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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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Blut." Die Braut fragte, was sie damit meine,
da sagte sie: "laßt mich eine Nacht in der Kam-
mer schlafen, wo der Prinz schläft." Die Braut
wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben,
endlich willigte sie ein, aber der Kammerdiener
mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben.
Als es nun Nacht war, und der Prinz schon
schlief, ward sie in die Kammer geführt, da setzte
sie sich ans Bett und sagte: "ich bin dir nachge-
folgt sieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und
den Winden gewesen und hab' nach dir gefragt,
und hab' dir geholfen gegen den Lindwurm, willst
du mich denn ganz vergessen?" Der Prinz aber
schlief so hart, daß es ihm nur vorkam, als rausche
der Wind draußen in den Tannenbäumen. Wie
nun der Morgen anbrach, da ward sie wieder
hinausgeführt, und mußte das goldene Kleid hin-
geben; und als auch das nichts geholfen hatte,
ward sie traurig, ging hinaus auf eine Wiese,
setzte sich da hin und weinte. Und wie sie so saß,
da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond
gegeben hatte und sie schlug es auf: ei! da kam eine
Glucke heraus mit zwölf Küchlein ganz von Gold,
die liefen herum und piepten und krochen der Alten
wieder unter die Flügel, so daß nichts schöneres
auf der Welt zu sehen war. Da stand sie auf,
trieb sie auf der Wiese vor sich her, so lange bis
die Braut aus dem Fenster sah, und da gefiel ihr
das kleine Wesen so gut, daß sie gleich herab kam

Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine,
da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam-
mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut
wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben,
endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener
mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben.
Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon
ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte
ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge-
folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und
den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt,
und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt
du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber
ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche
der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie
nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder
hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin-
geben; und als auch das nichts geholfen hatte,
ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe,
ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß,
da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond
gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine
Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold,
die liefen herum und piepten und krochen der Alten
wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres
auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf,
trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis
die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr
das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam

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[14/0035] Blut.“ Die Braut fragte, was ſie damit meine, da ſagte ſie: „laßt mich eine Nacht in der Kam- mer ſchlafen, wo der Prinz ſchlaͤft.“ Die Braut wollte nicht und wollte doch gern das Kleid haben, endlich willigte ſie ein, aber der Kammerdiener mußte dem Prinzen einen Schlaftrunk geben. Als es nun Nacht war, und der Prinz ſchon ſchlief, ward ſie in die Kammer gefuͤhrt, da ſetzte ſie ſich ans Bett und ſagte: „ich bin dir nachge- folgt ſieben Jahre, bin bei Sonne, Mond und den Winden geweſen und hab’ nach dir gefragt, und hab’ dir geholfen gegen den Lindwurm, willſt du mich denn ganz vergeſſen?“ Der Prinz aber ſchlief ſo hart, daß es ihm nur vorkam, als rauſche der Wind draußen in den Tannenbaͤumen. Wie nun der Morgen anbrach, da ward ſie wieder hinausgefuͤhrt, und mußte das goldene Kleid hin- geben; und als auch das nichts geholfen hatte, ward ſie traurig, ging hinaus auf eine Wieſe, ſetzte ſich da hin und weinte. Und wie ſie ſo ſaß, da fiel ihr das Ei noch ein, das ihr der Mond gegeben hatte und ſie ſchlug es auf: ei! da kam eine Glucke heraus mit zwoͤlf Kuͤchlein ganz von Gold, die liefen herum und piepten und krochen der Alten wieder unter die Fluͤgel, ſo daß nichts ſchoͤneres auf der Welt zu ſehen war. Da ſtand ſie auf, trieb ſie auf der Wieſe vor ſich her, ſo lange bis die Braut aus dem Fenſter ſah, und da gefiel ihr das kleine Weſen ſo gut, daß ſie gleich herab kam

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/35>, abgerufen am 26.04.2024.