und selbst die im Friedens¬
vertrag festgesetzte Menge leisten. Ihre Herabsetzung in SPa war meiner Ansicht nach ein
Micr und eine Ungerechtigkeit gegenüber den französischen Interessen. Mit Hilfe dieser
^?hlenversorgung hat die deutsche Industrie begonnen, in größtem Umfange ihre Tätigkeit
w'rder aufzunehmen. Man könnte an einen Rohstoffmangel glauben, aber die deutsche Regierung
v"t während dieses Jahres 60 -- 70 Milliarden Papiergeld ausgegeben, und damit hat sich
Deutschland für 15 Milliarden Rohstoffe und Waren verschafft. Es hat gleichzeitig soviel
'"vustriclle Werte geschaffen, daß seine Wirtschaftsbilanz aus einer negativen eine positive
geworden ist, und sein Export im Mai seinen Import um 1 Milliarde überstiegen hat. Obwohl
M seine Lage günstiger ist als die Frankreichs, dessen Handelsbilanz passiv blieb, fährt das
putsche Volk fort, ein falsches Elend zu heucheln, wodurch sich niemand rühren lassen sollte,
can wird vielleicht sagen, daß die deutsche Großindustrie darauf gefaßt sein muß, an Steuern


Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß und französische Agenten

Vor 2 >/, Jahren entschlüpfte. Der „Vorwärts" zitierte vor wenigen Tagen Aus¬
führungen des Wiener Genossen Max Adler über die ,/Tro.git" des Sozialismus.
Er brachte im Sperrdruck die Feststellung, daß der Sozialisnivs von Karl Marx
ein Verteilungsprinzip sei und daß tragische, weise im Augenblick seines Sieges
dieser Sozialismus die Scheuern leer finde, die ihm die produktiven Kräfte des
Kapitalismus programmäßig wohlgefüllt hätten vererben sollen.

Wir sehen hier keine Tragik, sondern die furchtbare Gerechtigkeit der
Geschichte. Wie sich an den nachrevolutionären Machthabern ihre jahrzehntelange
Verhetzungsarbeit, ihre Untergrabung der Staatsautorität und ihre Echlaraffen-
ideale leerer Arbeitseinschränkung gerächt haben, so hat sich am ganzen Proletariat
gerächt, daß sein Sozialismus sich mit der negativen Lehre von Karl Marx be¬
gnüg, e. Wir geben dem Sozialisuius gern zu, daß es keine günstigen Bedin¬
gungen sind, unter denen er heute jahrzehntelange Versäumnisse nachzuholen sucht.
Ohne Schadenfreude, aber auch ohne rührseliges Mitleid verzeichnen wir im
deutschen wie im russischen Sozialismus den Rückgriff auf die früher so ver¬
ketzerten kapitalistischen Produktionsmethoden. Die Krisis der sozialistischen
Parteien kommt aus dem Bankerott des Marxismus. In der Abkehr von Marx,
in der Hinwendung von der Klasse zum Volk, von Verteilungsgier zu Produktions¬
verantwortung liegen die einzigen Möglichkeiten einer Gesundung des deutschen
Sozialismus. Diese Gesundung aber kann nie und nimmer „beschlossen" oder
von außen übernommen werden, sie ist eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen
deutschen Sozialisten, sie ist durch und durch eine Frage des deutschen Volkes


Max Hildebert Bochen.


Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß
und französische Agenten

Am 7. Oktober veröffentlichte „Homme libre" folgenden Artikel, der für die
französische Politik Deutschland gegenüber in mehrfacher Hinsicht kennzeichnend ist:

Homme libre 7.1(1. Die Stunde der Wiedergutmachungen. „Deutschland
verschleiert einen offensichtlichen Wohlstand": Ist das Deutschland der Sach-
ve> ständigen und der Diplomaten das arme Deutschland, das durch den Krieg ruinierte,
wirklich dem Bankrott so nahe? Nach dem Gutachten der Deutschen zu urteilen, gewiß, aber
^as sind nur für das Bedürfnis der Zwecke aufgestellte Rechnungen. In Wirklichkeit ist die
Wirtschaftslage Deutschlands besser: Beispielsweise erfahren wir durch eine gestrige Depesche,
°afj die Kohlenförderung bedeutend zunimmt. Während des ersten Halbjahres 1920 war
«er Ertrag der deutsch gebliebenen Bergwerke 200 500 000 t gegen 172 30» 000 t im ersten
Halbjahr 1919, d. h. ungefähr 28 Millionen mehr. Einer der berufensten Sachverständigen,
°er Ingenieur Denis, welcher Frankreich bei der Kvhlenvcrteilungskommission in Berlin
vertritt, sagt darüber: Die Kohlenförderung Schlesiens beläuft sich dieses Jahr auf
°« Millionen Tonnen, Deutschland hat sich das Recht vorbehalten, den Kohlenbedarf seiner
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Alle diese industriellen Unternehmungen erhalten soviel Kohle, wie sie anfordern, volle 100
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Micr und eine Ungerechtigkeit gegenüber den französischen Interessen. Mit Hilfe dieser
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Deutschland für 15 Milliarden Rohstoffe und Waren verschafft. Es hat gleichzeitig soviel
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geworden ist, und sein Export im Mai seinen Import um 1 Milliarde überstiegen hat. Obwohl
M seine Lage günstiger ist als die Frankreichs, dessen Handelsbilanz passiv blieb, fährt das
putsche Volk fort, ein falsches Elend zu heucheln, wodurch sich niemand rühren lassen sollte,
can wird vielleicht sagen, daß die deutsche Großindustrie darauf gefaßt sein muß, an Steuern


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[0095] Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß und französische Agenten Vor 2 >/, Jahren entschlüpfte. Der „Vorwärts" zitierte vor wenigen Tagen Aus¬ führungen des Wiener Genossen Max Adler über die ,/Tro.git" des Sozialismus. Er brachte im Sperrdruck die Feststellung, daß der Sozialisnivs von Karl Marx ein Verteilungsprinzip sei und daß tragische, weise im Augenblick seines Sieges dieser Sozialismus die Scheuern leer finde, die ihm die produktiven Kräfte des Kapitalismus programmäßig wohlgefüllt hätten vererben sollen. Wir sehen hier keine Tragik, sondern die furchtbare Gerechtigkeit der Geschichte. Wie sich an den nachrevolutionären Machthabern ihre jahrzehntelange Verhetzungsarbeit, ihre Untergrabung der Staatsautorität und ihre Echlaraffen- ideale leerer Arbeitseinschränkung gerächt haben, so hat sich am ganzen Proletariat gerächt, daß sein Sozialismus sich mit der negativen Lehre von Karl Marx be¬ gnüg, e. Wir geben dem Sozialisuius gern zu, daß es keine günstigen Bedin¬ gungen sind, unter denen er heute jahrzehntelange Versäumnisse nachzuholen sucht. Ohne Schadenfreude, aber auch ohne rührseliges Mitleid verzeichnen wir im deutschen wie im russischen Sozialismus den Rückgriff auf die früher so ver¬ ketzerten kapitalistischen Produktionsmethoden. Die Krisis der sozialistischen Parteien kommt aus dem Bankerott des Marxismus. In der Abkehr von Marx, in der Hinwendung von der Klasse zum Volk, von Verteilungsgier zu Produktions¬ verantwortung liegen die einzigen Möglichkeiten einer Gesundung des deutschen Sozialismus. Diese Gesundung aber kann nie und nimmer „beschlossen" oder von außen übernommen werden, sie ist eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen deutschen Sozialisten, sie ist durch und durch eine Frage des deutschen Volkes Max Hildebert Bochen. Deutschlands Wohlstand, Franzosenhaß und französische Agenten Am 7. Oktober veröffentlichte „Homme libre" folgenden Artikel, der für die französische Politik Deutschland gegenüber in mehrfacher Hinsicht kennzeichnend ist: Homme libre 7.1(1. Die Stunde der Wiedergutmachungen. „Deutschland verschleiert einen offensichtlichen Wohlstand": Ist das Deutschland der Sach- ve> ständigen und der Diplomaten das arme Deutschland, das durch den Krieg ruinierte, wirklich dem Bankrott so nahe? Nach dem Gutachten der Deutschen zu urteilen, gewiß, aber ^as sind nur für das Bedürfnis der Zwecke aufgestellte Rechnungen. In Wirklichkeit ist die Wirtschaftslage Deutschlands besser: Beispielsweise erfahren wir durch eine gestrige Depesche, °afj die Kohlenförderung bedeutend zunimmt. Während des ersten Halbjahres 1920 war «er Ertrag der deutsch gebliebenen Bergwerke 200 500 000 t gegen 172 30» 000 t im ersten Halbjahr 1919, d. h. ungefähr 28 Millionen mehr. Einer der berufensten Sachverständigen, °er Ingenieur Denis, welcher Frankreich bei der Kvhlenvcrteilungskommission in Berlin vertritt, sagt darüber: Die Kohlenförderung Schlesiens beläuft sich dieses Jahr auf °« Millionen Tonnen, Deutschland hat sich das Recht vorbehalten, den Kohlenbedarf seiner ^senbahnen, Elektrizitätswerke, Gasanstalten und Kunstdüngerfabrikcn vollständig zu decken. Alle diese industriellen Unternehmungen erhalten soviel Kohle, wie sie anfordern, volle 100 j^e übrige Industrie erhält 65 °/> und darüber. Gegenwärtig könnte Deutschland leicht Frankreich °le von der Wiedergutmachungbkommission vorgesehene Tonnenmcnge und selbst die im Friedens¬ vertrag festgesetzte Menge leisten. Ihre Herabsetzung in SPa war meiner Ansicht nach ein Micr und eine Ungerechtigkeit gegenüber den französischen Interessen. Mit Hilfe dieser ^?hlenversorgung hat die deutsche Industrie begonnen, in größtem Umfange ihre Tätigkeit w'rder aufzunehmen. Man könnte an einen Rohstoffmangel glauben, aber die deutsche Regierung v«t während dieses Jahres 60 — 70 Milliarden Papiergeld ausgegeben, und damit hat sich Deutschland für 15 Milliarden Rohstoffe und Waren verschafft. Es hat gleichzeitig soviel '"vustriclle Werte geschaffen, daß seine Wirtschaftsbilanz aus einer negativen eine positive geworden ist, und sein Export im Mai seinen Import um 1 Milliarde überstiegen hat. Obwohl M seine Lage günstiger ist als die Frankreichs, dessen Handelsbilanz passiv blieb, fährt das putsche Volk fort, ein falsches Elend zu heucheln, wodurch sich niemand rühren lassen sollte, can wird vielleicht sagen, daß die deutsche Großindustrie darauf gefaßt sein muß, an Steuern

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/95>, abgerufen am 01.05.2024.