Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Fleisch, es ist aber noch roh. Da spricht der jüng-
ste: "geht ihr beyde und schafft einen Trank, ich will
derweil das Fleisch braten." Also steckt er den Bra-
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, steht auf
einmal ein Erdmännchen neben ihm mit einem lan-
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an
Händen und Füßen. "Laß mich beim Feuer meine
Glieder wärmen, so will ich dafür den Braten wen-
den und mit Butter begießen." Der Ritter erlaubt
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber so oft
der Ritter wegsieht, steckt es seine Finger in die
Bratpfanne und leckt die warme Brühe auf. Der
Ritter ertappt es ein paarmal und sagt, es sollts
bleiben lassen, aber das kleine Ding kann nicht und
ist immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmännchen
beim Bart und zaust es, daß es ein Zetergeschrei er-
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß
mit Wein, den sie im Keller gefunden und nun es-
sen und trinken sie zusammen. Am andern Morgen
suchen sie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, sa-
gen sie, müssen die Königstöchter verborgen seyn, und
losen, wer sich soll hinunterlassen, die beiden andern
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,
welcher mit dem Erdmännchen zu thun g[e]habt. Es
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten ists
stockfinster, da geht eine Thüre auf und das Erd-
männchen, das er am Bart gezogen, kommt und
spricht: "ich sollt dir vergelten, was du mir Böses
gethan, aber du erbarmst mich, ich bin der König
der Erdmännlein, ich will dich aus der Höhle brin-
gen, denn wenn du noch einen Augenblick länger
bleibst, so ists um dich geschehen." Der Ritter ant-
wortet: "sollt ich gleich Todes sterben, so geh ich
nicht weg, bis ich weiß, ob die Königstöchter hier
versteckt sind." Da spricht es: "sie sind in diesem
unterirdischen Stein von dre: Drachen bewacht. In
der ersten Höhle sitzt die älteste und ein dreiköpfiger
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er seine Köpfe
in ihren Schoos, da muß sie ihn lausen, bis er ein-
geschlafen ist. Vor der Thüre hängt ein Korb, dar-
in liegt eine Flöte, eine Ruthe und ein Schwert und
die drei Kronen der Königstöchter liegen auch darin,

Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng-
ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will
derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra-
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf
einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan-
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an
Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine
Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen-
den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft
der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die
Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der
Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts
bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und
iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen
beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er-
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß
mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ-
ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen
ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa-
gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und
loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,
welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun g[e]habt. Es
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts
ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd-
maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und
ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes
gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig
der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin-
gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger
bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant-
wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich
nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier
verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem
unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In
der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe
in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein-
geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar-
in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und
die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0329" n="X"/>
Flei&#x017F;ch, es i&#x017F;t aber noch roh. Da &#x017F;pricht der ju&#x0364;ng-<lb/>
&#x017F;te: &#x201E;geht ihr beyde und &#x017F;chafft einen Trank, ich will<lb/>
derweil das Flei&#x017F;ch braten.&#x201C; Al&#x017F;o &#x017F;teckt er den Bra-<lb/>
ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, &#x017F;teht auf<lb/>
einmal ein Erdma&#x0364;nnchen neben ihm mit einem lan-<lb/>
gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an<lb/>
Ha&#x0364;nden und Fu&#x0364;ßen. &#x201E;Laß mich beim Feuer meine<lb/>
Glieder wa&#x0364;rmen, &#x017F;o will ich dafu&#x0364;r den Braten wen-<lb/>
den und mit Butter begießen.&#x201C; Der Ritter erlaubt<lb/>
ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber &#x017F;o oft<lb/>
der Ritter weg&#x017F;ieht, &#x017F;teckt es &#x017F;eine Finger in die<lb/>
Bratpfanne und leckt die warme Bru&#x0364;he auf. Der<lb/>
Ritter ertappt es ein paarmal und &#x017F;agt, es &#x017F;ollts<lb/>
bleiben la&#x017F;&#x017F;en, aber das kleine Ding kann nicht und<lb/>
i&#x017F;t immer wieder mit dem Finger in der Pfanne.<lb/>
Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdma&#x0364;nnchen<lb/>
beim Bart und zau&#x017F;t es, daß es ein Zeterge&#x017F;chrei er-<lb/>
hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß<lb/>
mit Wein, den &#x017F;ie im Keller gefunden und nun e&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en und trinken &#x017F;ie zu&#x017F;ammen. Am andern Morgen<lb/>
&#x017F;uchen &#x017F;ie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, &#x017F;a-<lb/>
gen &#x017F;ie, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter verborgen &#x017F;eyn, und<lb/>
lo&#x017F;en, wer &#x017F;ich &#x017F;oll hinunterla&#x017F;&#x017F;en, die beiden andern<lb/>
wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den,<lb/>
welcher mit dem Erdma&#x0364;nnchen zu thun g<supplied>e</supplied>habt. Es<lb/>
dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten i&#x017F;ts<lb/>
&#x017F;tockfin&#x017F;ter, da geht eine Thu&#x0364;re auf und das Erd-<lb/>
ma&#x0364;nnchen, das er am Bart gezogen, kommt und<lb/>
&#x017F;pricht: &#x201E;ich &#x017F;ollt dir vergelten, was du mir Bo&#x0364;&#x017F;es<lb/>
gethan, aber du erbarm&#x017F;t mich, ich bin der Ko&#x0364;nig<lb/>
der Erdma&#x0364;nnlein, ich will dich aus der Ho&#x0364;hle brin-<lb/>
gen, denn wenn du noch einen Augenblick la&#x0364;nger<lb/>
bleib&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;ts um dich ge&#x017F;chehen.&#x201C; Der Ritter ant-<lb/>
wortet: &#x201E;&#x017F;ollt ich gleich Todes &#x017F;terben, &#x017F;o geh ich<lb/>
nicht weg, bis ich weiß, ob die Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter hier<lb/>
ver&#x017F;teckt &#x017F;ind.&#x201C; Da &#x017F;pricht es: &#x201E;&#x017F;ie &#x017F;ind in die&#x017F;em<lb/>
unterirdi&#x017F;chen Stein von dre: Drachen bewacht. In<lb/>
der er&#x017F;ten Ho&#x0364;hle &#x017F;itzt die a&#x0364;lte&#x017F;te und ein dreiko&#x0364;pfiger<lb/>
Drache neben ihr, jeden Mittag legt er &#x017F;eine Ko&#x0364;pfe<lb/>
in ihren Schoos, da muß &#x017F;ie ihn lau&#x017F;en, bis er ein-<lb/>
ge&#x017F;chlafen i&#x017F;t. Vor der Thu&#x0364;re ha&#x0364;ngt ein Korb, dar-<lb/>
in liegt eine Flo&#x0364;te, eine Ruthe und ein Schwert und<lb/>
die drei Kronen der Ko&#x0364;nigsto&#x0364;chter liegen auch darin,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[X/0329] Fleiſch, es iſt aber noch roh. Da ſpricht der juͤng- ſte: „geht ihr beyde und ſchafft einen Trank, ich will derweil das Fleiſch braten.“ Alſo ſteckt er den Bra- ten an einen Spieß, und wie er brutzelt, ſteht auf einmal ein Erdmaͤnnchen neben ihm mit einem lan- gen weißen Bart bis an die Knie, und zittert an Haͤnden und Fuͤßen. „Laß mich beim Feuer meine Glieder waͤrmen, ſo will ich dafuͤr den Braten wen- den und mit Butter begießen.“ Der Ritter erlaubt ihm das, nun dreht es flink den Braten, aber ſo oft der Ritter wegſieht, ſteckt es ſeine Finger in die Bratpfanne und leckt die warme Bruͤhe auf. Der Ritter ertappt es ein paarmal und ſagt, es ſollts bleiben laſſen, aber das kleine Ding kann nicht und iſt immer wieder mit dem Finger in der Pfanne. Da wird der Ritter zornig, faßt das Erdmaͤnnchen beim Bart und zauſt es, daß es ein Zetergeſchrei er- hebt und fortlauft. Die zwei andern kommen indeß mit Wein, den ſie im Keller gefunden und nun eſ- ſen und trinken ſie zuſammen. Am andern Morgen ſuchen ſie weiter und finden ein tiefes Loch, darin, ſa- gen ſie, muͤſſen die Koͤnigstoͤchter verborgen ſeyn, und loſen, wer ſich ſoll hinunterlaſſen, die beiden andern wollen dann den Strick halten. Das Loos trift den, welcher mit dem Erdmaͤnnchen zu thun gehabt. Es dauert lang, bis er auf Grund kommt, und unten iſts ſtockfinſter, da geht eine Thuͤre auf und das Erd- maͤnnchen, das er am Bart gezogen, kommt und ſpricht: „ich ſollt dir vergelten, was du mir Boͤſes gethan, aber du erbarmſt mich, ich bin der Koͤnig der Erdmaͤnnlein, ich will dich aus der Hoͤhle brin- gen, denn wenn du noch einen Augenblick laͤnger bleibſt, ſo iſts um dich geſchehen.“ Der Ritter ant- wortet: „ſollt ich gleich Todes ſterben, ſo geh ich nicht weg, bis ich weiß, ob die Koͤnigstoͤchter hier verſteckt ſind.“ Da ſpricht es: „ſie ſind in dieſem unterirdiſchen Stein von dre: Drachen bewacht. In der erſten Hoͤhle ſitzt die aͤlteſte und ein dreikoͤpfiger Drache neben ihr, jeden Mittag legt er ſeine Koͤpfe in ihren Schoos, da muß ſie ihn lauſen, bis er ein- geſchlafen iſt. Vor der Thuͤre haͤngt ein Korb, dar- in liegt eine Floͤte, eine Ruthe und ein Schwert und die drei Kronen der Koͤnigstoͤchter liegen auch darin,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/329
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/329>, abgerufen am 26.04.2024.