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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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wär's jetzt vorbei. Am Morgen stand sie
auch recht vergnügt auf, wie sie aber nach dem
Stall guckt, so steht das Schneiderlein ganz mun-
ter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser.
Da konnte sie nun kein Wort mehr dagegen sagen,
weil sie's öffentlich versprochen hatte und der Kö-
nig ließ einen Wagen kommen, darin mußte sie
mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren und
sollte sie da vermählt werden. Wie sie nun ein-
gestiegen waren, gingen die beiden andern Schnei-
der, die falsch waren und ihm sein Glück nicht
gönnten, in den Stall und schraubten den Bären
los, der war nun voller Wuth und rennte hinter
dem Wagen her. Die Prinzessin aber hörte ihn
schnauben, da ward ihr Angst und sie sagte: "ach!
der Bär ist hinter uns und will dich holen." Das
Schneiderlein war bei der Hand, stellte sich auf
den Kopf, streckte die Beine zum Fenster hinaus
und rief: "siehst du den Schraubstock; wann du
nicht gehst, so sollst du wieder hinein." Wie der
Bär das sah, drehte er um und lief fort. Mein
Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche und die
Prinzessin ward ihm an die Hand getraut und
lebte mit ihr vergnügt wie eine Heidlerche. Wers
nicht glaubt, bezahlt einen Thaler.

waͤr’s jetzt vorbei. Am Morgen ſtand ſie
auch recht vergnuͤgt auf, wie ſie aber nach dem
Stall guckt, ſo ſteht das Schneiderlein ganz mun-
ter davor und iſt geſund wie ein Fiſch im Waſſer.
Da konnte ſie nun kein Wort mehr dagegen ſagen,
weil ſie’s oͤffentlich verſprochen hatte und der Koͤ-
nig ließ einen Wagen kommen, darin mußte ſie
mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren und
ſollte ſie da vermaͤhlt werden. Wie ſie nun ein-
geſtiegen waren, gingen die beiden andern Schnei-
der, die falſch waren und ihm ſein Gluͤck nicht
goͤnnten, in den Stall und ſchraubten den Baͤren
los, der war nun voller Wuth und rennte hinter
dem Wagen her. Die Prinzeſſin aber hoͤrte ihn
ſchnauben, da ward ihr Angſt und ſie ſagte: „ach!
der Baͤr iſt hinter uns und will dich holen.“ Das
Schneiderlein war bei der Hand, ſtellte ſich auf
den Kopf, ſtreckte die Beine zum Fenſter hinaus
und rief: „ſiehſt du den Schraubſtock; wann du
nicht gehſt, ſo ſollſt du wieder hinein.“ Wie der
Baͤr das ſah, drehte er um und lief fort. Mein
Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche und die
Prinzeſſin ward ihm an die Hand getraut und
lebte mit ihr vergnuͤgt wie eine Heidlerche. Wers
nicht glaubt, bezahlt einen Thaler.

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[164/0185] waͤr’s jetzt vorbei. Am Morgen ſtand ſie auch recht vergnuͤgt auf, wie ſie aber nach dem Stall guckt, ſo ſteht das Schneiderlein ganz mun- ter davor und iſt geſund wie ein Fiſch im Waſſer. Da konnte ſie nun kein Wort mehr dagegen ſagen, weil ſie’s oͤffentlich verſprochen hatte und der Koͤ- nig ließ einen Wagen kommen, darin mußte ſie mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren und ſollte ſie da vermaͤhlt werden. Wie ſie nun ein- geſtiegen waren, gingen die beiden andern Schnei- der, die falſch waren und ihm ſein Gluͤck nicht goͤnnten, in den Stall und ſchraubten den Baͤren los, der war nun voller Wuth und rennte hinter dem Wagen her. Die Prinzeſſin aber hoͤrte ihn ſchnauben, da ward ihr Angſt und ſie ſagte: „ach! der Baͤr iſt hinter uns und will dich holen.“ Das Schneiderlein war bei der Hand, ſtellte ſich auf den Kopf, ſtreckte die Beine zum Fenſter hinaus und rief: „ſiehſt du den Schraubſtock; wann du nicht gehſt, ſo ſollſt du wieder hinein.“ Wie der Baͤr das ſah, drehte er um und lief fort. Mein Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche und die Prinzeſſin ward ihm an die Hand getraut und lebte mit ihr vergnuͤgt wie eine Heidlerche. Wers nicht glaubt, bezahlt einen Thaler.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/185>, abgerufen am 26.04.2024.