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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Berliner Bühne

Berliner Bühne

[Beginn Spaltensatz]

Weh das Herz voll ist. des fließet
die Feder über. Aber von Gefühlen
abgesehen, es trifft sich auch sachlich
gut, daß dieser erste Bericht über das
Berliner Theaterleben unmittelbar nach
einer Aufführung geschrieben wird, die
ein. bühnengeschichtliches und ein dramen¬
geschichtliches Ereignis ersten Ranges
ist: der Aufführung des "Othello" in
der Inszenierung Leopold Jeßners im
Staatlichen Schauspielhaus. Sie ist,
dies sei vorangeschickt, in vielen Einzel¬
heiten unendlich problematisch, unent
lich unvollkommen -- denn hart im
Raume stoßen sich die machen. Aber
sie ist ein großer Wurf, die wichtigste
Aufführung dieser und der vergangenen
Spielzeit seit ihrer Vorläuferin, der
Aufführung von "König Richard III.",
auf der gleichen Bühne. Dramatische
Aufführungen beginnen endlich einmal
aus ihrer innersten Struktur heraus
Musik, das heißt innere Bewegung, zu
werden. Aller gedankliche Gehalt eines
Dramas wird endlich einmal dem sinn¬
lichen, das heißt dem primären Gehalt
des Werkes untergeordnet, ohne daß
der geistige Gehalt darunter leidet. Das
Drama dient nicht etwa zum Vorwurf
für einen Augen- und Ohrenschmaus,
für Farbenrausch und Bilderfülle, für
eine opernhafte Uinrankung mit Musik.
Gesängen und Tänzen. Die Aufführung
ist von einer unerhörten.Kargheit im
Bildhaften und von der höchsten Spar¬
samkeit im Klanglichen. Aber wir er¬
leben die Geburt der Musik aus dem
Geist der Tragödie.

Die Anlage der Aufführung nimmt
die dramatischen Kern-Szenen als die
Hauptpfeiler, gestaltet sie sinnlich-klang.
lich aus, gibt ihnen die akustischen
Hauptakzente und gestaltet zugleich
von ihnen aus den szenischen Raum.
Alles übrige ordnet sich rhythmisch und
architektonisch diesen Kernstücken unter,
ist an ihnen klanglich und bildlich
orientiert.

Die Kernszene des ersten Aktes ist
jene Szene vor dem Dogen, in der
Desdemona dem Vater zum Trotz sich
zu Othello bekennt. Niemals ist auf
der Sprechbühne in Deutschland solche

[Spaltenumbruch]

Musik erklungen wie in dieser Szene.
Vorbereitet wird sie musikalisch durch
die Erzählung Othellos, wie er Desde
mora gewonnen habe. Diese von
Kortner in den Glanz seligster Lyrik
getauchte Erzählung wuchs bereits selbst
zum Zwiegescmg. als der Darsteller an
ihrem Schluß bei der Wiedergabe der
Worte, mit denen Desdemona ihm ihre
Lieds gestand, Desdemonas (Johanna
Hofers) Sprechmelodie und Tonfall
durch seine eigene Rede durchklingcn
ließ. So glich das Bekenntnis Desde-
monas einer im musikalischen Satz, erst
verschleiert angedeuteten, nun selbständig
in eigener, Tonart hervortretenden Me¬
lodie. Nach der folgenden, männlich¬
knappen Verhandlung über Othellos
Sendung nach Cypern war die gemeint
same Bitte der Liebenden, vereint reisen
zu dürfen, ein zweistimmiger Hyistnus
untrennbarer Liebe, dessen Nachhall alle
folgenden Szenen durchtönte, wieder-
klang in den weiteren Liebesszenen und
hart an die schrillen Disharmonien der
Eifersuchtsszenen anprallte.

So waren auch die übrigen klang
lichen Elemente der Darstellung rhyth¬
misch-musikalisch bewältigt. Der Freuden¬
lärm des zyprischen Volkes vor der
Ankunft Othellos war zum schwach ein¬
setzenden, dann weithin tönenden, auf-
und abschwellenden Gesang hinter der
Szene geformt, der sich hell steigert, als
das Volk vor Othello her aus der Ufer¬
tiefe des Hintergrundes heraufdringt
und in dem Augenblick, wo Othello
auf der Höhe der Bühne die vorn in
Verzückung wartende Desdemona er¬
blickt, abbricht, so daß nun unter laut-
losem Schweigen das selige Paar mit
kosenden Flüstern einander begrüßt.

An das nächste von rhythmisiertem
Lachen und Neigenschritt getragene Auf¬
treten der Liebenden stößt unmittelbar
das mißtönige Gegröhl der Zecherei
und Schlägerei Jagos und seiner
Kumpane und im Anschluß an sie der
Zornesausbruch Othellos, gesteigert bis
zu dem schrillen Sichüberschlagen der
Stimme bei den Worten: "s'ist unge¬
heuer!" -- als Vorspiel zu der folgenden,
durch die kurze letzte ungetrübte Liebes-

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Berliner Bühne

Berliner Bühne

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Weh das Herz voll ist. des fließet
die Feder über. Aber von Gefühlen
abgesehen, es trifft sich auch sachlich
gut, daß dieser erste Bericht über das
Berliner Theaterleben unmittelbar nach
einer Aufführung geschrieben wird, die
ein. bühnengeschichtliches und ein dramen¬
geschichtliches Ereignis ersten Ranges
ist: der Aufführung des „Othello" in
der Inszenierung Leopold Jeßners im
Staatlichen Schauspielhaus. Sie ist,
dies sei vorangeschickt, in vielen Einzel¬
heiten unendlich problematisch, unent
lich unvollkommen — denn hart im
Raume stoßen sich die machen. Aber
sie ist ein großer Wurf, die wichtigste
Aufführung dieser und der vergangenen
Spielzeit seit ihrer Vorläuferin, der
Aufführung von „König Richard III.",
auf der gleichen Bühne. Dramatische
Aufführungen beginnen endlich einmal
aus ihrer innersten Struktur heraus
Musik, das heißt innere Bewegung, zu
werden. Aller gedankliche Gehalt eines
Dramas wird endlich einmal dem sinn¬
lichen, das heißt dem primären Gehalt
des Werkes untergeordnet, ohne daß
der geistige Gehalt darunter leidet. Das
Drama dient nicht etwa zum Vorwurf
für einen Augen- und Ohrenschmaus,
für Farbenrausch und Bilderfülle, für
eine opernhafte Uinrankung mit Musik.
Gesängen und Tänzen. Die Aufführung
ist von einer unerhörten.Kargheit im
Bildhaften und von der höchsten Spar¬
samkeit im Klanglichen. Aber wir er¬
leben die Geburt der Musik aus dem
Geist der Tragödie.

Die Anlage der Aufführung nimmt
die dramatischen Kern-Szenen als die
Hauptpfeiler, gestaltet sie sinnlich-klang.
lich aus, gibt ihnen die akustischen
Hauptakzente und gestaltet zugleich
von ihnen aus den szenischen Raum.
Alles übrige ordnet sich rhythmisch und
architektonisch diesen Kernstücken unter,
ist an ihnen klanglich und bildlich
orientiert.

Die Kernszene des ersten Aktes ist
jene Szene vor dem Dogen, in der
Desdemona dem Vater zum Trotz sich
zu Othello bekennt. Niemals ist auf
der Sprechbühne in Deutschland solche

[Spaltenumbruch]

Musik erklungen wie in dieser Szene.
Vorbereitet wird sie musikalisch durch
die Erzählung Othellos, wie er Desde
mora gewonnen habe. Diese von
Kortner in den Glanz seligster Lyrik
getauchte Erzählung wuchs bereits selbst
zum Zwiegescmg. als der Darsteller an
ihrem Schluß bei der Wiedergabe der
Worte, mit denen Desdemona ihm ihre
Lieds gestand, Desdemonas (Johanna
Hofers) Sprechmelodie und Tonfall
durch seine eigene Rede durchklingcn
ließ. So glich das Bekenntnis Desde-
monas einer im musikalischen Satz, erst
verschleiert angedeuteten, nun selbständig
in eigener, Tonart hervortretenden Me¬
lodie. Nach der folgenden, männlich¬
knappen Verhandlung über Othellos
Sendung nach Cypern war die gemeint
same Bitte der Liebenden, vereint reisen
zu dürfen, ein zweistimmiger Hyistnus
untrennbarer Liebe, dessen Nachhall alle
folgenden Szenen durchtönte, wieder-
klang in den weiteren Liebesszenen und
hart an die schrillen Disharmonien der
Eifersuchtsszenen anprallte.

So waren auch die übrigen klang
lichen Elemente der Darstellung rhyth¬
misch-musikalisch bewältigt. Der Freuden¬
lärm des zyprischen Volkes vor der
Ankunft Othellos war zum schwach ein¬
setzenden, dann weithin tönenden, auf-
und abschwellenden Gesang hinter der
Szene geformt, der sich hell steigert, als
das Volk vor Othello her aus der Ufer¬
tiefe des Hintergrundes heraufdringt
und in dem Augenblick, wo Othello
auf der Höhe der Bühne die vorn in
Verzückung wartende Desdemona er¬
blickt, abbricht, so daß nun unter laut-
losem Schweigen das selige Paar mit
kosenden Flüstern einander begrüßt.

An das nächste von rhythmisiertem
Lachen und Neigenschritt getragene Auf¬
treten der Liebenden stößt unmittelbar
das mißtönige Gegröhl der Zecherei
und Schlägerei Jagos und seiner
Kumpane und im Anschluß an sie der
Zornesausbruch Othellos, gesteigert bis
zu dem schrillen Sichüberschlagen der
Stimme bei den Worten: „s'ist unge¬
heuer!" — als Vorspiel zu der folgenden,
durch die kurze letzte ungetrübte Liebes-

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[0292] Berliner Bühne Berliner Bühne Weh das Herz voll ist. des fließet die Feder über. Aber von Gefühlen abgesehen, es trifft sich auch sachlich gut, daß dieser erste Bericht über das Berliner Theaterleben unmittelbar nach einer Aufführung geschrieben wird, die ein. bühnengeschichtliches und ein dramen¬ geschichtliches Ereignis ersten Ranges ist: der Aufführung des „Othello" in der Inszenierung Leopold Jeßners im Staatlichen Schauspielhaus. Sie ist, dies sei vorangeschickt, in vielen Einzel¬ heiten unendlich problematisch, unent lich unvollkommen — denn hart im Raume stoßen sich die machen. Aber sie ist ein großer Wurf, die wichtigste Aufführung dieser und der vergangenen Spielzeit seit ihrer Vorläuferin, der Aufführung von „König Richard III.", auf der gleichen Bühne. Dramatische Aufführungen beginnen endlich einmal aus ihrer innersten Struktur heraus Musik, das heißt innere Bewegung, zu werden. Aller gedankliche Gehalt eines Dramas wird endlich einmal dem sinn¬ lichen, das heißt dem primären Gehalt des Werkes untergeordnet, ohne daß der geistige Gehalt darunter leidet. Das Drama dient nicht etwa zum Vorwurf für einen Augen- und Ohrenschmaus, für Farbenrausch und Bilderfülle, für eine opernhafte Uinrankung mit Musik. Gesängen und Tänzen. Die Aufführung ist von einer unerhörten.Kargheit im Bildhaften und von der höchsten Spar¬ samkeit im Klanglichen. Aber wir er¬ leben die Geburt der Musik aus dem Geist der Tragödie. Die Anlage der Aufführung nimmt die dramatischen Kern-Szenen als die Hauptpfeiler, gestaltet sie sinnlich-klang. lich aus, gibt ihnen die akustischen Hauptakzente und gestaltet zugleich von ihnen aus den szenischen Raum. Alles übrige ordnet sich rhythmisch und architektonisch diesen Kernstücken unter, ist an ihnen klanglich und bildlich orientiert. Die Kernszene des ersten Aktes ist jene Szene vor dem Dogen, in der Desdemona dem Vater zum Trotz sich zu Othello bekennt. Niemals ist auf der Sprechbühne in Deutschland solche Musik erklungen wie in dieser Szene. Vorbereitet wird sie musikalisch durch die Erzählung Othellos, wie er Desde mora gewonnen habe. Diese von Kortner in den Glanz seligster Lyrik getauchte Erzählung wuchs bereits selbst zum Zwiegescmg. als der Darsteller an ihrem Schluß bei der Wiedergabe der Worte, mit denen Desdemona ihm ihre Lieds gestand, Desdemonas (Johanna Hofers) Sprechmelodie und Tonfall durch seine eigene Rede durchklingcn ließ. So glich das Bekenntnis Desde- monas einer im musikalischen Satz, erst verschleiert angedeuteten, nun selbständig in eigener, Tonart hervortretenden Me¬ lodie. Nach der folgenden, männlich¬ knappen Verhandlung über Othellos Sendung nach Cypern war die gemeint same Bitte der Liebenden, vereint reisen zu dürfen, ein zweistimmiger Hyistnus untrennbarer Liebe, dessen Nachhall alle folgenden Szenen durchtönte, wieder- klang in den weiteren Liebesszenen und hart an die schrillen Disharmonien der Eifersuchtsszenen anprallte. So waren auch die übrigen klang lichen Elemente der Darstellung rhyth¬ misch-musikalisch bewältigt. Der Freuden¬ lärm des zyprischen Volkes vor der Ankunft Othellos war zum schwach ein¬ setzenden, dann weithin tönenden, auf- und abschwellenden Gesang hinter der Szene geformt, der sich hell steigert, als das Volk vor Othello her aus der Ufer¬ tiefe des Hintergrundes heraufdringt und in dem Augenblick, wo Othello auf der Höhe der Bühne die vorn in Verzückung wartende Desdemona er¬ blickt, abbricht, so daß nun unter laut- losem Schweigen das selige Paar mit kosenden Flüstern einander begrüßt. An das nächste von rhythmisiertem Lachen und Neigenschritt getragene Auf¬ treten der Liebenden stößt unmittelbar das mißtönige Gegröhl der Zecherei und Schlägerei Jagos und seiner Kumpane und im Anschluß an sie der Zornesausbruch Othellos, gesteigert bis zu dem schrillen Sichüberschlagen der Stimme bei den Worten: „s'ist unge¬ heuer!" — als Vorspiel zu der folgenden, durch die kurze letzte ungetrübte Liebes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/292>, abgerufen am 28.04.2024.