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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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70.
Die drei Glückskinder.

Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. 'Jch bin schon alt,' sagte er, 'und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet: sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.' Nach dem Tode des Vaters gieng der älteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, war der Hahn schon bekannt: in den Städten sah er ihn schon von weitem auf den Thürmen sitzen, und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen, und niemand wollte sich über das Thier wundern, so daß es nicht das Ansehn hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußte sich keiner aus der Zeit herauszufinden. 'Seht,' sprach er, 'was für ein stolzes Thier, es hat eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und trägt Sporn wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann gibts gewiß anderes Wetter.' Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht und hörten mit großer Freude

70.
Die drei Glückskinder.

Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. ‘Jch bin schon alt,’ sagte er, ‘und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet: sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.’ Nach dem Tode des Vaters gieng der älteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, war der Hahn schon bekannt: in den Städten sah er ihn schon von weitem auf den Thürmen sitzen, und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen, und niemand wollte sich über das Thier wundern, so daß es nicht das Ansehn hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußte sich keiner aus der Zeit herauszufinden. ‘Seht,’ sprach er, ‘was für ein stolzes Thier, es hat eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und trägt Sporn wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann gibts gewiß anderes Wetter.’ Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht und hörten mit großer Freude

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[372/0405] 70. Die drei Glückskinder. Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. ‘Jch bin schon alt,’ sagte er, ‘und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet: sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.’ Nach dem Tode des Vaters gieng der älteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, war der Hahn schon bekannt: in den Städten sah er ihn schon von weitem auf den Thürmen sitzen, und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen, und niemand wollte sich über das Thier wundern, so daß es nicht das Ansehn hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Jnsel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußte sich keiner aus der Zeit herauszufinden. ‘Seht,’ sprach er, ‘was für ein stolzes Thier, es hat eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und trägt Sporn wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann gibts gewiß anderes Wetter.’ Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht und hörten mit großer Freude

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/405>, abgerufen am 26.04.2024.