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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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[Beginn Spaltensatz]
Rudolf Otto, Das Heilige. Über das
Irrationale in der Idee des Göttlichen
und sein Verhältnis zum Rationalen.
7. Auflage. Breslau, Trewent u. Graner.
19S2. Brosch. M. 26.--, geh. M. 32.50.

Das Werk des führenden Marburger
Theologen hat seit 1917 schon sieben Auf¬
lagen erlebt. Es gilt im allgemeinen als
das klassische Werk auf der Grenze zwischen
Religionsphilosophie, Neligionspsychologie
und Religionsgeschichte, welches die liberale
Theologie unserer Tage in Deutschland her¬
vorgebracht hat. Nur die Werke Heilers und
die Religionsphilosophie von Scholz werden
Hin zur Seite gestellt. Man erwarte indes
von dieser Behandlungsart keinen unmittel¬
baren Zugang zum Gotteserlebnis. Es ist,
als ob man mit dem Bädecker in die Kirche
tritt. Was diese kritisch-liberale Philosophie
der Religion leisten kann, wo ihr Stand¬
punkt hoch, ihr Gesichtskreis weit ist, das
lehrt in Stil und Darstellungsart sehr zeit¬
gemäß dieses Buch.

Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen
Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über
die Beziehungen zwischen Philosophie und
Rechtswissenschaft. Tübingen 1921. I. C.
B. Mohr (Paul Siebeck), Geh. M. 24.-.

Der bekannte Bonner Rechtslehrer stellt
sich in dieser flüssig und klar geschriebenen
Streitschrift auf die Seite derer, welche
an Stelle des Formalphilosophierens der Neu¬
kantianer wieder inhaltliche Philosophie for¬
dern und dabei vor dem Namen der Meta¬
physik nicht zurückscheuen. Hegel und Stahl
sind die Rechtsphilosophen, deren Haltung
im Rahmen und mit den Mitteln der mo¬
dernen Wissenschaft Kaufmann zu erneuern
strebt.

Richard Müller-Freienfels, "Philosophie der
Individualität". Leipzig, Felix Meiner.
1921. XI, 272 S.

Aus dem reichen Inhalt dieses anregenden
Buches, das von dem Begriffe der Indi¬
vidualität aus die wichtigsten Philosophischen
Fragen -- so das Problem der Werte, des
Vitalismus, der Freiheit, der Unsterblichkeit --
in Ilar geschriebenen Darlegungen behandelt,
sollen hier nur zwei Gedankenreihen heraus¬
gehoben werden, die mir für das Wesen
und den Wert des Ganzen ausschlaggebend
zu sein scheinen: die Unterscheidung der
sieben "Aspekts" der Individualität und die
Betonung ihrer trotz aller Nationalisierung
irrationalen Untergrunde.

Die von dem Verfasser geschilderten

[Spaltenumbruch]

Aspekts oder Erscheinungsweisen der In¬
dividualität sind: das unmittelbar erlebte
Ich-Bewußtsein (Momentan-Jch), das leib¬
liche Ich, die Seele als das (nach Müllers
Ansicht nur fiktive) psychische Substrat der
Individualität, das "Mein", als der geistige
Besitzstand des Ich. das "Jnnenbild", als
der zusammenfassende Begriff von der eige¬
nen Individualität, das "Auszenbilh", als
die (auf das Jnnenbild stark einwirkende)
Vorstellung der Mitwelt von unserem Wesen
und endlich die Objektivation des Indivi¬
duums in seinen Handlungen und Werken.
Diese Zergliederung, die dem lebenskundigen
Verfasser zu treffenden Ausführungen Anlaß
bietet, ist zugleich methodisch wertvoll, indem
sie bei vielen Erörterungen, so z. B. bei der
Frage nach den Veränderungen der Indivi¬
dualität, die Disposition bestimmt, nach der
der Gegenstand allseitig beleuchtet wird.

Der zweite Hauptgedanke liegt in der
Lehre von der Wurzelsesten Irrationa¬
lität der menschlichen Seele. Es wird
zwar ausführlich und lehrreich dargelegt,
wie das Leben darauf ausgeht, durch Ge¬
wöhnung, Anpassung und Nachahmung das
Individuum einheitlicher, dauernder, ver¬
gleichbarer, abgrenzbarer zu machen und wie
diese tatsächliche Nationalisierung noch durch
mancherlei Fiktionen unterstützt wird. Aber
die tiefsten Gründe unseres Wesens sind und
bleiben nach "der Ansicht des Verfassers irra¬
tional, eine Überzeugung, die auch bei Vol-
kelt, Vaihinger und anderen Denkern hervor¬
tritt und die Goethe in Wilhelm Meisters
Lehrjahren (IV, Kap. 18) so hübsch zum
Ausdruck bringt, wenn er von den verstän¬
digen Menschen redet, "die wohl einsehen,
daß die Summe unserer Existenz, durch
Vernunft dividiert, niemals rein aufgehe,
sondern daß immer ein wunderlicher Bruch
übrig bleibe." -- Ob dabei unter dem
Irrationalen nicht nur das für die Vernunft
Unergründliche, sondern auch das direkt
Widervernünftige (den Satz vom Wider¬
spruch Aufhebende) zu verstehen sei, ist eine
Frage, die an dieser Stelle nicht erörtert
werden kann.

Prof. Dr. Rarl Gross
Jug. Johann Wiesner, Die Freiheit des
menschlichen Willens. Wien und Leipzig,
Wilhelm Braumüller. Oktav, 88 Seiten,
Preis geh. 8 Kr.

Im Vorwort fällt der Verfasser ein
hartes Urteil über die "Schulphilosophie"
Deutschlands, die sich einer der Allgemein-

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Rudolf Otto, Das Heilige. Über das
Irrationale in der Idee des Göttlichen
und sein Verhältnis zum Rationalen.
7. Auflage. Breslau, Trewent u. Graner.
19S2. Brosch. M. 26.—, geh. M. 32.50.

Das Werk des führenden Marburger
Theologen hat seit 1917 schon sieben Auf¬
lagen erlebt. Es gilt im allgemeinen als
das klassische Werk auf der Grenze zwischen
Religionsphilosophie, Neligionspsychologie
und Religionsgeschichte, welches die liberale
Theologie unserer Tage in Deutschland her¬
vorgebracht hat. Nur die Werke Heilers und
die Religionsphilosophie von Scholz werden
Hin zur Seite gestellt. Man erwarte indes
von dieser Behandlungsart keinen unmittel¬
baren Zugang zum Gotteserlebnis. Es ist,
als ob man mit dem Bädecker in die Kirche
tritt. Was diese kritisch-liberale Philosophie
der Religion leisten kann, wo ihr Stand¬
punkt hoch, ihr Gesichtskreis weit ist, das
lehrt in Stil und Darstellungsart sehr zeit¬
gemäß dieses Buch.

Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen
Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über
die Beziehungen zwischen Philosophie und
Rechtswissenschaft. Tübingen 1921. I. C.
B. Mohr (Paul Siebeck), Geh. M. 24.-.

Der bekannte Bonner Rechtslehrer stellt
sich in dieser flüssig und klar geschriebenen
Streitschrift auf die Seite derer, welche
an Stelle des Formalphilosophierens der Neu¬
kantianer wieder inhaltliche Philosophie for¬
dern und dabei vor dem Namen der Meta¬
physik nicht zurückscheuen. Hegel und Stahl
sind die Rechtsphilosophen, deren Haltung
im Rahmen und mit den Mitteln der mo¬
dernen Wissenschaft Kaufmann zu erneuern
strebt.

Richard Müller-Freienfels, „Philosophie der
Individualität". Leipzig, Felix Meiner.
1921. XI, 272 S.

Aus dem reichen Inhalt dieses anregenden
Buches, das von dem Begriffe der Indi¬
vidualität aus die wichtigsten Philosophischen
Fragen — so das Problem der Werte, des
Vitalismus, der Freiheit, der Unsterblichkeit —
in Ilar geschriebenen Darlegungen behandelt,
sollen hier nur zwei Gedankenreihen heraus¬
gehoben werden, die mir für das Wesen
und den Wert des Ganzen ausschlaggebend
zu sein scheinen: die Unterscheidung der
sieben „Aspekts" der Individualität und die
Betonung ihrer trotz aller Nationalisierung
irrationalen Untergrunde.

Die von dem Verfasser geschilderten

[Spaltenumbruch]

Aspekts oder Erscheinungsweisen der In¬
dividualität sind: das unmittelbar erlebte
Ich-Bewußtsein (Momentan-Jch), das leib¬
liche Ich, die Seele als das (nach Müllers
Ansicht nur fiktive) psychische Substrat der
Individualität, das „Mein", als der geistige
Besitzstand des Ich. das „Jnnenbild", als
der zusammenfassende Begriff von der eige¬
nen Individualität, das „Auszenbilh", als
die (auf das Jnnenbild stark einwirkende)
Vorstellung der Mitwelt von unserem Wesen
und endlich die Objektivation des Indivi¬
duums in seinen Handlungen und Werken.
Diese Zergliederung, die dem lebenskundigen
Verfasser zu treffenden Ausführungen Anlaß
bietet, ist zugleich methodisch wertvoll, indem
sie bei vielen Erörterungen, so z. B. bei der
Frage nach den Veränderungen der Indivi¬
dualität, die Disposition bestimmt, nach der
der Gegenstand allseitig beleuchtet wird.

Der zweite Hauptgedanke liegt in der
Lehre von der Wurzelsesten Irrationa¬
lität der menschlichen Seele. Es wird
zwar ausführlich und lehrreich dargelegt,
wie das Leben darauf ausgeht, durch Ge¬
wöhnung, Anpassung und Nachahmung das
Individuum einheitlicher, dauernder, ver¬
gleichbarer, abgrenzbarer zu machen und wie
diese tatsächliche Nationalisierung noch durch
mancherlei Fiktionen unterstützt wird. Aber
die tiefsten Gründe unseres Wesens sind und
bleiben nach „der Ansicht des Verfassers irra¬
tional, eine Überzeugung, die auch bei Vol-
kelt, Vaihinger und anderen Denkern hervor¬
tritt und die Goethe in Wilhelm Meisters
Lehrjahren (IV, Kap. 18) so hübsch zum
Ausdruck bringt, wenn er von den verstän¬
digen Menschen redet, „die wohl einsehen,
daß die Summe unserer Existenz, durch
Vernunft dividiert, niemals rein aufgehe,
sondern daß immer ein wunderlicher Bruch
übrig bleibe." — Ob dabei unter dem
Irrationalen nicht nur das für die Vernunft
Unergründliche, sondern auch das direkt
Widervernünftige (den Satz vom Wider¬
spruch Aufhebende) zu verstehen sei, ist eine
Frage, die an dieser Stelle nicht erörtert
werden kann.

Prof. Dr. Rarl Gross
Jug. Johann Wiesner, Die Freiheit des
menschlichen Willens. Wien und Leipzig,
Wilhelm Braumüller. Oktav, 88 Seiten,
Preis geh. 8 Kr.

Im Vorwort fällt der Verfasser ein
hartes Urteil über die „Schulphilosophie"
Deutschlands, die sich einer der Allgemein-

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[0436] Bücherschau Vues« Weltanrschau chauung Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. 7. Auflage. Breslau, Trewent u. Graner. 19S2. Brosch. M. 26.—, geh. M. 32.50. Das Werk des führenden Marburger Theologen hat seit 1917 schon sieben Auf¬ lagen erlebt. Es gilt im allgemeinen als das klassische Werk auf der Grenze zwischen Religionsphilosophie, Neligionspsychologie und Religionsgeschichte, welches die liberale Theologie unserer Tage in Deutschland her¬ vorgebracht hat. Nur die Werke Heilers und die Religionsphilosophie von Scholz werden Hin zur Seite gestellt. Man erwarte indes von dieser Behandlungsart keinen unmittel¬ baren Zugang zum Gotteserlebnis. Es ist, als ob man mit dem Bädecker in die Kirche tritt. Was diese kritisch-liberale Philosophie der Religion leisten kann, wo ihr Stand¬ punkt hoch, ihr Gesichtskreis weit ist, das lehrt in Stil und Darstellungsart sehr zeit¬ gemäß dieses Buch. Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft. Tübingen 1921. I. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Geh. M. 24.-. Der bekannte Bonner Rechtslehrer stellt sich in dieser flüssig und klar geschriebenen Streitschrift auf die Seite derer, welche an Stelle des Formalphilosophierens der Neu¬ kantianer wieder inhaltliche Philosophie for¬ dern und dabei vor dem Namen der Meta¬ physik nicht zurückscheuen. Hegel und Stahl sind die Rechtsphilosophen, deren Haltung im Rahmen und mit den Mitteln der mo¬ dernen Wissenschaft Kaufmann zu erneuern strebt. Richard Müller-Freienfels, „Philosophie der Individualität". Leipzig, Felix Meiner. 1921. XI, 272 S. Aus dem reichen Inhalt dieses anregenden Buches, das von dem Begriffe der Indi¬ vidualität aus die wichtigsten Philosophischen Fragen — so das Problem der Werte, des Vitalismus, der Freiheit, der Unsterblichkeit — in Ilar geschriebenen Darlegungen behandelt, sollen hier nur zwei Gedankenreihen heraus¬ gehoben werden, die mir für das Wesen und den Wert des Ganzen ausschlaggebend zu sein scheinen: die Unterscheidung der sieben „Aspekts" der Individualität und die Betonung ihrer trotz aller Nationalisierung irrationalen Untergrunde. Die von dem Verfasser geschilderten Aspekts oder Erscheinungsweisen der In¬ dividualität sind: das unmittelbar erlebte Ich-Bewußtsein (Momentan-Jch), das leib¬ liche Ich, die Seele als das (nach Müllers Ansicht nur fiktive) psychische Substrat der Individualität, das „Mein", als der geistige Besitzstand des Ich. das „Jnnenbild", als der zusammenfassende Begriff von der eige¬ nen Individualität, das „Auszenbilh", als die (auf das Jnnenbild stark einwirkende) Vorstellung der Mitwelt von unserem Wesen und endlich die Objektivation des Indivi¬ duums in seinen Handlungen und Werken. Diese Zergliederung, die dem lebenskundigen Verfasser zu treffenden Ausführungen Anlaß bietet, ist zugleich methodisch wertvoll, indem sie bei vielen Erörterungen, so z. B. bei der Frage nach den Veränderungen der Indivi¬ dualität, die Disposition bestimmt, nach der der Gegenstand allseitig beleuchtet wird. Der zweite Hauptgedanke liegt in der Lehre von der Wurzelsesten Irrationa¬ lität der menschlichen Seele. Es wird zwar ausführlich und lehrreich dargelegt, wie das Leben darauf ausgeht, durch Ge¬ wöhnung, Anpassung und Nachahmung das Individuum einheitlicher, dauernder, ver¬ gleichbarer, abgrenzbarer zu machen und wie diese tatsächliche Nationalisierung noch durch mancherlei Fiktionen unterstützt wird. Aber die tiefsten Gründe unseres Wesens sind und bleiben nach „der Ansicht des Verfassers irra¬ tional, eine Überzeugung, die auch bei Vol- kelt, Vaihinger und anderen Denkern hervor¬ tritt und die Goethe in Wilhelm Meisters Lehrjahren (IV, Kap. 18) so hübsch zum Ausdruck bringt, wenn er von den verstän¬ digen Menschen redet, „die wohl einsehen, daß die Summe unserer Existenz, durch Vernunft dividiert, niemals rein aufgehe, sondern daß immer ein wunderlicher Bruch übrig bleibe." — Ob dabei unter dem Irrationalen nicht nur das für die Vernunft Unergründliche, sondern auch das direkt Widervernünftige (den Satz vom Wider¬ spruch Aufhebende) zu verstehen sei, ist eine Frage, die an dieser Stelle nicht erörtert werden kann. Prof. Dr. Rarl Gross Jug. Johann Wiesner, Die Freiheit des menschlichen Willens. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller. Oktav, 88 Seiten, Preis geh. 8 Kr. Im Vorwort fällt der Verfasser ein hartes Urteil über die „Schulphilosophie" Deutschlands, die sich einer der Allgemein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/436>, abgerufen am 29.04.2024.