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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Die Voraussetzungen einer nationalen Sammlungspolitik

Härten müssen. Die Opposition der Deutschnationalen ist notwendig und der
Deutschen Volkspartei willkommen, denn aus diese Weise wird verhindert, daß
sich die Volkspartei in ihren Grundsätzen ändert. Daß dies nicht der Fall sein
wird, nimmt man in der Volkspartei bestimmt an und dieser Optimismus, mit
dem mau in die Koalition geht, muß gerechtfertigt sein; denn eine Koalition^
Politik, die coll. die Spaltung der Partei zufolge hat, würde die Deutsche Volks-
Hartei nicht treiben.




Die Voraussetzungen
einer nationalen Sammlungspolitik
Ein Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit unseres heutigen Staates
zu bestimmen
Professor Dr. Fritz Härtung, von

j s mag anmaßend erscheinen, daß ich meine kurzen Ausführungen
über eine Frage der Tagespolitik durch den Untertitel in Beziehung
setze zu der gedankenreichen Abhandlung, in der einst der jugend¬
liche Wilhelm von Humboldt die Grundfragen des Verhältnisses
. von Staat und Individuum erörtert hat. Aber es ist nicht allein
Settgemäß, diese Kritik Humboldts an der geistlosen und erdrückenden Viel¬
geschäftigkeit des alten Polizeistaats des 18. Jahrhunderts heute wieder sich zu
^gegenwärtigen, sondern ich halte es auch für notwendig, daß wir auch in
unserer Tagespolitik Begriffe und Schlagworte früherer Zeit nicht ohne ernstliche
^"d grundsätzliche Prüfung verwenden. Gerade wir haben diese Pflicht, die wir
heutigen Mehrheitsparteien die Abhängigkeit von der demagogischen Phrase
und den Modewörtern des Tages so gern vorhalten. Von diesem Standpunkt
^us möchte ich hier zu den in vielem beherzigenswerten Ausführungen H. Jordans
über nationale Sammlungspolitik (Ur. 35) Stellung nehmen.

Wer das äußere Leben des deutschen Volkes während der letzten Monate
eobachtete, konnte mit Befriedigung Anzeichen eines Aufschwungs und einer
Überwindung des Revolutionstaumels erblicken. Im Straßenverkehr hat die
wüste Rücksichtslosigkeit, die zu gewissen Tageszeiten das Betreten der Straße oder
gar die Benutzung der Straßenbahn zur Qual machte, nachgelassen; das Streben
was Ordnung und Sauberkeit tritt wieder deutlich hervor; wer es sich einiger-
Wafzen leisten kann, holt die während des Krieges versäumten Reparaturen nach,
UM sein Haus anstreichen usw., unsere Eisenbahnen sind wieder in brauchbarem
Zustand. Aber das alles kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die innere
Zerklüftung des deutschen Volkes schlimmer ist als je zuvor. Daß wir drei


ö*
Die Voraussetzungen einer nationalen Sammlungspolitik

Härten müssen. Die Opposition der Deutschnationalen ist notwendig und der
Deutschen Volkspartei willkommen, denn aus diese Weise wird verhindert, daß
sich die Volkspartei in ihren Grundsätzen ändert. Daß dies nicht der Fall sein
wird, nimmt man in der Volkspartei bestimmt an und dieser Optimismus, mit
dem mau in die Koalition geht, muß gerechtfertigt sein; denn eine Koalition^
Politik, die coll. die Spaltung der Partei zufolge hat, würde die Deutsche Volks-
Hartei nicht treiben.




Die Voraussetzungen
einer nationalen Sammlungspolitik
Ein Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit unseres heutigen Staates
zu bestimmen
Professor Dr. Fritz Härtung, von

j s mag anmaßend erscheinen, daß ich meine kurzen Ausführungen
über eine Frage der Tagespolitik durch den Untertitel in Beziehung
setze zu der gedankenreichen Abhandlung, in der einst der jugend¬
liche Wilhelm von Humboldt die Grundfragen des Verhältnisses
. von Staat und Individuum erörtert hat. Aber es ist nicht allein
Settgemäß, diese Kritik Humboldts an der geistlosen und erdrückenden Viel¬
geschäftigkeit des alten Polizeistaats des 18. Jahrhunderts heute wieder sich zu
^gegenwärtigen, sondern ich halte es auch für notwendig, daß wir auch in
unserer Tagespolitik Begriffe und Schlagworte früherer Zeit nicht ohne ernstliche
^"d grundsätzliche Prüfung verwenden. Gerade wir haben diese Pflicht, die wir
heutigen Mehrheitsparteien die Abhängigkeit von der demagogischen Phrase
und den Modewörtern des Tages so gern vorhalten. Von diesem Standpunkt
^us möchte ich hier zu den in vielem beherzigenswerten Ausführungen H. Jordans
über nationale Sammlungspolitik (Ur. 35) Stellung nehmen.

Wer das äußere Leben des deutschen Volkes während der letzten Monate
eobachtete, konnte mit Befriedigung Anzeichen eines Aufschwungs und einer
Überwindung des Revolutionstaumels erblicken. Im Straßenverkehr hat die
wüste Rücksichtslosigkeit, die zu gewissen Tageszeiten das Betreten der Straße oder
gar die Benutzung der Straßenbahn zur Qual machte, nachgelassen; das Streben
was Ordnung und Sauberkeit tritt wieder deutlich hervor; wer es sich einiger-
Wafzen leisten kann, holt die während des Krieges versäumten Reparaturen nach,
UM sein Haus anstreichen usw., unsere Eisenbahnen sind wieder in brauchbarem
Zustand. Aber das alles kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die innere
Zerklüftung des deutschen Volkes schlimmer ist als je zuvor. Daß wir drei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/75>, abgerufen am 29.04.2024.