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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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"Derweil Europa auf den Frieden wartet"

ihr durch die Kriegführung gebotenen günstigen Gelegenheiten unausgenutzt vor"
beigehen lassen, sie hat nicht mit allen ihren Fasern im Dienste der Kriegführung
gestanden, sondern im Gegenteil diese gelähmt und sie hat schließlich dadurch,
daß sie durch die Revolution dem Heere in den Rücken fiel. Heer und Heimat
wehrlos gemacht. Die Kriegführung Hindenburgs und Ludendorffs kämpfte nicht
nur gegen den äußeren, sondern auch gegen den inneren Feind und daran ist sie
gescheitert.

(Ein zweiter Aufsatz: Politik folgt.)




Verweil Europa auf den Frieden wartet"
Lin Buch des amerikanischen Rhemlandkommissars
* " von

err Pierrepont B. Noyes war vom April 1919 bis Juni 1920
amerikanischer Rheinland kouunissar: er war so gezwungen, in die
von seinen Landsleuten meist übersprungenen Einzelheiten der
europäischen Politik sich zu vertiefen. Er hat ein Buch geschrieben,
dessen Grundgedanken hier Erwähnung verdienen, weil sie zeigen,
wie eine übereinstimmende Auffassung der Weltlage in den angel¬
sächsischen Ländern Platz greift. Nach den napoleonischen Kriegen
haben die Angelsachsen eine ernstliche Schwächung des besiegten Frankreichs ver¬
hütet; nach dem Weltkrieg haben sie Deutschland nicht geschützr. Jetzt müssen
sie in ihrem eigenen Interesse den Krieg nach dem Krieg einzudämmen suchen.
Das Unrecht, das den Deutschen seit 1918 geschieht, und der die ganze Menschheit
aus diesem Unrecht überziehende Schaden sind zu greifbar, als daß sich Frankreich
eine unbegrenzte Fortsetzung des Krieges nach dem Kriege leisten kann. Ver¬
zeichnen wir die Hauptansichten des Herrn Noyes.

1. Vor dem Krieg nahm man an. daß ein Weltkrieg zum allgemeinen
Ruin führe. Aber nun wurde seit 1914 der Krieg scheinbar die Normalbeschäfti¬
gung der Menschheit. Wir gewöhnten uns an den Gedanken endlosen Kriegs
und Finanzwunder wurden zum Gemeinplatz. Besonders Amerika mit seinen
geringen Verlusten sah die finanziellen Folgen des .Kriegs minimal, übertrieb seine
eigenen Sorgen. Unglücklicherweise aber war unsere Vorkriegstheorie, daß
sogar ein kurzer Krieg wirtschaftlichen Ruin bedeute, richtiger, als unsere spätere
Sorglosigkeit, die dem Fieberzustand Europas entsprang, aber -- wenn die früher
unterschätzten, erst durch den Krieg überall im wahren Umfang an den Tag ge¬
tretenen Reserven aufgebraucht sein werden, mit dem Kollaps endigen muß.

2. Das amerikanische Volk muß der unangenehmen Tatsache ins Auge
blicken, daß wenig wirklicher Fortschritt zu europäischem Wiederaufbau ge¬
macht worden ist, und daß ohne Amerikas tätige Hilfe auch wenig Fortschritt
erzielt werden kann.

3. Die Crux der Lage ist das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs.
England ist zwar der bevorzugteste Fleck der europäischen Karte, das einzige
große Land, welches Fortschritte gemacht hat, aber man braucht nur seine Schulden,
seinen Verlust am Außenhandel, seinen Arbeitsmarkt, seine irische Krisis und



") Weine Luropv uhn lor pesce. New Noch Macmillcm, 1921, gebunden 1 Dollar
50 Cent.
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ihr durch die Kriegführung gebotenen günstigen Gelegenheiten unausgenutzt vor«
beigehen lassen, sie hat nicht mit allen ihren Fasern im Dienste der Kriegführung
gestanden, sondern im Gegenteil diese gelähmt und sie hat schließlich dadurch,
daß sie durch die Revolution dem Heere in den Rücken fiel. Heer und Heimat
wehrlos gemacht. Die Kriegführung Hindenburgs und Ludendorffs kämpfte nicht
nur gegen den äußeren, sondern auch gegen den inneren Feind und daran ist sie
gescheitert.

(Ein zweiter Aufsatz: Politik folgt.)




Verweil Europa auf den Frieden wartet"
Lin Buch des amerikanischen Rhemlandkommissars
* » von

err Pierrepont B. Noyes war vom April 1919 bis Juni 1920
amerikanischer Rheinland kouunissar: er war so gezwungen, in die
von seinen Landsleuten meist übersprungenen Einzelheiten der
europäischen Politik sich zu vertiefen. Er hat ein Buch geschrieben,
dessen Grundgedanken hier Erwähnung verdienen, weil sie zeigen,
wie eine übereinstimmende Auffassung der Weltlage in den angel¬
sächsischen Ländern Platz greift. Nach den napoleonischen Kriegen
haben die Angelsachsen eine ernstliche Schwächung des besiegten Frankreichs ver¬
hütet; nach dem Weltkrieg haben sie Deutschland nicht geschützr. Jetzt müssen
sie in ihrem eigenen Interesse den Krieg nach dem Krieg einzudämmen suchen.
Das Unrecht, das den Deutschen seit 1918 geschieht, und der die ganze Menschheit
aus diesem Unrecht überziehende Schaden sind zu greifbar, als daß sich Frankreich
eine unbegrenzte Fortsetzung des Krieges nach dem Kriege leisten kann. Ver¬
zeichnen wir die Hauptansichten des Herrn Noyes.

1. Vor dem Krieg nahm man an. daß ein Weltkrieg zum allgemeinen
Ruin führe. Aber nun wurde seit 1914 der Krieg scheinbar die Normalbeschäfti¬
gung der Menschheit. Wir gewöhnten uns an den Gedanken endlosen Kriegs
und Finanzwunder wurden zum Gemeinplatz. Besonders Amerika mit seinen
geringen Verlusten sah die finanziellen Folgen des .Kriegs minimal, übertrieb seine
eigenen Sorgen. Unglücklicherweise aber war unsere Vorkriegstheorie, daß
sogar ein kurzer Krieg wirtschaftlichen Ruin bedeute, richtiger, als unsere spätere
Sorglosigkeit, die dem Fieberzustand Europas entsprang, aber — wenn die früher
unterschätzten, erst durch den Krieg überall im wahren Umfang an den Tag ge¬
tretenen Reserven aufgebraucht sein werden, mit dem Kollaps endigen muß.

2. Das amerikanische Volk muß der unangenehmen Tatsache ins Auge
blicken, daß wenig wirklicher Fortschritt zu europäischem Wiederaufbau ge¬
macht worden ist, und daß ohne Amerikas tätige Hilfe auch wenig Fortschritt
erzielt werden kann.

3. Die Crux der Lage ist das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs.
England ist zwar der bevorzugteste Fleck der europäischen Karte, das einzige
große Land, welches Fortschritte gemacht hat, aber man braucht nur seine Schulden,
seinen Verlust am Außenhandel, seinen Arbeitsmarkt, seine irische Krisis und



") Weine Luropv uhn lor pesce. New Noch Macmillcm, 1921, gebunden 1 Dollar
50 Cent.
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[0226] „Derweil Europa auf den Frieden wartet" ihr durch die Kriegführung gebotenen günstigen Gelegenheiten unausgenutzt vor« beigehen lassen, sie hat nicht mit allen ihren Fasern im Dienste der Kriegführung gestanden, sondern im Gegenteil diese gelähmt und sie hat schließlich dadurch, daß sie durch die Revolution dem Heere in den Rücken fiel. Heer und Heimat wehrlos gemacht. Die Kriegführung Hindenburgs und Ludendorffs kämpfte nicht nur gegen den äußeren, sondern auch gegen den inneren Feind und daran ist sie gescheitert. (Ein zweiter Aufsatz: Politik folgt.) Verweil Europa auf den Frieden wartet" Lin Buch des amerikanischen Rhemlandkommissars * » von err Pierrepont B. Noyes war vom April 1919 bis Juni 1920 amerikanischer Rheinland kouunissar: er war so gezwungen, in die von seinen Landsleuten meist übersprungenen Einzelheiten der europäischen Politik sich zu vertiefen. Er hat ein Buch geschrieben, dessen Grundgedanken hier Erwähnung verdienen, weil sie zeigen, wie eine übereinstimmende Auffassung der Weltlage in den angel¬ sächsischen Ländern Platz greift. Nach den napoleonischen Kriegen haben die Angelsachsen eine ernstliche Schwächung des besiegten Frankreichs ver¬ hütet; nach dem Weltkrieg haben sie Deutschland nicht geschützr. Jetzt müssen sie in ihrem eigenen Interesse den Krieg nach dem Krieg einzudämmen suchen. Das Unrecht, das den Deutschen seit 1918 geschieht, und der die ganze Menschheit aus diesem Unrecht überziehende Schaden sind zu greifbar, als daß sich Frankreich eine unbegrenzte Fortsetzung des Krieges nach dem Kriege leisten kann. Ver¬ zeichnen wir die Hauptansichten des Herrn Noyes. 1. Vor dem Krieg nahm man an. daß ein Weltkrieg zum allgemeinen Ruin führe. Aber nun wurde seit 1914 der Krieg scheinbar die Normalbeschäfti¬ gung der Menschheit. Wir gewöhnten uns an den Gedanken endlosen Kriegs und Finanzwunder wurden zum Gemeinplatz. Besonders Amerika mit seinen geringen Verlusten sah die finanziellen Folgen des .Kriegs minimal, übertrieb seine eigenen Sorgen. Unglücklicherweise aber war unsere Vorkriegstheorie, daß sogar ein kurzer Krieg wirtschaftlichen Ruin bedeute, richtiger, als unsere spätere Sorglosigkeit, die dem Fieberzustand Europas entsprang, aber — wenn die früher unterschätzten, erst durch den Krieg überall im wahren Umfang an den Tag ge¬ tretenen Reserven aufgebraucht sein werden, mit dem Kollaps endigen muß. 2. Das amerikanische Volk muß der unangenehmen Tatsache ins Auge blicken, daß wenig wirklicher Fortschritt zu europäischem Wiederaufbau ge¬ macht worden ist, und daß ohne Amerikas tätige Hilfe auch wenig Fortschritt erzielt werden kann. 3. Die Crux der Lage ist das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs. England ist zwar der bevorzugteste Fleck der europäischen Karte, das einzige große Land, welches Fortschritte gemacht hat, aber man braucht nur seine Schulden, seinen Verlust am Außenhandel, seinen Arbeitsmarkt, seine irische Krisis und ") Weine Luropv uhn lor pesce. New Noch Macmillcm, 1921, gebunden 1 Dollar 50 Cent.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/226>, abgerufen am 29.04.2024.