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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Der dritte Band von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Stresemanns Stelle in die im übrigen ja drehbare Koalition (worunter die
Franzosen stets denjenigen Teil der Deutschen verstehen, der ihnen auf die be¬
quemste Art den Büttel gegen die andern macht). Deutsche Beamte werden eifrig,
wie Simons' Zöllner an der Sanktionenzollgrenze, aufspüren, wo das -- vom
Feind einem einig obstruierenden Deutschland gegenüber schwer greifbare -- letzte
Restchen Kraft und Wiederaufbaumöglichkeit da und dort hervorgezerrt und aus¬
geliefert werden kann. Deutschland wird aratrum pari, wie eroberte antike
Städte die Pflugschar über die Werkstatt seines Lebens ziehen sehen.


3.

Die Fraktionen des Reichstages stolzieren in sich selbst vertieft jede um die
andere herum und lehnen sich an diese oder jene Fremdmacht an, wie die deutschen
Landesherren des siebzehnten Jahrhunderts. Die sozialdemokratische Partei
Deutschlands ist für eine Koalitionsbildung viel zu unsicher; daß sie bei dem
nächsten Überfall der Franzosen von Stinnes abrückt und zur Verschwisterung mit
Breitscheid und eifriger Opferung neuer deutscher Substanz umfällt, ist leider
so gut wie sicher, auch wenn sich ihre zweifellos gutgläubigen Führer dies
heute noch gar nicht vorstellen können. Aus dem Eintritt der Volkspartei in die
Regierung ist also ein Nutzen für die Nation nicht zu ersehen, solange England
nur Eckardtsteinsche Orakelsprüche von sich gibt. England kann deutlich sprechen,
wenn eS will. Folglich will es nicht, denn es spricht nicht deutlich.

Wir haben die unbedeckte Rückseite der kiäss britannica gesehen. Wir
glauben bis zum strikten Beweis des Gegenteiles nicht, daß die angelsächsischen
Brüder auf fliegenden Rossen heranstürmen werden, um uns aus den Händen
des französischen Blaubarts zu erretten. Wir mißtrauen tief, und wenn wir auch
anerkennen, daß es zurzeit für uns Erleichterungen bedeuten würde, wenn wir
eine englische Kolonie würden, so glauben wir an eine ernsthafte Besserung doch
nur von dem Augenblick an. da unser stumpfes Volk seine ganze Lage fühlt und
in die Stunde des Gelöbnisses tritt, keinem Feind mehr gegen sich selber zu dienen.




Der dritte Band von Bismarcks Gedanken
und Erinnerungen
Professor Dr. Fritz Härtung von

ach langer Verzögerung, die durch die Einmischung des auch hier
schlecht beratenen Kaisers hervorgerufen worden ist, liegt der dritte
Band der Gedanken und Erinnerungen nunmehr auch dem deutschen
Volke vor. Aus dem Ausland, das ihn schon seit längerer Zeit
kannte, war bereits allerhand aus dem Inhalt durchgesickert; und
mancher, der daraufhin pikante Indiskretionen erwartet hat, wird das Buch
wohl enttäuscht aus der Hand legen. Denn wesentlich Neues erfahren wir nun
nicht mehr.


Der dritte Band von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Stresemanns Stelle in die im übrigen ja drehbare Koalition (worunter die
Franzosen stets denjenigen Teil der Deutschen verstehen, der ihnen auf die be¬
quemste Art den Büttel gegen die andern macht). Deutsche Beamte werden eifrig,
wie Simons' Zöllner an der Sanktionenzollgrenze, aufspüren, wo das — vom
Feind einem einig obstruierenden Deutschland gegenüber schwer greifbare — letzte
Restchen Kraft und Wiederaufbaumöglichkeit da und dort hervorgezerrt und aus¬
geliefert werden kann. Deutschland wird aratrum pari, wie eroberte antike
Städte die Pflugschar über die Werkstatt seines Lebens ziehen sehen.


3.

Die Fraktionen des Reichstages stolzieren in sich selbst vertieft jede um die
andere herum und lehnen sich an diese oder jene Fremdmacht an, wie die deutschen
Landesherren des siebzehnten Jahrhunderts. Die sozialdemokratische Partei
Deutschlands ist für eine Koalitionsbildung viel zu unsicher; daß sie bei dem
nächsten Überfall der Franzosen von Stinnes abrückt und zur Verschwisterung mit
Breitscheid und eifriger Opferung neuer deutscher Substanz umfällt, ist leider
so gut wie sicher, auch wenn sich ihre zweifellos gutgläubigen Führer dies
heute noch gar nicht vorstellen können. Aus dem Eintritt der Volkspartei in die
Regierung ist also ein Nutzen für die Nation nicht zu ersehen, solange England
nur Eckardtsteinsche Orakelsprüche von sich gibt. England kann deutlich sprechen,
wenn eS will. Folglich will es nicht, denn es spricht nicht deutlich.

Wir haben die unbedeckte Rückseite der kiäss britannica gesehen. Wir
glauben bis zum strikten Beweis des Gegenteiles nicht, daß die angelsächsischen
Brüder auf fliegenden Rossen heranstürmen werden, um uns aus den Händen
des französischen Blaubarts zu erretten. Wir mißtrauen tief, und wenn wir auch
anerkennen, daß es zurzeit für uns Erleichterungen bedeuten würde, wenn wir
eine englische Kolonie würden, so glauben wir an eine ernsthafte Besserung doch
nur von dem Augenblick an. da unser stumpfes Volk seine ganze Lage fühlt und
in die Stunde des Gelöbnisses tritt, keinem Feind mehr gegen sich selber zu dienen.




Der dritte Band von Bismarcks Gedanken
und Erinnerungen
Professor Dr. Fritz Härtung von

ach langer Verzögerung, die durch die Einmischung des auch hier
schlecht beratenen Kaisers hervorgerufen worden ist, liegt der dritte
Band der Gedanken und Erinnerungen nunmehr auch dem deutschen
Volke vor. Aus dem Ausland, das ihn schon seit längerer Zeit
kannte, war bereits allerhand aus dem Inhalt durchgesickert; und
mancher, der daraufhin pikante Indiskretionen erwartet hat, wird das Buch
wohl enttäuscht aus der Hand legen. Denn wesentlich Neues erfahren wir nun
nicht mehr.


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[0172] Der dritte Band von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Stresemanns Stelle in die im übrigen ja drehbare Koalition (worunter die Franzosen stets denjenigen Teil der Deutschen verstehen, der ihnen auf die be¬ quemste Art den Büttel gegen die andern macht). Deutsche Beamte werden eifrig, wie Simons' Zöllner an der Sanktionenzollgrenze, aufspüren, wo das — vom Feind einem einig obstruierenden Deutschland gegenüber schwer greifbare — letzte Restchen Kraft und Wiederaufbaumöglichkeit da und dort hervorgezerrt und aus¬ geliefert werden kann. Deutschland wird aratrum pari, wie eroberte antike Städte die Pflugschar über die Werkstatt seines Lebens ziehen sehen. 3. Die Fraktionen des Reichstages stolzieren in sich selbst vertieft jede um die andere herum und lehnen sich an diese oder jene Fremdmacht an, wie die deutschen Landesherren des siebzehnten Jahrhunderts. Die sozialdemokratische Partei Deutschlands ist für eine Koalitionsbildung viel zu unsicher; daß sie bei dem nächsten Überfall der Franzosen von Stinnes abrückt und zur Verschwisterung mit Breitscheid und eifriger Opferung neuer deutscher Substanz umfällt, ist leider so gut wie sicher, auch wenn sich ihre zweifellos gutgläubigen Führer dies heute noch gar nicht vorstellen können. Aus dem Eintritt der Volkspartei in die Regierung ist also ein Nutzen für die Nation nicht zu ersehen, solange England nur Eckardtsteinsche Orakelsprüche von sich gibt. England kann deutlich sprechen, wenn eS will. Folglich will es nicht, denn es spricht nicht deutlich. Wir haben die unbedeckte Rückseite der kiäss britannica gesehen. Wir glauben bis zum strikten Beweis des Gegenteiles nicht, daß die angelsächsischen Brüder auf fliegenden Rossen heranstürmen werden, um uns aus den Händen des französischen Blaubarts zu erretten. Wir mißtrauen tief, und wenn wir auch anerkennen, daß es zurzeit für uns Erleichterungen bedeuten würde, wenn wir eine englische Kolonie würden, so glauben wir an eine ernsthafte Besserung doch nur von dem Augenblick an. da unser stumpfes Volk seine ganze Lage fühlt und in die Stunde des Gelöbnisses tritt, keinem Feind mehr gegen sich selber zu dienen. Der dritte Band von Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Professor Dr. Fritz Härtung von ach langer Verzögerung, die durch die Einmischung des auch hier schlecht beratenen Kaisers hervorgerufen worden ist, liegt der dritte Band der Gedanken und Erinnerungen nunmehr auch dem deutschen Volke vor. Aus dem Ausland, das ihn schon seit längerer Zeit kannte, war bereits allerhand aus dem Inhalt durchgesickert; und mancher, der daraufhin pikante Indiskretionen erwartet hat, wird das Buch wohl enttäuscht aus der Hand legen. Denn wesentlich Neues erfahren wir nun nicht mehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/172>, abgerufen am 28.04.2024.