Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Mittler

Der Mittler
Houston Stewart Lhamberlain *) von

ju den Gedankengestalten Mensch und Gott pflegt sich mit fast
gleicher Naturnotwendigkeit eine dritte zu gesellen, die freilich schon
auf der Grenze des dichtenden Mythos steht und diese Grenze wohl
immer bald überschreitet, die aber, eine kurze Betrachtung in ihrer
ursprünglichen Reinheit verdient, da sowohl Mythos wie Geschichte
aus der klaren Erfassung des einfachen Grundgedankens verständlicher werden:
ich rede von der Vorstellung eines Mittlers zwischen Mensch und Gott.

Diese Idee eines Mittlers, oder, wenn nicht eines tatsächlichen Mittlers,
dann wenigstens irgendeiner vermittelnden Handlung, ist über die Welt weit ver¬
breitet. Werden wir uns erst unserer Vorstellung Mensch als die eines einzig¬
artigen kosmischen Phänomens bewußt, so wächst die Kraft des "emporstrebenden
Willens" mehr und mehr: Gott wird immer dringender benötigt, weicht aber, je
stürmischer unser Wille die Hände nach ihm ausstreckt, immer weiter zurück:
auch dies muß als eine naturnotwendige Tatsache unseres Gemütes erkannt wer¬
de", die uns aus anderen überquer entstehenden Ideen -- wie Freiheit und Not¬
wendigkeit .....- bereits vertraut ist. Da nun gebiert die Sehnsucht die Vor¬
stellung eines zwischen Gott und Mensch vermittelnden Wesens: sel es, daß ein
menschengeartetcs sich bis zur Gottheit aufschwinge, uns anderen die Wege dorthin
bahnend; sei es, daß das "höchste gute Wesen, der Vater im Hrmmel", sich in
Liebe herabueige und -- auf irgend eine, vom Verstände nie auszudeutende
Weise - ^ uns von seinem Wesen etwas mitteilt -- uns dadurch zu sich empor¬
hebend. Beiden Vorstellungen dem gottgewordenen Menschen und dem nienfch-
gewvrdeueu Gotte ..... begeg.neu wir auf allen Seilen; im Gründe genommen
gleichen- sie einander vollkommen und bedeuten die zwei möglichen Arten, den¬
selben Gednukeu deS Mittlers auszugestalten. Inmitten der bunten, unaus¬
denkbare!,, phantastischen, oft an Wahnsinn grenzenden Fülle, aus welcher unsere
"Religwuen" gewoben siud, bildet der Gedanke -- besser gesagt die Gcdanken-
gestalt - des Mittlers den eigentlich und wahrhaft religiösen Kern, neben wel¬
chem alles übrige nur als Beiwerk gelten muß als em mehr oder minder zu¬
fälliges Beiwerk, zeitlich bedingt und zum Teil rein willkürlich, oft sogar un¬
mittelbar unreligiös, wenn nicht gar antireligiös.

Wir tun folglich gut daran, drei Gedankengestalten deutlich ins Auge zu
fassen: der "gottwürts schauende Mensch" (wie der alte Chaucer sich ausdrückt),
d. h. derjenige Mensch, der sich bewußt ist, mit seinem Wesen über die Erschei-
"nngswelt hinaufzureichen ...... der Gott, dessen Gegenwart er ahnt und dessen
Beistand er erlebt --, dazu eine zwischen diesen beiden vermittelnde Kraft: diese
drei Gedanleugestalteu bilden den Inhalt aller Religion.



*) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags F. Bruckmmm A. G., München, dein neuen
Werk Chamberlains: "Mensch und Gott, Betrachtungen über Religion und Christentum",
entnommen.
Der Mittler

Der Mittler
Houston Stewart Lhamberlain *) von

ju den Gedankengestalten Mensch und Gott pflegt sich mit fast
gleicher Naturnotwendigkeit eine dritte zu gesellen, die freilich schon
auf der Grenze des dichtenden Mythos steht und diese Grenze wohl
immer bald überschreitet, die aber, eine kurze Betrachtung in ihrer
ursprünglichen Reinheit verdient, da sowohl Mythos wie Geschichte
aus der klaren Erfassung des einfachen Grundgedankens verständlicher werden:
ich rede von der Vorstellung eines Mittlers zwischen Mensch und Gott.

Diese Idee eines Mittlers, oder, wenn nicht eines tatsächlichen Mittlers,
dann wenigstens irgendeiner vermittelnden Handlung, ist über die Welt weit ver¬
breitet. Werden wir uns erst unserer Vorstellung Mensch als die eines einzig¬
artigen kosmischen Phänomens bewußt, so wächst die Kraft des „emporstrebenden
Willens" mehr und mehr: Gott wird immer dringender benötigt, weicht aber, je
stürmischer unser Wille die Hände nach ihm ausstreckt, immer weiter zurück:
auch dies muß als eine naturnotwendige Tatsache unseres Gemütes erkannt wer¬
de», die uns aus anderen überquer entstehenden Ideen — wie Freiheit und Not¬
wendigkeit .....- bereits vertraut ist. Da nun gebiert die Sehnsucht die Vor¬
stellung eines zwischen Gott und Mensch vermittelnden Wesens: sel es, daß ein
menschengeartetcs sich bis zur Gottheit aufschwinge, uns anderen die Wege dorthin
bahnend; sei es, daß das „höchste gute Wesen, der Vater im Hrmmel", sich in
Liebe herabueige und — auf irgend eine, vom Verstände nie auszudeutende
Weise - ^ uns von seinem Wesen etwas mitteilt — uns dadurch zu sich empor¬
hebend. Beiden Vorstellungen dem gottgewordenen Menschen und dem nienfch-
gewvrdeueu Gotte ..... begeg.neu wir auf allen Seilen; im Gründe genommen
gleichen- sie einander vollkommen und bedeuten die zwei möglichen Arten, den¬
selben Gednukeu deS Mittlers auszugestalten. Inmitten der bunten, unaus¬
denkbare!,, phantastischen, oft an Wahnsinn grenzenden Fülle, aus welcher unsere
„Religwuen" gewoben siud, bildet der Gedanke — besser gesagt die Gcdanken-
gestalt - des Mittlers den eigentlich und wahrhaft religiösen Kern, neben wel¬
chem alles übrige nur als Beiwerk gelten muß als em mehr oder minder zu¬
fälliges Beiwerk, zeitlich bedingt und zum Teil rein willkürlich, oft sogar un¬
mittelbar unreligiös, wenn nicht gar antireligiös.

Wir tun folglich gut daran, drei Gedankengestalten deutlich ins Auge zu
fassen: der „gottwürts schauende Mensch" (wie der alte Chaucer sich ausdrückt),
d. h. derjenige Mensch, der sich bewußt ist, mit seinem Wesen über die Erschei-
»nngswelt hinaufzureichen ...... der Gott, dessen Gegenwart er ahnt und dessen
Beistand er erlebt —, dazu eine zwischen diesen beiden vermittelnde Kraft: diese
drei Gedanleugestalteu bilden den Inhalt aller Religion.



*) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags F. Bruckmmm A. G., München, dein neuen
Werk Chamberlains: „Mensch und Gott, Betrachtungen über Religion und Christentum",
entnommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339978"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Mittler</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Mittler<lb/><note type="byline"> Houston Stewart Lhamberlain *)</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1902"> ju den Gedankengestalten Mensch und Gott pflegt sich mit fast<lb/>
gleicher Naturnotwendigkeit eine dritte zu gesellen, die freilich schon<lb/>
auf der Grenze des dichtenden Mythos steht und diese Grenze wohl<lb/>
immer bald überschreitet, die aber, eine kurze Betrachtung in ihrer<lb/>
ursprünglichen Reinheit verdient, da sowohl Mythos wie Geschichte<lb/>
aus der klaren Erfassung des einfachen Grundgedankens verständlicher werden:<lb/>
ich rede von der Vorstellung eines Mittlers zwischen Mensch und Gott.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1903"> Diese Idee eines Mittlers, oder, wenn nicht eines tatsächlichen Mittlers,<lb/>
dann wenigstens irgendeiner vermittelnden Handlung, ist über die Welt weit ver¬<lb/>
breitet. Werden wir uns erst unserer Vorstellung Mensch als die eines einzig¬<lb/>
artigen kosmischen Phänomens bewußt, so wächst die Kraft des &#x201E;emporstrebenden<lb/>
Willens" mehr und mehr: Gott wird immer dringender benötigt, weicht aber, je<lb/>
stürmischer unser Wille die Hände nach ihm ausstreckt, immer weiter zurück:<lb/>
auch dies muß als eine naturnotwendige Tatsache unseres Gemütes erkannt wer¬<lb/>
de», die uns aus anderen überquer entstehenden Ideen &#x2014; wie Freiheit und Not¬<lb/>
wendigkeit .....- bereits vertraut ist. Da nun gebiert die Sehnsucht die Vor¬<lb/>
stellung eines zwischen Gott und Mensch vermittelnden Wesens: sel es, daß ein<lb/>
menschengeartetcs sich bis zur Gottheit aufschwinge, uns anderen die Wege dorthin<lb/>
bahnend; sei es, daß das &#x201E;höchste gute Wesen, der Vater im Hrmmel", sich in<lb/>
Liebe herabueige und &#x2014; auf irgend eine, vom Verstände nie auszudeutende<lb/>
Weise - ^ uns von seinem Wesen etwas mitteilt &#x2014; uns dadurch zu sich empor¬<lb/>
hebend.  Beiden Vorstellungen   dem gottgewordenen Menschen und dem nienfch-<lb/>
gewvrdeueu Gotte .....   begeg.neu wir auf allen Seilen; im Gründe genommen<lb/>
gleichen- sie einander vollkommen und bedeuten die zwei möglichen Arten, den¬<lb/>
selben Gednukeu deS Mittlers auszugestalten. Inmitten der bunten, unaus¬<lb/>
denkbare!,, phantastischen, oft an Wahnsinn grenzenden Fülle, aus welcher unsere<lb/>
&#x201E;Religwuen" gewoben siud, bildet der Gedanke &#x2014; besser gesagt die Gcdanken-<lb/>
gestalt - des Mittlers den eigentlich und wahrhaft religiösen Kern, neben wel¬<lb/>
chem alles übrige nur als Beiwerk gelten muß als em mehr oder minder zu¬<lb/>
fälliges Beiwerk, zeitlich bedingt und zum Teil rein willkürlich, oft sogar un¬<lb/>
mittelbar unreligiös, wenn nicht gar antireligiös.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1904"> Wir tun folglich gut daran, drei Gedankengestalten deutlich ins Auge zu<lb/>
fassen: der &#x201E;gottwürts schauende Mensch" (wie der alte Chaucer sich ausdrückt),<lb/>
d. h. derjenige Mensch, der sich bewußt ist, mit seinem Wesen über die Erschei-<lb/>
»nngswelt hinaufzureichen ......   der Gott, dessen Gegenwart er ahnt und dessen<lb/>
Beistand er erlebt &#x2014;, dazu eine zwischen diesen beiden vermittelnde Kraft: diese<lb/>
drei Gedanleugestalteu bilden den Inhalt aller Religion.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_67" place="foot"> *) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags F. Bruckmmm A. G., München, dein neuen<lb/>
Werk Chamberlains: &#x201E;Mensch und Gott, Betrachtungen über Religion und Christentum",<lb/>
entnommen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Der Mittler Der Mittler Houston Stewart Lhamberlain *) von ju den Gedankengestalten Mensch und Gott pflegt sich mit fast gleicher Naturnotwendigkeit eine dritte zu gesellen, die freilich schon auf der Grenze des dichtenden Mythos steht und diese Grenze wohl immer bald überschreitet, die aber, eine kurze Betrachtung in ihrer ursprünglichen Reinheit verdient, da sowohl Mythos wie Geschichte aus der klaren Erfassung des einfachen Grundgedankens verständlicher werden: ich rede von der Vorstellung eines Mittlers zwischen Mensch und Gott. Diese Idee eines Mittlers, oder, wenn nicht eines tatsächlichen Mittlers, dann wenigstens irgendeiner vermittelnden Handlung, ist über die Welt weit ver¬ breitet. Werden wir uns erst unserer Vorstellung Mensch als die eines einzig¬ artigen kosmischen Phänomens bewußt, so wächst die Kraft des „emporstrebenden Willens" mehr und mehr: Gott wird immer dringender benötigt, weicht aber, je stürmischer unser Wille die Hände nach ihm ausstreckt, immer weiter zurück: auch dies muß als eine naturnotwendige Tatsache unseres Gemütes erkannt wer¬ de», die uns aus anderen überquer entstehenden Ideen — wie Freiheit und Not¬ wendigkeit .....- bereits vertraut ist. Da nun gebiert die Sehnsucht die Vor¬ stellung eines zwischen Gott und Mensch vermittelnden Wesens: sel es, daß ein menschengeartetcs sich bis zur Gottheit aufschwinge, uns anderen die Wege dorthin bahnend; sei es, daß das „höchste gute Wesen, der Vater im Hrmmel", sich in Liebe herabueige und — auf irgend eine, vom Verstände nie auszudeutende Weise - ^ uns von seinem Wesen etwas mitteilt — uns dadurch zu sich empor¬ hebend. Beiden Vorstellungen dem gottgewordenen Menschen und dem nienfch- gewvrdeueu Gotte ..... begeg.neu wir auf allen Seilen; im Gründe genommen gleichen- sie einander vollkommen und bedeuten die zwei möglichen Arten, den¬ selben Gednukeu deS Mittlers auszugestalten. Inmitten der bunten, unaus¬ denkbare!,, phantastischen, oft an Wahnsinn grenzenden Fülle, aus welcher unsere „Religwuen" gewoben siud, bildet der Gedanke — besser gesagt die Gcdanken- gestalt - des Mittlers den eigentlich und wahrhaft religiösen Kern, neben wel¬ chem alles übrige nur als Beiwerk gelten muß als em mehr oder minder zu¬ fälliges Beiwerk, zeitlich bedingt und zum Teil rein willkürlich, oft sogar un¬ mittelbar unreligiös, wenn nicht gar antireligiös. Wir tun folglich gut daran, drei Gedankengestalten deutlich ins Auge zu fassen: der „gottwürts schauende Mensch" (wie der alte Chaucer sich ausdrückt), d. h. derjenige Mensch, der sich bewußt ist, mit seinem Wesen über die Erschei- »nngswelt hinaufzureichen ...... der Gott, dessen Gegenwart er ahnt und dessen Beistand er erlebt —, dazu eine zwischen diesen beiden vermittelnde Kraft: diese drei Gedanleugestalteu bilden den Inhalt aller Religion. *) Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags F. Bruckmmm A. G., München, dein neuen Werk Chamberlains: „Mensch und Gott, Betrachtungen über Religion und Christentum", entnommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/429>, abgerufen am 28.04.2024.