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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Von Westen nach Osten. Wenn deutsche Politiker Reden an ihre
Parteifreunde halten, so handeln sie meistens, als ob es weder Zeitungen
noch Telegraph gäbe. Hat Herr Stresemcmn sich klar gemacht, wie
seine Pforzheimer Rede "im Auslande wirken muß? Ohne Zweifel ist
es richtig, wenn er es ablehnt, die Orientierung der Innenpolitik von ihrem
Einfluß auf die außenpolitische Wirkung abhängig zu machen. Jnnerpolitisch
soll man immer nur das Notwendige und Richtige tun. Außerdem haben die
Ereignisse zur Genüge bewiesen, daß selbst eine sozialistische Negierung die
außenpolitische Lage nicht zu verbessern vermag; das einzige, wirklich richtige
Abkommen seit dem Friedensvertrag, das auf dem Fuße der Verhandlung von
Gleich zu Gleich zustande kam, ist nicht mit einem Sozialdemokraten, sondern mit
dem bürgerlichen Rathenau abgeschlossen worden. Wenn aber Herr Stresemcmn
dann fortfährt, erneut die Unerfüllbarkeit des Londoner Ultimatums zu betonen,
so ist das ganz gewiß nicht der Weg, die Anhänger deutsch-französischer Zusam¬
menarbeit in Frankreich zu stärken, und falls nicht England wieder einen hehre
energischen Vorstoß gegen Briand unternimmt, wozu bei den sonstigen Sorgen
Englands, und nachdem wir selbst so töricht gewesen sind, die Aktion zugunsten
unserer Aufnahme in den Völkerbund, für die die Stimmung in Genf sogar
nach französischen Berichten günstig war, aufzugeben, in absehbarer Zeit kein
Anlaß geboten sein dürfte, so kann Herrn Stresemanns unbedachte Äußerung,
die um mindestens acht Wochen zu früh kam, sogar dem Kabinett Briand die
Macht kosten. Denn in Frankreich hat die Opposition stets die Behauptung auf¬
gestellt, daß das Kabinett Wirth nur Lückenbüßer und Platzhalter für die Be¬
strebungen der Schwerindustrie sei, und scheint nun Recht zu bekommen. Ich
bin gewiß für aktive Politik, aber in diesem Falle mußte man warten, bis> die
Strömung, die in Frankreich auf Verständigung ausging, erstarkte, bis in Eng¬
land die Arbeitslosennot so gestiegen war, daß man, um sich den Kunden Deutsch¬
land zu erhalten, auf weitere deutsche Zahlungen von selbst verzichtete und bis
die ganze Frage erneut, wie beabsichtigt zu sein scheint, auf der Washingtoner
Konferenz zur Diskussion gestellt wurde. Aber Herr Strcsemaun kann nicht
warten, er hat von jeher etwas von Erzbergers Hastigkeit gehabt, und es wäre,
wie sich aus seinem Verhalten während des Krieges leicht nachweisen ließe, ver¬
hängnisvoll, ihm irgend welchen Einfluß auf die Führung der außenpolitischen
Geschäfte einzuräumen.

Herr Stresemann könnte von König Karl von Ungarn lernen, der nie
Reden hält und dabei doch tut, was er will. Seine zweite Rückkehr nach Ungarn
steht bevor, und wenn es ihm auch nicht gelungen ist, die mit vielem, ohne
Zweifel französischem, vielleicht auch klerikalen Gelde vorbereitete Aufnahme
Ungarns in den Völkerbund durchzusetzen, die seine Rückkehr in formal-juristi¬
scher Beziehung erleichtert hätte, der aber die Rumänen, ohne Zweifel im Auftrage
der gesamten kleinen Entente, widerstrebten, und wenn auch das Ultimatum der
Entente an Ungarn in bestimmterer Form Räumung des Burgenlandes fordert,
so hat man in Ungarn, wo die monarchistische Bewegung inzwischen noch stärker ge¬
worden ist, als sie im Frühling war, Gründe, dies nicht so schrecklich tragisch auf¬
zufassen. Denn erstens ist dies Ultimatum nur nach beträchtlichem Zögern und
Schwanken zustande gekommen, zweitens hat die Entente das mit verdächtigem
Eifer gemachte Anerbieten der getreuen Nachbarn, der Tschechei und Südslawien,
Ungarn zur Raison zu zwingen unter der Befürchtung, der schon lang erstrebte
und bei dieser Gelegenheit nun leicht und rasch mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit
errungene tschechisch-südslawische Korridor könnte die auf solche Weise vereinigten
Slawen zu weiterer Emanzipation von der großen Entente ermutigen, abgelehnt.
Drittens sieht das Ultimatum selbst schon vierzehn Tage zur Räumung vor, in
denen viel geschehen kann, und viertens macht es keineswegs den Eindruck
großer Entschlossenheit. In der Tat ist die große Entente Ungarn gegenüber
in nicht geringer Verlegenheit. Daß eine Blockade Ungarn nicht trifft, sondern


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Von Westen nach Osten. Wenn deutsche Politiker Reden an ihre
Parteifreunde halten, so handeln sie meistens, als ob es weder Zeitungen
noch Telegraph gäbe. Hat Herr Stresemcmn sich klar gemacht, wie
seine Pforzheimer Rede "im Auslande wirken muß? Ohne Zweifel ist
es richtig, wenn er es ablehnt, die Orientierung der Innenpolitik von ihrem
Einfluß auf die außenpolitische Wirkung abhängig zu machen. Jnnerpolitisch
soll man immer nur das Notwendige und Richtige tun. Außerdem haben die
Ereignisse zur Genüge bewiesen, daß selbst eine sozialistische Negierung die
außenpolitische Lage nicht zu verbessern vermag; das einzige, wirklich richtige
Abkommen seit dem Friedensvertrag, das auf dem Fuße der Verhandlung von
Gleich zu Gleich zustande kam, ist nicht mit einem Sozialdemokraten, sondern mit
dem bürgerlichen Rathenau abgeschlossen worden. Wenn aber Herr Stresemcmn
dann fortfährt, erneut die Unerfüllbarkeit des Londoner Ultimatums zu betonen,
so ist das ganz gewiß nicht der Weg, die Anhänger deutsch-französischer Zusam¬
menarbeit in Frankreich zu stärken, und falls nicht England wieder einen hehre
energischen Vorstoß gegen Briand unternimmt, wozu bei den sonstigen Sorgen
Englands, und nachdem wir selbst so töricht gewesen sind, die Aktion zugunsten
unserer Aufnahme in den Völkerbund, für die die Stimmung in Genf sogar
nach französischen Berichten günstig war, aufzugeben, in absehbarer Zeit kein
Anlaß geboten sein dürfte, so kann Herrn Stresemanns unbedachte Äußerung,
die um mindestens acht Wochen zu früh kam, sogar dem Kabinett Briand die
Macht kosten. Denn in Frankreich hat die Opposition stets die Behauptung auf¬
gestellt, daß das Kabinett Wirth nur Lückenbüßer und Platzhalter für die Be¬
strebungen der Schwerindustrie sei, und scheint nun Recht zu bekommen. Ich
bin gewiß für aktive Politik, aber in diesem Falle mußte man warten, bis> die
Strömung, die in Frankreich auf Verständigung ausging, erstarkte, bis in Eng¬
land die Arbeitslosennot so gestiegen war, daß man, um sich den Kunden Deutsch¬
land zu erhalten, auf weitere deutsche Zahlungen von selbst verzichtete und bis
die ganze Frage erneut, wie beabsichtigt zu sein scheint, auf der Washingtoner
Konferenz zur Diskussion gestellt wurde. Aber Herr Strcsemaun kann nicht
warten, er hat von jeher etwas von Erzbergers Hastigkeit gehabt, und es wäre,
wie sich aus seinem Verhalten während des Krieges leicht nachweisen ließe, ver¬
hängnisvoll, ihm irgend welchen Einfluß auf die Führung der außenpolitischen
Geschäfte einzuräumen.

Herr Stresemann könnte von König Karl von Ungarn lernen, der nie
Reden hält und dabei doch tut, was er will. Seine zweite Rückkehr nach Ungarn
steht bevor, und wenn es ihm auch nicht gelungen ist, die mit vielem, ohne
Zweifel französischem, vielleicht auch klerikalen Gelde vorbereitete Aufnahme
Ungarns in den Völkerbund durchzusetzen, die seine Rückkehr in formal-juristi¬
scher Beziehung erleichtert hätte, der aber die Rumänen, ohne Zweifel im Auftrage
der gesamten kleinen Entente, widerstrebten, und wenn auch das Ultimatum der
Entente an Ungarn in bestimmterer Form Räumung des Burgenlandes fordert,
so hat man in Ungarn, wo die monarchistische Bewegung inzwischen noch stärker ge¬
worden ist, als sie im Frühling war, Gründe, dies nicht so schrecklich tragisch auf¬
zufassen. Denn erstens ist dies Ultimatum nur nach beträchtlichem Zögern und
Schwanken zustande gekommen, zweitens hat die Entente das mit verdächtigem
Eifer gemachte Anerbieten der getreuen Nachbarn, der Tschechei und Südslawien,
Ungarn zur Raison zu zwingen unter der Befürchtung, der schon lang erstrebte
und bei dieser Gelegenheit nun leicht und rasch mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit
errungene tschechisch-südslawische Korridor könnte die auf solche Weise vereinigten
Slawen zu weiterer Emanzipation von der großen Entente ermutigen, abgelehnt.
Drittens sieht das Ultimatum selbst schon vierzehn Tage zur Räumung vor, in
denen viel geschehen kann, und viertens macht es keineswegs den Eindruck
großer Entschlossenheit. In der Tat ist die große Entente Ungarn gegenüber
in nicht geringer Verlegenheit. Daß eine Blockade Ungarn nicht trifft, sondern


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[0034] Weltspiegel Weltspiegel Von Westen nach Osten. Wenn deutsche Politiker Reden an ihre Parteifreunde halten, so handeln sie meistens, als ob es weder Zeitungen noch Telegraph gäbe. Hat Herr Stresemcmn sich klar gemacht, wie seine Pforzheimer Rede "im Auslande wirken muß? Ohne Zweifel ist es richtig, wenn er es ablehnt, die Orientierung der Innenpolitik von ihrem Einfluß auf die außenpolitische Wirkung abhängig zu machen. Jnnerpolitisch soll man immer nur das Notwendige und Richtige tun. Außerdem haben die Ereignisse zur Genüge bewiesen, daß selbst eine sozialistische Negierung die außenpolitische Lage nicht zu verbessern vermag; das einzige, wirklich richtige Abkommen seit dem Friedensvertrag, das auf dem Fuße der Verhandlung von Gleich zu Gleich zustande kam, ist nicht mit einem Sozialdemokraten, sondern mit dem bürgerlichen Rathenau abgeschlossen worden. Wenn aber Herr Stresemcmn dann fortfährt, erneut die Unerfüllbarkeit des Londoner Ultimatums zu betonen, so ist das ganz gewiß nicht der Weg, die Anhänger deutsch-französischer Zusam¬ menarbeit in Frankreich zu stärken, und falls nicht England wieder einen hehre energischen Vorstoß gegen Briand unternimmt, wozu bei den sonstigen Sorgen Englands, und nachdem wir selbst so töricht gewesen sind, die Aktion zugunsten unserer Aufnahme in den Völkerbund, für die die Stimmung in Genf sogar nach französischen Berichten günstig war, aufzugeben, in absehbarer Zeit kein Anlaß geboten sein dürfte, so kann Herrn Stresemanns unbedachte Äußerung, die um mindestens acht Wochen zu früh kam, sogar dem Kabinett Briand die Macht kosten. Denn in Frankreich hat die Opposition stets die Behauptung auf¬ gestellt, daß das Kabinett Wirth nur Lückenbüßer und Platzhalter für die Be¬ strebungen der Schwerindustrie sei, und scheint nun Recht zu bekommen. Ich bin gewiß für aktive Politik, aber in diesem Falle mußte man warten, bis> die Strömung, die in Frankreich auf Verständigung ausging, erstarkte, bis in Eng¬ land die Arbeitslosennot so gestiegen war, daß man, um sich den Kunden Deutsch¬ land zu erhalten, auf weitere deutsche Zahlungen von selbst verzichtete und bis die ganze Frage erneut, wie beabsichtigt zu sein scheint, auf der Washingtoner Konferenz zur Diskussion gestellt wurde. Aber Herr Strcsemaun kann nicht warten, er hat von jeher etwas von Erzbergers Hastigkeit gehabt, und es wäre, wie sich aus seinem Verhalten während des Krieges leicht nachweisen ließe, ver¬ hängnisvoll, ihm irgend welchen Einfluß auf die Führung der außenpolitischen Geschäfte einzuräumen. Herr Stresemann könnte von König Karl von Ungarn lernen, der nie Reden hält und dabei doch tut, was er will. Seine zweite Rückkehr nach Ungarn steht bevor, und wenn es ihm auch nicht gelungen ist, die mit vielem, ohne Zweifel französischem, vielleicht auch klerikalen Gelde vorbereitete Aufnahme Ungarns in den Völkerbund durchzusetzen, die seine Rückkehr in formal-juristi¬ scher Beziehung erleichtert hätte, der aber die Rumänen, ohne Zweifel im Auftrage der gesamten kleinen Entente, widerstrebten, und wenn auch das Ultimatum der Entente an Ungarn in bestimmterer Form Räumung des Burgenlandes fordert, so hat man in Ungarn, wo die monarchistische Bewegung inzwischen noch stärker ge¬ worden ist, als sie im Frühling war, Gründe, dies nicht so schrecklich tragisch auf¬ zufassen. Denn erstens ist dies Ultimatum nur nach beträchtlichem Zögern und Schwanken zustande gekommen, zweitens hat die Entente das mit verdächtigem Eifer gemachte Anerbieten der getreuen Nachbarn, der Tschechei und Südslawien, Ungarn zur Raison zu zwingen unter der Befürchtung, der schon lang erstrebte und bei dieser Gelegenheit nun leicht und rasch mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit errungene tschechisch-südslawische Korridor könnte die auf solche Weise vereinigten Slawen zu weiterer Emanzipation von der großen Entente ermutigen, abgelehnt. Drittens sieht das Ultimatum selbst schon vierzehn Tage zur Räumung vor, in denen viel geschehen kann, und viertens macht es keineswegs den Eindruck großer Entschlossenheit. In der Tat ist die große Entente Ungarn gegenüber in nicht geringer Verlegenheit. Daß eine Blockade Ungarn nicht trifft, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/34>, abgerufen am 28.04.2024.