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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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vertrag begonnen. Frankreich sucht also den durch den Erfolg in Oberschlesien
erreichten Vorsprung umgehend auszunutzen, und es fragt sich, inwiefern Frank¬
reich einen deutsch-polnischen Wirtschaftsausgleich begünstigen würde. Angesichts
seiner Neparationsforderungen müßte Paris eigentlich bemüht sein, die ver¬
nichtende Beeinträchtigung des deutschen Wirtschaftslebens durch den Raub in
Oberschlesien möglichst zu verhindern. Wie aber die Ausbrüche der französischen
Presse über den in erster Linie durch die maßlosen Entschädigungsansprüche der
Entente hervorgerufenen Sturz der Mark zeigen, ist ein deutscher Bankerott Frank-
reich vielleicht nicht unerwünscht, das so den direkten Zugriff auf die Deutschland
noch verbliebenen Werte erhofft, ein Gesichtspunkt, dem Briand neulich Ausdruck
verliehen hat. Bedenklich stimmen auch die Wühlereien der Polen gegen Ru߬
land, denen sich neuerdings offenbar auch ein weiterer Schützling von Paris,
Rumänien, angeschlossen hat. Hier könnten sich neue Abenteuer vorbereiten, die
den Franzosen im Augenblick passen, weil diese Konflikte brauchen, um in
Washington die Unentbehrlichkeit ihres Heeres als Polizeimacht für Europa zu
begründen.

Große Wirkungen könnten von den deutsch-polnischen Verhandlungen aus--
gehen. Deutscherseits ist der beste Wille vorhanden, das möglichst zu erreichen,
und hier wie bei den Beratungen der ständigen deutsch-polnischen Kommission
auf dem Boden ruhiger Sachlichkeit zu verharren. Viel hangt von der Persönlich¬
keit des Vorsitzenden ab. Würde nicht ein wahrhaft Neutraler, sondern ein
Werkzeug der Franzosen, etwa ein Tscheche oder ein Schweizer Ritter der Ehren¬
legion wie Gustave Ador zum Präsidenten bestellt, so wäre von vornherein eine
zurückhaltende Beurteilung des Resultates gegeben. Das letzte Wort liegt aber
bei den Polen, die hier an einem praktischen Beispiel zeigen können, ob sie
wirklich imstande sind, eine selbständige, Polens wahren Interessen entsprechende
Politik wirtschaftlicher Verständigung zu betreiben, oder ob sie sich damit be¬
gnügen wollen, die Schrittmacher des französischen Ausdehnungsdranges zu bleiben.




Gberschlesische,
elsaßlothrinqische und saarländische Grenzfragen
Dr. wütschke von

etes Staatswesen ist die Verkörperung eines politischen Grund¬
gedankens, der einzig und allein aus einem einheitlichen Staats-
willen zu entspringen vermag. Jeder Gemeinwille eines Volkes
aber drängt zur Betätigung. Geschieht das, so muß der Staat
sich bewußt gegen die von außen andringenden und angreifenden
Gewalten, die diesen Staatswillen einzuengen versuchen, wenden, d. h. der Staats-
willen wird zum Machtwillen.

Man hat sich gewöhnt, dieses Machtstreben aus dem engen Bereich des
geographischen und völkischen Staatsraumes heraus, also se'ne weltwirt-


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vertrag begonnen. Frankreich sucht also den durch den Erfolg in Oberschlesien
erreichten Vorsprung umgehend auszunutzen, und es fragt sich, inwiefern Frank¬
reich einen deutsch-polnischen Wirtschaftsausgleich begünstigen würde. Angesichts
seiner Neparationsforderungen müßte Paris eigentlich bemüht sein, die ver¬
nichtende Beeinträchtigung des deutschen Wirtschaftslebens durch den Raub in
Oberschlesien möglichst zu verhindern. Wie aber die Ausbrüche der französischen
Presse über den in erster Linie durch die maßlosen Entschädigungsansprüche der
Entente hervorgerufenen Sturz der Mark zeigen, ist ein deutscher Bankerott Frank-
reich vielleicht nicht unerwünscht, das so den direkten Zugriff auf die Deutschland
noch verbliebenen Werte erhofft, ein Gesichtspunkt, dem Briand neulich Ausdruck
verliehen hat. Bedenklich stimmen auch die Wühlereien der Polen gegen Ru߬
land, denen sich neuerdings offenbar auch ein weiterer Schützling von Paris,
Rumänien, angeschlossen hat. Hier könnten sich neue Abenteuer vorbereiten, die
den Franzosen im Augenblick passen, weil diese Konflikte brauchen, um in
Washington die Unentbehrlichkeit ihres Heeres als Polizeimacht für Europa zu
begründen.

Große Wirkungen könnten von den deutsch-polnischen Verhandlungen aus--
gehen. Deutscherseits ist der beste Wille vorhanden, das möglichst zu erreichen,
und hier wie bei den Beratungen der ständigen deutsch-polnischen Kommission
auf dem Boden ruhiger Sachlichkeit zu verharren. Viel hangt von der Persönlich¬
keit des Vorsitzenden ab. Würde nicht ein wahrhaft Neutraler, sondern ein
Werkzeug der Franzosen, etwa ein Tscheche oder ein Schweizer Ritter der Ehren¬
legion wie Gustave Ador zum Präsidenten bestellt, so wäre von vornherein eine
zurückhaltende Beurteilung des Resultates gegeben. Das letzte Wort liegt aber
bei den Polen, die hier an einem praktischen Beispiel zeigen können, ob sie
wirklich imstande sind, eine selbständige, Polens wahren Interessen entsprechende
Politik wirtschaftlicher Verständigung zu betreiben, oder ob sie sich damit be¬
gnügen wollen, die Schrittmacher des französischen Ausdehnungsdranges zu bleiben.




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Dr. wütschke von

etes Staatswesen ist die Verkörperung eines politischen Grund¬
gedankens, der einzig und allein aus einem einheitlichen Staats-
willen zu entspringen vermag. Jeder Gemeinwille eines Volkes
aber drängt zur Betätigung. Geschieht das, so muß der Staat
sich bewußt gegen die von außen andringenden und angreifenden
Gewalten, die diesen Staatswillen einzuengen versuchen, wenden, d. h. der Staats-
willen wird zum Machtwillen.

Man hat sich gewöhnt, dieses Machtstreben aus dem engen Bereich des
geographischen und völkischen Staatsraumes heraus, also se'ne weltwirt-


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[0216] Gberschlesische, elsaß-lothringische und saarländischc Grcnzfragen vertrag begonnen. Frankreich sucht also den durch den Erfolg in Oberschlesien erreichten Vorsprung umgehend auszunutzen, und es fragt sich, inwiefern Frank¬ reich einen deutsch-polnischen Wirtschaftsausgleich begünstigen würde. Angesichts seiner Neparationsforderungen müßte Paris eigentlich bemüht sein, die ver¬ nichtende Beeinträchtigung des deutschen Wirtschaftslebens durch den Raub in Oberschlesien möglichst zu verhindern. Wie aber die Ausbrüche der französischen Presse über den in erster Linie durch die maßlosen Entschädigungsansprüche der Entente hervorgerufenen Sturz der Mark zeigen, ist ein deutscher Bankerott Frank- reich vielleicht nicht unerwünscht, das so den direkten Zugriff auf die Deutschland noch verbliebenen Werte erhofft, ein Gesichtspunkt, dem Briand neulich Ausdruck verliehen hat. Bedenklich stimmen auch die Wühlereien der Polen gegen Ru߬ land, denen sich neuerdings offenbar auch ein weiterer Schützling von Paris, Rumänien, angeschlossen hat. Hier könnten sich neue Abenteuer vorbereiten, die den Franzosen im Augenblick passen, weil diese Konflikte brauchen, um in Washington die Unentbehrlichkeit ihres Heeres als Polizeimacht für Europa zu begründen. Große Wirkungen könnten von den deutsch-polnischen Verhandlungen aus-- gehen. Deutscherseits ist der beste Wille vorhanden, das möglichst zu erreichen, und hier wie bei den Beratungen der ständigen deutsch-polnischen Kommission auf dem Boden ruhiger Sachlichkeit zu verharren. Viel hangt von der Persönlich¬ keit des Vorsitzenden ab. Würde nicht ein wahrhaft Neutraler, sondern ein Werkzeug der Franzosen, etwa ein Tscheche oder ein Schweizer Ritter der Ehren¬ legion wie Gustave Ador zum Präsidenten bestellt, so wäre von vornherein eine zurückhaltende Beurteilung des Resultates gegeben. Das letzte Wort liegt aber bei den Polen, die hier an einem praktischen Beispiel zeigen können, ob sie wirklich imstande sind, eine selbständige, Polens wahren Interessen entsprechende Politik wirtschaftlicher Verständigung zu betreiben, oder ob sie sich damit be¬ gnügen wollen, die Schrittmacher des französischen Ausdehnungsdranges zu bleiben. Gberschlesische, elsaßlothrinqische und saarländische Grenzfragen Dr. wütschke von etes Staatswesen ist die Verkörperung eines politischen Grund¬ gedankens, der einzig und allein aus einem einheitlichen Staats- willen zu entspringen vermag. Jeder Gemeinwille eines Volkes aber drängt zur Betätigung. Geschieht das, so muß der Staat sich bewußt gegen die von außen andringenden und angreifenden Gewalten, die diesen Staatswillen einzuengen versuchen, wenden, d. h. der Staats- willen wird zum Machtwillen. Man hat sich gewöhnt, dieses Machtstreben aus dem engen Bereich des geographischen und völkischen Staatsraumes heraus, also se'ne weltwirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/216>, abgerufen am 29.04.2024.