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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Im Spiegel

"Im Spiegel"")
Thomas Mann von

VW^as ich, geehrte Redaktion, in Ihrem Spiegel erblicke, ist überraschend
und anstößig, -- ich gebe zu, daß es mir subjektiv nicht wenig
behagt, bemerke aber ausdrücklich, daß ich es in einem höheren
Sinne nicht zu billigen vermöchte.

Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit, so daß
es mir außerordentlich peinlich ist, vor Ihrem Publikum davon zu sprechen.
Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturienten¬
examen gefallen wäre, -- es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten.
Sondern ich bin überhaupt nicht bis Prima gelangt; ich war schon in Sekunda
so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das
Ganze, verhaßt bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt, ausgezeichneten
Männern, die mir -- mit vollem Recht, in voller Übereinstimmung mit aller Er¬
fahrung, aller Wahrscheinlichkeit -- den sicheren Untergang prophezeiten, und höchstens
bei einigen Mitschülern auf Grund irgendeiner schwer bestimmbaren Überlegenheit
in gewissem Ansehen: so saß ich die Jahre ab, bis man mir den Berechtigungs¬
schein zum einjährigen Militärdienst ausstellte.

Ich entwich damit nach München, wohin nach dem Tode meines Vaters,
der Inhaber einer Getreidefirma und Senator in Lübeck gewesen war, meine
Mutter ihren Wohnsitz verlegt hatte; und da ich immerhin Anstand nahm, mich
sofort und offenkundig dem Müßiggang zu überlassen, so trat ich, das Wort
"vorläufig" im Herzen, als Volontär in die Büros einer Feuerversicherungs¬
gesellschaft ein. Statt aber bestrebt zu sein, mich in die Geschäfte einzuarbeiten,
hielt ich es für gut, auf meinem Drehsessel verstohlenerweise an einer erdichteten
Erzählung zu schreiben, einer mit Versen untermischten Liebesgeschichte, die ich
dann in einer umstürzlerisch gesinnten Monatsschrift zum Abdruck gelangen ließ,
und auf die ich mir wohl gar noch etwas zugute tat.

Ich verließ das Buro, bevor man mich hinauswarf, gab an, Journalist
werden zu wollen, und hörte ein paar Semester laug an den Münchener Hoch¬
schulen in buntem und unersprießlichem Durcheinander historische, volkswirtschaft¬
liche und schönwissenschaftliche Vorlesungen. Plötzlich jedoch, wie ein rechter
Vagabund, ließ ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, wo ich mich
ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos umhertrieb. Ich verbrachte meine
Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen
nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen
Mußestunden sich zuwendet, -- und meine Abende bei Punsch und Dominospiel.
Ich besaß genau die Mittel, zu leben und unmäßig viele jener süßen Soldo-



*) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages S. Fischer, Berlin, dem demnächst er¬
scheinenden neuen Efjay-Buch von Thomas Mann entnommen.
Im Spiegel

„Im Spiegel"")
Thomas Mann von

VW^as ich, geehrte Redaktion, in Ihrem Spiegel erblicke, ist überraschend
und anstößig, — ich gebe zu, daß es mir subjektiv nicht wenig
behagt, bemerke aber ausdrücklich, daß ich es in einem höheren
Sinne nicht zu billigen vermöchte.

Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit, so daß
es mir außerordentlich peinlich ist, vor Ihrem Publikum davon zu sprechen.
Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturienten¬
examen gefallen wäre, — es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten.
Sondern ich bin überhaupt nicht bis Prima gelangt; ich war schon in Sekunda
so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das
Ganze, verhaßt bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt, ausgezeichneten
Männern, die mir — mit vollem Recht, in voller Übereinstimmung mit aller Er¬
fahrung, aller Wahrscheinlichkeit — den sicheren Untergang prophezeiten, und höchstens
bei einigen Mitschülern auf Grund irgendeiner schwer bestimmbaren Überlegenheit
in gewissem Ansehen: so saß ich die Jahre ab, bis man mir den Berechtigungs¬
schein zum einjährigen Militärdienst ausstellte.

Ich entwich damit nach München, wohin nach dem Tode meines Vaters,
der Inhaber einer Getreidefirma und Senator in Lübeck gewesen war, meine
Mutter ihren Wohnsitz verlegt hatte; und da ich immerhin Anstand nahm, mich
sofort und offenkundig dem Müßiggang zu überlassen, so trat ich, das Wort
„vorläufig" im Herzen, als Volontär in die Büros einer Feuerversicherungs¬
gesellschaft ein. Statt aber bestrebt zu sein, mich in die Geschäfte einzuarbeiten,
hielt ich es für gut, auf meinem Drehsessel verstohlenerweise an einer erdichteten
Erzählung zu schreiben, einer mit Versen untermischten Liebesgeschichte, die ich
dann in einer umstürzlerisch gesinnten Monatsschrift zum Abdruck gelangen ließ,
und auf die ich mir wohl gar noch etwas zugute tat.

Ich verließ das Buro, bevor man mich hinauswarf, gab an, Journalist
werden zu wollen, und hörte ein paar Semester laug an den Münchener Hoch¬
schulen in buntem und unersprießlichem Durcheinander historische, volkswirtschaft¬
liche und schönwissenschaftliche Vorlesungen. Plötzlich jedoch, wie ein rechter
Vagabund, ließ ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, wo ich mich
ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos umhertrieb. Ich verbrachte meine
Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen
nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen
Mußestunden sich zuwendet, — und meine Abende bei Punsch und Dominospiel.
Ich besaß genau die Mittel, zu leben und unmäßig viele jener süßen Soldo-



*) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages S. Fischer, Berlin, dem demnächst er¬
scheinenden neuen Efjay-Buch von Thomas Mann entnommen.
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[0318] Im Spiegel „Im Spiegel"") Thomas Mann von VW^as ich, geehrte Redaktion, in Ihrem Spiegel erblicke, ist überraschend und anstößig, — ich gebe zu, daß es mir subjektiv nicht wenig behagt, bemerke aber ausdrücklich, daß ich es in einem höheren Sinne nicht zu billigen vermöchte. Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit, so daß es mir außerordentlich peinlich ist, vor Ihrem Publikum davon zu sprechen. Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturienten¬ examen gefallen wäre, — es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten. Sondern ich bin überhaupt nicht bis Prima gelangt; ich war schon in Sekunda so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhaßt bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt, ausgezeichneten Männern, die mir — mit vollem Recht, in voller Übereinstimmung mit aller Er¬ fahrung, aller Wahrscheinlichkeit — den sicheren Untergang prophezeiten, und höchstens bei einigen Mitschülern auf Grund irgendeiner schwer bestimmbaren Überlegenheit in gewissem Ansehen: so saß ich die Jahre ab, bis man mir den Berechtigungs¬ schein zum einjährigen Militärdienst ausstellte. Ich entwich damit nach München, wohin nach dem Tode meines Vaters, der Inhaber einer Getreidefirma und Senator in Lübeck gewesen war, meine Mutter ihren Wohnsitz verlegt hatte; und da ich immerhin Anstand nahm, mich sofort und offenkundig dem Müßiggang zu überlassen, so trat ich, das Wort „vorläufig" im Herzen, als Volontär in die Büros einer Feuerversicherungs¬ gesellschaft ein. Statt aber bestrebt zu sein, mich in die Geschäfte einzuarbeiten, hielt ich es für gut, auf meinem Drehsessel verstohlenerweise an einer erdichteten Erzählung zu schreiben, einer mit Versen untermischten Liebesgeschichte, die ich dann in einer umstürzlerisch gesinnten Monatsschrift zum Abdruck gelangen ließ, und auf die ich mir wohl gar noch etwas zugute tat. Ich verließ das Buro, bevor man mich hinauswarf, gab an, Journalist werden zu wollen, und hörte ein paar Semester laug an den Münchener Hoch¬ schulen in buntem und unersprießlichem Durcheinander historische, volkswirtschaft¬ liche und schönwissenschaftliche Vorlesungen. Plötzlich jedoch, wie ein rechter Vagabund, ließ ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, wo ich mich ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos umhertrieb. Ich verbrachte meine Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen Mußestunden sich zuwendet, — und meine Abende bei Punsch und Dominospiel. Ich besaß genau die Mittel, zu leben und unmäßig viele jener süßen Soldo- *) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages S. Fischer, Berlin, dem demnächst er¬ scheinenden neuen Efjay-Buch von Thomas Mann entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/318>, abgerufen am 28.04.2024.