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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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nach Haus!" hob also die Droßel auf, und
steckte sie zu sich. Wie er an seines Bruders
Haus kam, guckte er erst zum Fenster hinein,
ob sie auch zu Haus wären, da sah er einen
dicken Pfaffen bei der Frau Schwägerin sitzen
vor einem Tisch, auf dem stand ein Braten
und eine Flasche Wein; indem klopfte es an
die Hausthüre, und der Mann wollte herein,
da sah er, wie die Frau den Pfaffen geschwind
in einen Kasten schließt, den Braten in den
Ofen stellt, und den Wein ins Bett schob.
Nunmehr ging der Schneider selbst ins Haus,
und bewillkommte seinen Bruder und seine
Schwägerin, setzte sich aber auf den Kasten nie-
der, darin der Pfaff steckte. Der Mann sprach:
"Frau, ich bin hungrig, hast du nichts zu es-
sen?" -- "Nein, es thut mir leid, es ist aber
heute gar nichts im Haus." -- Der Schnei-
der aber zog seine erfrorene Droßel heraus, da
sprach sein Bruder: "mein, was thutst du mit
der gefrorenen Droßel?" -- "Ei! die ist viel
Geld werth, die kann wahr sagen!" -- "Nun
so laß sie einmal wahrsagen." -- Der Schnei-
der hielt sie ans Ohr und sprach: "die Droßel
sagt: es stünde eine Schüssel voll Braten im
Ofen." -- Der Mann ging hin und fand den
Braten: "was sagt die Droßel weiter?" --
"Im Bett stecke eine Flasche Wein." Der
fand auch den Wein: "ei, die Droßel mögt ich

nach Haus!“ hob alſo die Droßel auf, und
ſteckte ſie zu ſich. Wie er an ſeines Bruders
Haus kam, guckte er erſt zum Fenſter hinein,
ob ſie auch zu Haus waͤren, da ſah er einen
dicken Pfaffen bei der Frau Schwaͤgerin ſitzen
vor einem Tiſch, auf dem ſtand ein Braten
und eine Flaſche Wein; indem klopfte es an
die Hausthuͤre, und der Mann wollte herein,
da ſah er, wie die Frau den Pfaffen geſchwind
in einen Kaſten ſchließt, den Braten in den
Ofen ſtellt, und den Wein ins Bett ſchob.
Nunmehr ging der Schneider ſelbſt ins Haus,
und bewillkommte ſeinen Bruder und ſeine
Schwaͤgerin, ſetzte ſich aber auf den Kaſten nie-
der, darin der Pfaff ſteckte. Der Mann ſprach:
„Frau, ich bin hungrig, haſt du nichts zu eſ-
ſen?“ — „Nein, es thut mir leid, es iſt aber
heute gar nichts im Haus.“ — Der Schnei-
der aber zog ſeine erfrorene Droßel heraus, da
ſprach ſein Bruder: „mein, was thutſt du mit
der gefrorenen Droßel?“ — „Ei! die iſt viel
Geld werth, die kann wahr ſagen!“ — „Nun
ſo laß ſie einmal wahrſagen.“ — Der Schnei-
der hielt ſie ans Ohr und ſprach: „die Droßel
ſagt: es ſtuͤnde eine Schuͤſſel voll Braten im
Ofen.“ — Der Mann ging hin und fand den
Braten: „was ſagt die Droßel weiter?“ —
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[281/0315] nach Haus!“ hob alſo die Droßel auf, und ſteckte ſie zu ſich. Wie er an ſeines Bruders Haus kam, guckte er erſt zum Fenſter hinein, ob ſie auch zu Haus waͤren, da ſah er einen dicken Pfaffen bei der Frau Schwaͤgerin ſitzen vor einem Tiſch, auf dem ſtand ein Braten und eine Flaſche Wein; indem klopfte es an die Hausthuͤre, und der Mann wollte herein, da ſah er, wie die Frau den Pfaffen geſchwind in einen Kaſten ſchließt, den Braten in den Ofen ſtellt, und den Wein ins Bett ſchob. Nunmehr ging der Schneider ſelbſt ins Haus, und bewillkommte ſeinen Bruder und ſeine Schwaͤgerin, ſetzte ſich aber auf den Kaſten nie- der, darin der Pfaff ſteckte. Der Mann ſprach: „Frau, ich bin hungrig, haſt du nichts zu eſ- ſen?“ — „Nein, es thut mir leid, es iſt aber heute gar nichts im Haus.“ — Der Schnei- der aber zog ſeine erfrorene Droßel heraus, da ſprach ſein Bruder: „mein, was thutſt du mit der gefrorenen Droßel?“ — „Ei! die iſt viel Geld werth, die kann wahr ſagen!“ — „Nun ſo laß ſie einmal wahrſagen.“ — Der Schnei- der hielt ſie ans Ohr und ſprach: „die Droßel ſagt: es ſtuͤnde eine Schuͤſſel voll Braten im Ofen.“ — Der Mann ging hin und fand den Braten: „was ſagt die Droßel weiter?“ — „Im Bett ſtecke eine Flaſche Wein.“ Der fand auch den Wein: „ei, die Droßel moͤgt ich

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/315>, abgerufen am 26.04.2024.