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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Bolschewismus -- Ginkehr?

Bolschewismus ^ (Linkehr?
Dr. pahl von

"Nicht unmittelbar durch die Begeisterung,
sondern mit Hilfe des Persönlichen Interesses,
der persönlichen Interessiertheit, mit Hilfe der
wirtschaftlichen Berechnung baut zuerst eine
feste Brücke, die im Lande der Kleinbauern
über den Staatskapitalismus zum Sozialismus
füh Lenin rt/'

lese Worte Lenins im Zusammenhang mit einem Ausspruch Lenins
auf dem Allrussischen Kongreß für politische Aufklärung am 17. Ok¬
tober bedeuten sowohl eine glatte Bankerotterklärung deS bolsche¬
wistischen Gedankens als auch ein neues Programm. Lenin sagte
damals i "Der Zustand, der sich nun entwickeln wird, ist not¬
wendig, weil wir erst lernen müssen zu wirtschaften, was wir bisher nicht
konnten. Laßt die Kapitalisten sich bereichern, ihr lernt inzwischen wirtschaften,
und dann werdet ihr die kommunistische Republik begründen!" Aus dem Munde
Lenins bedeuten diese Worte nichts weiter, als ein Todesurteil für seine eigenen
Utopien, die er vielleicht aus purem Idealismus mit Hilfe diktatorischer Zwangs¬
maßnahmen in dem rückständigen bäuerlichen Rußland zur Durchführung bringen
zu können glaubte. Ja er vermaß sich sogar mit diesen seinen Utopien die ganze
Welt, insbesondere Westeuropa, beglücken zu können, wie seine über ganz
Europa organisatorisch meisterhaft aufgebaute Propaganda-Zentrale beweist. Er
vergaß dabei nur eins- Die Gegensätze zwischen der russischen, bzw. westeuro¬
päischen Psyche.

Der russische Geist war prädestiniert zum Bolschewismus. Der Geist seiner¬
seits wiederum ein Produkt der heimatlichen Erde. Zwischen zwei Weltteilen liegt
Rußland, zwei Welten gehörtes an, zwei Welten scheint es in sich zu vereinigen:
Asien und Europa. Unausgeglichene Gegensätze, die der russische Charakter oft
überbrückt, manchmal verbindet, kaum je restlos vereint. Wie die russische Tief¬
ebene Bindeglied und Trennung der ungeheuren geographischen Gegensätze, so die
russische Seele der geistigen. Und wie die russische Tiefebene ihre besondere un¬
verwischbare und anderwärts nie wieder zu findende Eigenart aufweist, die endlich
weder Europa noch Asien ist, wie Rußlands Geschichte weder die des Orients noch
des Okzidents, wohl aber von beiden zu tief beeinflußt ist. so auch die Seele des
Russen. Der Kampf, den Asien gegen Europa auf Rußlands Boden ausfocht,
hat tiefe Furchen in das russische Antlitz gegraben. Inneres Erleben prägte jedoch
die letzten und tiefsten Furchen hinein.

Alles zusammengenommen, inneres und äußeres Erleben, formte die
rusische Seele. Christentum, Tatarenjoch, Despotismus, Leibeigenschaft, soziales
Elend, das sind die Messer, mit denen das russische Bild gearbeitet ward. Ma߬
losigkeit der russischen Seckel In Liebe und Haß ohne Grenzen. Grenzenlosigkeit
des Gedankens gesellt zur Maßlosigkeit des Empfindens.

Erlösung für alle! Unterschiedslos und gleich sind alle im Verlangen nach ihr.
alle ihrer gleich bedürftig. Bruder Mensch! Mag trennend zwischen uns stehen,
was da will, magst du reich und ich arm sein, eine Gleichheit umfaßt uns alle:
Wir leiden und wir alle erhoffen Befreiung.


Bolschewismus — Ginkehr?

Bolschewismus ^ (Linkehr?
Dr. pahl von

„Nicht unmittelbar durch die Begeisterung,
sondern mit Hilfe des Persönlichen Interesses,
der persönlichen Interessiertheit, mit Hilfe der
wirtschaftlichen Berechnung baut zuerst eine
feste Brücke, die im Lande der Kleinbauern
über den Staatskapitalismus zum Sozialismus
füh Lenin rt/'

lese Worte Lenins im Zusammenhang mit einem Ausspruch Lenins
auf dem Allrussischen Kongreß für politische Aufklärung am 17. Ok¬
tober bedeuten sowohl eine glatte Bankerotterklärung deS bolsche¬
wistischen Gedankens als auch ein neues Programm. Lenin sagte
damals i „Der Zustand, der sich nun entwickeln wird, ist not¬
wendig, weil wir erst lernen müssen zu wirtschaften, was wir bisher nicht
konnten. Laßt die Kapitalisten sich bereichern, ihr lernt inzwischen wirtschaften,
und dann werdet ihr die kommunistische Republik begründen!" Aus dem Munde
Lenins bedeuten diese Worte nichts weiter, als ein Todesurteil für seine eigenen
Utopien, die er vielleicht aus purem Idealismus mit Hilfe diktatorischer Zwangs¬
maßnahmen in dem rückständigen bäuerlichen Rußland zur Durchführung bringen
zu können glaubte. Ja er vermaß sich sogar mit diesen seinen Utopien die ganze
Welt, insbesondere Westeuropa, beglücken zu können, wie seine über ganz
Europa organisatorisch meisterhaft aufgebaute Propaganda-Zentrale beweist. Er
vergaß dabei nur eins- Die Gegensätze zwischen der russischen, bzw. westeuro¬
päischen Psyche.

Der russische Geist war prädestiniert zum Bolschewismus. Der Geist seiner¬
seits wiederum ein Produkt der heimatlichen Erde. Zwischen zwei Weltteilen liegt
Rußland, zwei Welten gehörtes an, zwei Welten scheint es in sich zu vereinigen:
Asien und Europa. Unausgeglichene Gegensätze, die der russische Charakter oft
überbrückt, manchmal verbindet, kaum je restlos vereint. Wie die russische Tief¬
ebene Bindeglied und Trennung der ungeheuren geographischen Gegensätze, so die
russische Seele der geistigen. Und wie die russische Tiefebene ihre besondere un¬
verwischbare und anderwärts nie wieder zu findende Eigenart aufweist, die endlich
weder Europa noch Asien ist, wie Rußlands Geschichte weder die des Orients noch
des Okzidents, wohl aber von beiden zu tief beeinflußt ist. so auch die Seele des
Russen. Der Kampf, den Asien gegen Europa auf Rußlands Boden ausfocht,
hat tiefe Furchen in das russische Antlitz gegraben. Inneres Erleben prägte jedoch
die letzten und tiefsten Furchen hinein.

Alles zusammengenommen, inneres und äußeres Erleben, formte die
rusische Seele. Christentum, Tatarenjoch, Despotismus, Leibeigenschaft, soziales
Elend, das sind die Messer, mit denen das russische Bild gearbeitet ward. Ma߬
losigkeit der russischen Seckel In Liebe und Haß ohne Grenzen. Grenzenlosigkeit
des Gedankens gesellt zur Maßlosigkeit des Empfindens.

Erlösung für alle! Unterschiedslos und gleich sind alle im Verlangen nach ihr.
alle ihrer gleich bedürftig. Bruder Mensch! Mag trennend zwischen uns stehen,
was da will, magst du reich und ich arm sein, eine Gleichheit umfaßt uns alle:
Wir leiden und wir alle erhoffen Befreiung.


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[0282] Bolschewismus — Ginkehr? Bolschewismus ^ (Linkehr? Dr. pahl von „Nicht unmittelbar durch die Begeisterung, sondern mit Hilfe des Persönlichen Interesses, der persönlichen Interessiertheit, mit Hilfe der wirtschaftlichen Berechnung baut zuerst eine feste Brücke, die im Lande der Kleinbauern über den Staatskapitalismus zum Sozialismus füh Lenin rt/' lese Worte Lenins im Zusammenhang mit einem Ausspruch Lenins auf dem Allrussischen Kongreß für politische Aufklärung am 17. Ok¬ tober bedeuten sowohl eine glatte Bankerotterklärung deS bolsche¬ wistischen Gedankens als auch ein neues Programm. Lenin sagte damals i „Der Zustand, der sich nun entwickeln wird, ist not¬ wendig, weil wir erst lernen müssen zu wirtschaften, was wir bisher nicht konnten. Laßt die Kapitalisten sich bereichern, ihr lernt inzwischen wirtschaften, und dann werdet ihr die kommunistische Republik begründen!" Aus dem Munde Lenins bedeuten diese Worte nichts weiter, als ein Todesurteil für seine eigenen Utopien, die er vielleicht aus purem Idealismus mit Hilfe diktatorischer Zwangs¬ maßnahmen in dem rückständigen bäuerlichen Rußland zur Durchführung bringen zu können glaubte. Ja er vermaß sich sogar mit diesen seinen Utopien die ganze Welt, insbesondere Westeuropa, beglücken zu können, wie seine über ganz Europa organisatorisch meisterhaft aufgebaute Propaganda-Zentrale beweist. Er vergaß dabei nur eins- Die Gegensätze zwischen der russischen, bzw. westeuro¬ päischen Psyche. Der russische Geist war prädestiniert zum Bolschewismus. Der Geist seiner¬ seits wiederum ein Produkt der heimatlichen Erde. Zwischen zwei Weltteilen liegt Rußland, zwei Welten gehörtes an, zwei Welten scheint es in sich zu vereinigen: Asien und Europa. Unausgeglichene Gegensätze, die der russische Charakter oft überbrückt, manchmal verbindet, kaum je restlos vereint. Wie die russische Tief¬ ebene Bindeglied und Trennung der ungeheuren geographischen Gegensätze, so die russische Seele der geistigen. Und wie die russische Tiefebene ihre besondere un¬ verwischbare und anderwärts nie wieder zu findende Eigenart aufweist, die endlich weder Europa noch Asien ist, wie Rußlands Geschichte weder die des Orients noch des Okzidents, wohl aber von beiden zu tief beeinflußt ist. so auch die Seele des Russen. Der Kampf, den Asien gegen Europa auf Rußlands Boden ausfocht, hat tiefe Furchen in das russische Antlitz gegraben. Inneres Erleben prägte jedoch die letzten und tiefsten Furchen hinein. Alles zusammengenommen, inneres und äußeres Erleben, formte die rusische Seele. Christentum, Tatarenjoch, Despotismus, Leibeigenschaft, soziales Elend, das sind die Messer, mit denen das russische Bild gearbeitet ward. Ma߬ losigkeit der russischen Seckel In Liebe und Haß ohne Grenzen. Grenzenlosigkeit des Gedankens gesellt zur Maßlosigkeit des Empfindens. Erlösung für alle! Unterschiedslos und gleich sind alle im Verlangen nach ihr. alle ihrer gleich bedürftig. Bruder Mensch! Mag trennend zwischen uns stehen, was da will, magst du reich und ich arm sein, eine Gleichheit umfaßt uns alle: Wir leiden und wir alle erhoffen Befreiung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/282>, abgerufen am 29.04.2024.