Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

als sie weinte, wie sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte 'weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.' Sie aber sprach 'geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehn und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.'

Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der höchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig, und sprachen 'sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! wir schwören daß wir uns rächen wollen, wo wir ein Mädchen finden, soll sein rothes Blut fließen.'

Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie 'hier wollen

als sie weinte, wie sie das sprach, so troͤstete sie der Sohn und sagte ‘weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.’ Sie aber sprach ‘geh mit deinen elf Bruͤdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den hoͤchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebaͤr ich ein Soͤhnlein so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann duͤrft ihr wiederkommen: gebaͤr ich ein Toͤchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr koͤnnt, und der liebe Gott behuͤte euch. Alle Nacht will ich aufstehn und fuͤr euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch waͤrmen koͤnnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.’

Nachdem sie also ihre Soͤhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der hoͤchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkuͤndigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Bruͤder das nun hoͤrten, wurden sie zornig, und sprachen ‘sollten wir um eines Maͤdchens willen den Tod leiden! wir schwoͤren daß wir uns raͤchen wollen, wo wir ein Maͤdchen finden, soll sein rothes Blut fließen.’

Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwuͤnschtes Haͤuschen, das leer stand. Da sprachen sie ‘hier wollen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0088" n="57"/>
als sie weinte, wie sie das sprach, so tro&#x0364;stete sie der Sohn und sagte &#x2018;weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.&#x2019; Sie aber sprach &#x2018;geh mit deinen elf Bru&#x0364;dern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den ho&#x0364;chsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Geba&#x0364;r ich ein So&#x0364;hnlein so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann du&#x0364;rft ihr wiederkommen: geba&#x0364;r ich ein To&#x0364;chterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr ko&#x0364;nnt, und der liebe Gott behu&#x0364;te euch. Alle Nacht will ich aufstehn und fu&#x0364;r euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wa&#x0364;rmen ko&#x0364;nnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Nachdem sie also ihre So&#x0364;hne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der ho&#x0364;chsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verku&#x0364;ndigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Bru&#x0364;der das nun ho&#x0364;rten, wurden sie zornig, und sprachen &#x2018;sollten wir um eines Ma&#x0364;dchens willen den Tod leiden! wir schwo&#x0364;ren daß wir uns ra&#x0364;chen wollen, wo wir ein Ma&#x0364;dchen finden, soll sein rothes Blut fließen.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwu&#x0364;nschtes Ha&#x0364;uschen, das leer stand. Da sprachen sie &#x2018;hier wollen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0088] als sie weinte, wie sie das sprach, so troͤstete sie der Sohn und sagte ‘weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen, und wollen fortgehen.’ Sie aber sprach ‘geh mit deinen elf Bruͤdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den hoͤchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht, und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebaͤr ich ein Soͤhnlein so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann duͤrft ihr wiederkommen: gebaͤr ich ein Toͤchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr koͤnnt, und der liebe Gott behuͤte euch. Alle Nacht will ich aufstehn und fuͤr euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch waͤrmen koͤnnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.’ Nachdem sie also ihre Soͤhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf der hoͤchsten Eiche, und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren, und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße sondern die rothe Blutfahne, die verkuͤndigte daß sie alle sterben sollten. Wie die Bruͤder das nun hoͤrten, wurden sie zornig, und sprachen ‘sollten wir um eines Maͤdchens willen den Tod leiden! wir schwoͤren daß wir uns raͤchen wollen, wo wir ein Maͤdchen finden, soll sein rothes Blut fließen.’ Darauf giengen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwuͤnschtes Haͤuschen, das leer stand. Da sprachen sie ‘hier wollen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/88
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/88>, abgerufen am 26.04.2024.