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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

und auf Truppenübungsplätze verlegt. Hier hört das Politisieren auf, es besteht
die Möglichkeit, mehr militärischen Dienst zu machen, das Aufeinandereinleben
wird erzwungen, und der Einfluß des Offiziers wird größer.

Die Verheirateten -- Offiziere, wie Unteroffiziere und Mannschaften --
stöhnen und schelten, daß man sie von Frau und Kind für eine Weile entfernt.
Sehr zum Nutzen der Wehrmacht: denn ein Verheirateter ist nur ein halber
Soldat. Daß Deutschlands Söldnerwehrmacht in unabsehbarer Zeit über¬
wiegend von Verheirateten geführt werden wird, ist mit einer der Gründe für
ihre künftige Krisen. Denn der wahre Soldat, der Kern der Heere aller Völker
und Zeiten -- in allen Chargen -- ist derjenige, welcher im militärischen Dienst
und im Zusammenleben mit Kameraden aufgeht, und die Kameradschaft
über die Ehe stellt.

Die erste Festigung -- durch die Ruhe, die scheinbare politische Gleichrichtung
bei Offizier und Soldat, durch den Drill, den Sport und durch die kleinen
Garnisonen -- ist nur eine oberflächliche; denn die Revolution in Deutschland
ist noch nicht abgeschlossen. Sie und der Krieg haben im Offizier und Soldaten
die Instinkte des Außergewöhnlichem, der Unordnung und der Überschätzung der
eigenen Persönlichkeit geweckt, Instinkte, die nur auf den Anlaß warten, loszu¬
brechen: Kappdämmerung.

Ein freundliches Gesicht seines Soldaten verleitet den Offizier zu der An¬
nahme, eine treu ergebene Truppe hinter sich zu haben. Mangel an Weltklugheit
und "materiellen" Verstand lassen auch jetzt -- ebenso wie im Kriege -- den
Offizier vergessen, daß der Soldat ganz andere Interessen, Ideale und Trieb¬
kräfte hat, als der Offizier -- viel robustere, dem täglichen Leben näherliegende.
Gutgläubig wie And, sieht der Offizier nicht, daß auch ein offizierfeindlich er
Soldat -- fühlend, . aß sein Wohl und Wehe mehr und mehr wieder vom
Offizier abhängig wird -- dem Offizier aus Lebensklugheit Anhänglichkeit heucheln
muß. Aber die Weltfremdheit des Offiiziers, der -- selber ehrlich, solches
Heucheln sich nicht vorstellen kann -- macht die erste Festigung der Truppe zur
Hoffnung für die Gegenrevolution: Kappdämmerung.


Mißwirtschaft

In jenem Elementarsatz: "Beim Militär gibt es keine Kleinigkeiten" lag
das Geheimnis und die Kraft deutscher Militärorganisation der Friedenszeit.
Weil im Kriege der großen Soldatenmasse "Kleinigkeiten" auf materiellem und
geistigem Gebiete nicht erfüllt wurden, wurde das alte Heer reif zum Zusammen¬
bruch, der aber nicht der des alten militärischen Systems, sondern nur deshalb
möglich wurde, weil gerade jener Elementarsatz des deutschen Militarismus, der
die peinliche Sorge um die Mannschaften in sich barg -- durch die großen Fragen,
durch gewaltiges überstürztes Tagesgeschehen und zuletzt durch das Nervenmürbende
des unerwartet langen Krieges in den Hintergrund trat.

Die Reaktion hierauf war nach der Revolution das übermäßige Ausschlagen
des Pendels: Egoismus.

Auch die Reichswehr des Winters 1919/1920 leidet darunter, daß alle
idealen Gesichtspunkte bei den Mannschaften hinter den Fragen der Löhnung,


Altes und neues Heer

und auf Truppenübungsplätze verlegt. Hier hört das Politisieren auf, es besteht
die Möglichkeit, mehr militärischen Dienst zu machen, das Aufeinandereinleben
wird erzwungen, und der Einfluß des Offiziers wird größer.

Die Verheirateten — Offiziere, wie Unteroffiziere und Mannschaften —
stöhnen und schelten, daß man sie von Frau und Kind für eine Weile entfernt.
Sehr zum Nutzen der Wehrmacht: denn ein Verheirateter ist nur ein halber
Soldat. Daß Deutschlands Söldnerwehrmacht in unabsehbarer Zeit über¬
wiegend von Verheirateten geführt werden wird, ist mit einer der Gründe für
ihre künftige Krisen. Denn der wahre Soldat, der Kern der Heere aller Völker
und Zeiten — in allen Chargen — ist derjenige, welcher im militärischen Dienst
und im Zusammenleben mit Kameraden aufgeht, und die Kameradschaft
über die Ehe stellt.

Die erste Festigung — durch die Ruhe, die scheinbare politische Gleichrichtung
bei Offizier und Soldat, durch den Drill, den Sport und durch die kleinen
Garnisonen — ist nur eine oberflächliche; denn die Revolution in Deutschland
ist noch nicht abgeschlossen. Sie und der Krieg haben im Offizier und Soldaten
die Instinkte des Außergewöhnlichem, der Unordnung und der Überschätzung der
eigenen Persönlichkeit geweckt, Instinkte, die nur auf den Anlaß warten, loszu¬
brechen: Kappdämmerung.

Ein freundliches Gesicht seines Soldaten verleitet den Offizier zu der An¬
nahme, eine treu ergebene Truppe hinter sich zu haben. Mangel an Weltklugheit
und „materiellen" Verstand lassen auch jetzt — ebenso wie im Kriege — den
Offizier vergessen, daß der Soldat ganz andere Interessen, Ideale und Trieb¬
kräfte hat, als der Offizier — viel robustere, dem täglichen Leben näherliegende.
Gutgläubig wie And, sieht der Offizier nicht, daß auch ein offizierfeindlich er
Soldat — fühlend, . aß sein Wohl und Wehe mehr und mehr wieder vom
Offizier abhängig wird — dem Offizier aus Lebensklugheit Anhänglichkeit heucheln
muß. Aber die Weltfremdheit des Offiiziers, der — selber ehrlich, solches
Heucheln sich nicht vorstellen kann — macht die erste Festigung der Truppe zur
Hoffnung für die Gegenrevolution: Kappdämmerung.


Mißwirtschaft

In jenem Elementarsatz: „Beim Militär gibt es keine Kleinigkeiten" lag
das Geheimnis und die Kraft deutscher Militärorganisation der Friedenszeit.
Weil im Kriege der großen Soldatenmasse „Kleinigkeiten" auf materiellem und
geistigem Gebiete nicht erfüllt wurden, wurde das alte Heer reif zum Zusammen¬
bruch, der aber nicht der des alten militärischen Systems, sondern nur deshalb
möglich wurde, weil gerade jener Elementarsatz des deutschen Militarismus, der
die peinliche Sorge um die Mannschaften in sich barg — durch die großen Fragen,
durch gewaltiges überstürztes Tagesgeschehen und zuletzt durch das Nervenmürbende
des unerwartet langen Krieges in den Hintergrund trat.

Die Reaktion hierauf war nach der Revolution das übermäßige Ausschlagen
des Pendels: Egoismus.

Auch die Reichswehr des Winters 1919/1920 leidet darunter, daß alle
idealen Gesichtspunkte bei den Mannschaften hinter den Fragen der Löhnung,


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[0030] Altes und neues Heer und auf Truppenübungsplätze verlegt. Hier hört das Politisieren auf, es besteht die Möglichkeit, mehr militärischen Dienst zu machen, das Aufeinandereinleben wird erzwungen, und der Einfluß des Offiziers wird größer. Die Verheirateten — Offiziere, wie Unteroffiziere und Mannschaften — stöhnen und schelten, daß man sie von Frau und Kind für eine Weile entfernt. Sehr zum Nutzen der Wehrmacht: denn ein Verheirateter ist nur ein halber Soldat. Daß Deutschlands Söldnerwehrmacht in unabsehbarer Zeit über¬ wiegend von Verheirateten geführt werden wird, ist mit einer der Gründe für ihre künftige Krisen. Denn der wahre Soldat, der Kern der Heere aller Völker und Zeiten — in allen Chargen — ist derjenige, welcher im militärischen Dienst und im Zusammenleben mit Kameraden aufgeht, und die Kameradschaft über die Ehe stellt. Die erste Festigung — durch die Ruhe, die scheinbare politische Gleichrichtung bei Offizier und Soldat, durch den Drill, den Sport und durch die kleinen Garnisonen — ist nur eine oberflächliche; denn die Revolution in Deutschland ist noch nicht abgeschlossen. Sie und der Krieg haben im Offizier und Soldaten die Instinkte des Außergewöhnlichem, der Unordnung und der Überschätzung der eigenen Persönlichkeit geweckt, Instinkte, die nur auf den Anlaß warten, loszu¬ brechen: Kappdämmerung. Ein freundliches Gesicht seines Soldaten verleitet den Offizier zu der An¬ nahme, eine treu ergebene Truppe hinter sich zu haben. Mangel an Weltklugheit und „materiellen" Verstand lassen auch jetzt — ebenso wie im Kriege — den Offizier vergessen, daß der Soldat ganz andere Interessen, Ideale und Trieb¬ kräfte hat, als der Offizier — viel robustere, dem täglichen Leben näherliegende. Gutgläubig wie And, sieht der Offizier nicht, daß auch ein offizierfeindlich er Soldat — fühlend, . aß sein Wohl und Wehe mehr und mehr wieder vom Offizier abhängig wird — dem Offizier aus Lebensklugheit Anhänglichkeit heucheln muß. Aber die Weltfremdheit des Offiiziers, der — selber ehrlich, solches Heucheln sich nicht vorstellen kann — macht die erste Festigung der Truppe zur Hoffnung für die Gegenrevolution: Kappdämmerung. Mißwirtschaft In jenem Elementarsatz: „Beim Militär gibt es keine Kleinigkeiten" lag das Geheimnis und die Kraft deutscher Militärorganisation der Friedenszeit. Weil im Kriege der großen Soldatenmasse „Kleinigkeiten" auf materiellem und geistigem Gebiete nicht erfüllt wurden, wurde das alte Heer reif zum Zusammen¬ bruch, der aber nicht der des alten militärischen Systems, sondern nur deshalb möglich wurde, weil gerade jener Elementarsatz des deutschen Militarismus, der die peinliche Sorge um die Mannschaften in sich barg — durch die großen Fragen, durch gewaltiges überstürztes Tagesgeschehen und zuletzt durch das Nervenmürbende des unerwartet langen Krieges in den Hintergrund trat. Die Reaktion hierauf war nach der Revolution das übermäßige Ausschlagen des Pendels: Egoismus. Auch die Reichswehr des Winters 1919/1920 leidet darunter, daß alle idealen Gesichtspunkte bei den Mannschaften hinter den Fragen der Löhnung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/30>, abgerufen am 28.04.2024.