Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und neues Heer

Bücherbesitz des Hohenzollernhauses sind. Die Leichtfertigkeit, mit der er sein
Urteil abgegeben hat, müßte die Leser seines Buches auch im Hinblick auf die Be¬
wertung des übrigen Inhalts bedenklich machen. Es ist nicht meine Aufgabe, es
in allen Teilen nachzuprüfen. Hier aber handelte es sich nicht nur um die Hohen-
zollern, sondern ich sprach auch in eigener Sache, in der Wohl zu verstehenden
Abwehr der Annahme des Herrn Heinig, meine Lebensarbeit habe einem "Bücher-
friedhof" gegolten.




Altes und neues Heer
von einem jungen Frontoffizier
XIII. Reichsmarinewerden
I.

as deutsche Volk ist seiner Geschichte nach ein Kontinentalvolk. Damit
ist die Ahnungslosigkeit seiner Führer und der Masse, seiner Poli¬
tiker und seiner Militärs, seiner Intellektuellen und seiner Hand¬
arbeiter von den Kräften, die in einer Handels- oder Kriegsmarine
wirken, von der Psyche des Seemanns überhaupt, des Kriegs¬
marinesoldaten im besonderen -- begründet. Der Wille, sich entsprechend dem
Wachsen des deutschen Welthandels nach 1870 eine schützende Seemacht zu schaffen
-- dieser Wille allein genügte nicht, die Kriegsmarine im Bewußtsein des Deutschen
zu verankern. Sie ist der Mehrzahl des Volkes ein Fremdkörper; ihre Not-
Wendigkeit und noch mehr ihre innere Struktur wird höchstens instinktiv und ober¬
flächlich erfaßt. Es fehlt dem deutschen Marinegedanken die Tradition des eng¬
lischen; dem deutschen Volk die Kenntnis der Marinepsychose.


Marinepsychose

Das Leben des Seemanns -- das innere und äußere Erleben -- ist un¬
endlich wechselreich. Das allein würde ihn nicht zum Typ eines Menschen machen,
in dem die größten Gegensätze wie brüllende, sich überschlagende Wellen wogen,
eine jede von elementarer Wucht aus der Tiefe des Menschen aufbrodelnd. Es
sind die wahnsinnigen Kontraste, die bereits von frühester Jugend an auf den
jungen Seemann einbrechen. Der Beruf bringt Stunden langen Nichtstuns und
unerhörter Arbeit, Stunden sich jagender Taten und verzweifelter Langeweile,
Stunden, die alle Kräfte zu höchster Entfaltung peitschen und Stunden unendlichen
Stumpfsinns. Persönlichkeit, Verantwortungsgefühl, Selbständigkeit und Selbst.
Herrlichkeit entwickelt dieser Beruf unnatürlich schnell. Die Enge des Bordlebens


Grenzboten IV 1921 10
Altes und neues Heer

Bücherbesitz des Hohenzollernhauses sind. Die Leichtfertigkeit, mit der er sein
Urteil abgegeben hat, müßte die Leser seines Buches auch im Hinblick auf die Be¬
wertung des übrigen Inhalts bedenklich machen. Es ist nicht meine Aufgabe, es
in allen Teilen nachzuprüfen. Hier aber handelte es sich nicht nur um die Hohen-
zollern, sondern ich sprach auch in eigener Sache, in der Wohl zu verstehenden
Abwehr der Annahme des Herrn Heinig, meine Lebensarbeit habe einem „Bücher-
friedhof" gegolten.




Altes und neues Heer
von einem jungen Frontoffizier
XIII. Reichsmarinewerden
I.

as deutsche Volk ist seiner Geschichte nach ein Kontinentalvolk. Damit
ist die Ahnungslosigkeit seiner Führer und der Masse, seiner Poli¬
tiker und seiner Militärs, seiner Intellektuellen und seiner Hand¬
arbeiter von den Kräften, die in einer Handels- oder Kriegsmarine
wirken, von der Psyche des Seemanns überhaupt, des Kriegs¬
marinesoldaten im besonderen — begründet. Der Wille, sich entsprechend dem
Wachsen des deutschen Welthandels nach 1870 eine schützende Seemacht zu schaffen
— dieser Wille allein genügte nicht, die Kriegsmarine im Bewußtsein des Deutschen
zu verankern. Sie ist der Mehrzahl des Volkes ein Fremdkörper; ihre Not-
Wendigkeit und noch mehr ihre innere Struktur wird höchstens instinktiv und ober¬
flächlich erfaßt. Es fehlt dem deutschen Marinegedanken die Tradition des eng¬
lischen; dem deutschen Volk die Kenntnis der Marinepsychose.


Marinepsychose

Das Leben des Seemanns — das innere und äußere Erleben — ist un¬
endlich wechselreich. Das allein würde ihn nicht zum Typ eines Menschen machen,
in dem die größten Gegensätze wie brüllende, sich überschlagende Wellen wogen,
eine jede von elementarer Wucht aus der Tiefe des Menschen aufbrodelnd. Es
sind die wahnsinnigen Kontraste, die bereits von frühester Jugend an auf den
jungen Seemann einbrechen. Der Beruf bringt Stunden langen Nichtstuns und
unerhörter Arbeit, Stunden sich jagender Taten und verzweifelter Langeweile,
Stunden, die alle Kräfte zu höchster Entfaltung peitschen und Stunden unendlichen
Stumpfsinns. Persönlichkeit, Verantwortungsgefühl, Selbständigkeit und Selbst.
Herrlichkeit entwickelt dieser Beruf unnatürlich schnell. Die Enge des Bordlebens


Grenzboten IV 1921 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339702"/>
          <fw type="header" place="top"> Altes und neues Heer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_617" prev="#ID_616"> Bücherbesitz des Hohenzollernhauses sind. Die Leichtfertigkeit, mit der er sein<lb/>
Urteil abgegeben hat, müßte die Leser seines Buches auch im Hinblick auf die Be¬<lb/>
wertung des übrigen Inhalts bedenklich machen. Es ist nicht meine Aufgabe, es<lb/>
in allen Teilen nachzuprüfen. Hier aber handelte es sich nicht nur um die Hohen-<lb/>
zollern, sondern ich sprach auch in eigener Sache, in der Wohl zu verstehenden<lb/>
Abwehr der Annahme des Herrn Heinig, meine Lebensarbeit habe einem &#x201E;Bücher-<lb/>
friedhof" gegolten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Altes und neues Heer<lb/><note type="byline"> von einem jungen Frontoffizier</note></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> XIII. Reichsmarinewerden</head><lb/>
            <div n="3">
              <head> I.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_618"> as deutsche Volk ist seiner Geschichte nach ein Kontinentalvolk. Damit<lb/>
ist die Ahnungslosigkeit seiner Führer und der Masse, seiner Poli¬<lb/>
tiker und seiner Militärs, seiner Intellektuellen und seiner Hand¬<lb/>
arbeiter von den Kräften, die in einer Handels- oder Kriegsmarine<lb/>
wirken, von der Psyche des Seemanns überhaupt, des Kriegs¬<lb/>
marinesoldaten im besonderen &#x2014; begründet. Der Wille, sich entsprechend dem<lb/>
Wachsen des deutschen Welthandels nach 1870 eine schützende Seemacht zu schaffen<lb/>
&#x2014; dieser Wille allein genügte nicht, die Kriegsmarine im Bewußtsein des Deutschen<lb/>
zu verankern. Sie ist der Mehrzahl des Volkes ein Fremdkörper; ihre Not-<lb/>
Wendigkeit und noch mehr ihre innere Struktur wird höchstens instinktiv und ober¬<lb/>
flächlich erfaßt. Es fehlt dem deutschen Marinegedanken die Tradition des eng¬<lb/>
lischen; dem deutschen Volk die Kenntnis der Marinepsychose.</p><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> Marinepsychose</head><lb/>
              <p xml:id="ID_619" next="#ID_620"> Das Leben des Seemanns &#x2014; das innere und äußere Erleben &#x2014; ist un¬<lb/>
endlich wechselreich. Das allein würde ihn nicht zum Typ eines Menschen machen,<lb/>
in dem die größten Gegensätze wie brüllende, sich überschlagende Wellen wogen,<lb/>
eine jede von elementarer Wucht aus der Tiefe des Menschen aufbrodelnd. Es<lb/>
sind die wahnsinnigen Kontraste, die bereits von frühester Jugend an auf den<lb/>
jungen Seemann einbrechen. Der Beruf bringt Stunden langen Nichtstuns und<lb/>
unerhörter Arbeit, Stunden sich jagender Taten und verzweifelter Langeweile,<lb/>
Stunden, die alle Kräfte zu höchster Entfaltung peitschen und Stunden unendlichen<lb/>
Stumpfsinns. Persönlichkeit, Verantwortungsgefühl, Selbständigkeit und Selbst.<lb/>
Herrlichkeit entwickelt dieser Beruf unnatürlich schnell. Die Enge des Bordlebens</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1921 10</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] Altes und neues Heer Bücherbesitz des Hohenzollernhauses sind. Die Leichtfertigkeit, mit der er sein Urteil abgegeben hat, müßte die Leser seines Buches auch im Hinblick auf die Be¬ wertung des übrigen Inhalts bedenklich machen. Es ist nicht meine Aufgabe, es in allen Teilen nachzuprüfen. Hier aber handelte es sich nicht nur um die Hohen- zollern, sondern ich sprach auch in eigener Sache, in der Wohl zu verstehenden Abwehr der Annahme des Herrn Heinig, meine Lebensarbeit habe einem „Bücher- friedhof" gegolten. Altes und neues Heer von einem jungen Frontoffizier XIII. Reichsmarinewerden I. as deutsche Volk ist seiner Geschichte nach ein Kontinentalvolk. Damit ist die Ahnungslosigkeit seiner Führer und der Masse, seiner Poli¬ tiker und seiner Militärs, seiner Intellektuellen und seiner Hand¬ arbeiter von den Kräften, die in einer Handels- oder Kriegsmarine wirken, von der Psyche des Seemanns überhaupt, des Kriegs¬ marinesoldaten im besonderen — begründet. Der Wille, sich entsprechend dem Wachsen des deutschen Welthandels nach 1870 eine schützende Seemacht zu schaffen — dieser Wille allein genügte nicht, die Kriegsmarine im Bewußtsein des Deutschen zu verankern. Sie ist der Mehrzahl des Volkes ein Fremdkörper; ihre Not- Wendigkeit und noch mehr ihre innere Struktur wird höchstens instinktiv und ober¬ flächlich erfaßt. Es fehlt dem deutschen Marinegedanken die Tradition des eng¬ lischen; dem deutschen Volk die Kenntnis der Marinepsychose. Marinepsychose Das Leben des Seemanns — das innere und äußere Erleben — ist un¬ endlich wechselreich. Das allein würde ihn nicht zum Typ eines Menschen machen, in dem die größten Gegensätze wie brüllende, sich überschlagende Wellen wogen, eine jede von elementarer Wucht aus der Tiefe des Menschen aufbrodelnd. Es sind die wahnsinnigen Kontraste, die bereits von frühester Jugend an auf den jungen Seemann einbrechen. Der Beruf bringt Stunden langen Nichtstuns und unerhörter Arbeit, Stunden sich jagender Taten und verzweifelter Langeweile, Stunden, die alle Kräfte zu höchster Entfaltung peitschen und Stunden unendlichen Stumpfsinns. Persönlichkeit, Verantwortungsgefühl, Selbständigkeit und Selbst. Herrlichkeit entwickelt dieser Beruf unnatürlich schnell. Die Enge des Bordlebens Grenzboten IV 1921 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/153>, abgerufen am 28.04.2024.