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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Einwanderern drohen, gewürdigt. Der letzte, von G. Zopfi, schildert mit rücksichts¬
loser Konsequenz und einem Freimut, wie wir, sie bei reichsdeutschen Politikern
leider nicht zu oft begegnen, die Gefahren, die der echten Demokratie von der
extremen Demokratie drohen. Etwas aus dem Zusammenhang des Ganzen fällt
der Aufsatz des Wiener Sozialisten Prof. L. M. Hartmann "Die Anschlußfrage
in Osterreich". Zwar bedeutet es auch ein Stück aus dem notwendigen Kampf
gegen den Völkerbund, wenn hier das Eingreifen der Entente gegen den Anschluß
geschildert wird. Und man darf sagen, es muß weit gekommen sein, wenn ein
Sozialist sich genötigt sieht, wie hier Hartmann, das Geständnis abzulegen: "Im
Auslande glaubt man alle Erscheinungen, die deutlich genug die Unmöglichkeit
des gegenwärtigen Zustands dartun, mit der Annahme alldeutscher Machenschaften
und Kulissenschiebereien abtun zu können. Es gibt Demokraten, die ihr Gewissen
mit dieser Phrase beruhigen." Aber es ist Verschwendung, wenn Hartmann sich
dann doch in breiten Angriffen gegen die Bismarcksche Politik ergeht, von der
"Bismarckschen Ideologie" spricht, überflüssige Seitenhiebe gegen die österreichischen
Deutschncitionalen austeilt und alles Gute nur von der "Demokratie" herleitet
und nur ihr dienstbar machen will. Er mag Wohl geglaubt haben, in einem
Schweizer Organ in diesem alten demokratischen Jargon, wie ihn die Westmächte
bei uns verlangen, reden zu müssen. Allein die Schweizer Leser der "Monats¬
hefte" sind über solche Kinderkrankheiten hinaus; sie werden darüber lächeln. Zur
Widerlegung Hartmanns sei ans die knappe Darstellung des Werks von 1866--71
hingewiesen, die der Marburger Privatdozent S. Köhler in den "Preußischen
Jahrbüchern" Bd. 185, S. 32 ff. kürzlich gegeben hat.

Zum Schluß sei notiert, daß der Herausgeber der Monatshefte, Dr. Osler,
eine eindrucksvolle Kritik des Völkerbunds in einer besonderen kleinen Schrift
"Das Ergebnis von Genf" (Otter fSchweiz^, Verlag von Otto Walter) gegeben hat.




Hölderlin
Dr. Peters von

leur im Kreislauf der Zeiten ein- oder anderthalb Jahrhunderte
dahingcrauscht sind, so erwachen für eine kurze Spanne Zeit unsere
großen Meister aus dem ehernen Schlafe ihrer Klassizität und
trinken für wenige Tage oder Monde von dem belebenden Blute
der allgemeinen Aufmerksamkeit der Nachwelt. Schnell genug
ist der schemenhafte Zug durch Zeitungen und illustrierte Blätter vollendet, und
und wieder versinkt das Haupt im Tode, der oft bitterer ist, als der leibliche,
denn es ist die tödliche Undankbarkeit und Gleichgültigkeit der Nachkommen
ihres Volkes, für das sie gelebt und gewirkt haben. Das kaleidoskopartige Bild


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Hölderlin

Einwanderern drohen, gewürdigt. Der letzte, von G. Zopfi, schildert mit rücksichts¬
loser Konsequenz und einem Freimut, wie wir, sie bei reichsdeutschen Politikern
leider nicht zu oft begegnen, die Gefahren, die der echten Demokratie von der
extremen Demokratie drohen. Etwas aus dem Zusammenhang des Ganzen fällt
der Aufsatz des Wiener Sozialisten Prof. L. M. Hartmann „Die Anschlußfrage
in Osterreich". Zwar bedeutet es auch ein Stück aus dem notwendigen Kampf
gegen den Völkerbund, wenn hier das Eingreifen der Entente gegen den Anschluß
geschildert wird. Und man darf sagen, es muß weit gekommen sein, wenn ein
Sozialist sich genötigt sieht, wie hier Hartmann, das Geständnis abzulegen: „Im
Auslande glaubt man alle Erscheinungen, die deutlich genug die Unmöglichkeit
des gegenwärtigen Zustands dartun, mit der Annahme alldeutscher Machenschaften
und Kulissenschiebereien abtun zu können. Es gibt Demokraten, die ihr Gewissen
mit dieser Phrase beruhigen." Aber es ist Verschwendung, wenn Hartmann sich
dann doch in breiten Angriffen gegen die Bismarcksche Politik ergeht, von der
„Bismarckschen Ideologie" spricht, überflüssige Seitenhiebe gegen die österreichischen
Deutschncitionalen austeilt und alles Gute nur von der „Demokratie" herleitet
und nur ihr dienstbar machen will. Er mag Wohl geglaubt haben, in einem
Schweizer Organ in diesem alten demokratischen Jargon, wie ihn die Westmächte
bei uns verlangen, reden zu müssen. Allein die Schweizer Leser der „Monats¬
hefte" sind über solche Kinderkrankheiten hinaus; sie werden darüber lächeln. Zur
Widerlegung Hartmanns sei ans die knappe Darstellung des Werks von 1866—71
hingewiesen, die der Marburger Privatdozent S. Köhler in den „Preußischen
Jahrbüchern" Bd. 185, S. 32 ff. kürzlich gegeben hat.

Zum Schluß sei notiert, daß der Herausgeber der Monatshefte, Dr. Osler,
eine eindrucksvolle Kritik des Völkerbunds in einer besonderen kleinen Schrift
„Das Ergebnis von Genf" (Otter fSchweiz^, Verlag von Otto Walter) gegeben hat.




Hölderlin
Dr. Peters von

leur im Kreislauf der Zeiten ein- oder anderthalb Jahrhunderte
dahingcrauscht sind, so erwachen für eine kurze Spanne Zeit unsere
großen Meister aus dem ehernen Schlafe ihrer Klassizität und
trinken für wenige Tage oder Monde von dem belebenden Blute
der allgemeinen Aufmerksamkeit der Nachwelt. Schnell genug
ist der schemenhafte Zug durch Zeitungen und illustrierte Blätter vollendet, und
und wieder versinkt das Haupt im Tode, der oft bitterer ist, als der leibliche,
denn es ist die tödliche Undankbarkeit und Gleichgültigkeit der Nachkommen
ihres Volkes, für das sie gelebt und gewirkt haben. Das kaleidoskopartige Bild


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/187>, abgerufen am 29.04.2024.